Theater in Krefeld Tartuffes Spiel mit den Wohlstandsleidenden

Krefeld · Die israelische Regisseurin Dedi Baron zeigt Molières Komödie als pointenreiche Familienkomödie. Nicht mehr. Und nicht weniger.

 Gold und Glitter fällt für Oregon und seine Familie sogar vom Bühnenhimmel in der Schlussszene von „Tartuffe“.

Gold und Glitter fällt für Oregon und seine Familie sogar vom Bühnenhimmel in der Schlussszene von „Tartuffe“.

Foto: Matthias Stutte

Sie könnten heute Trump heißen. Oder Putin. Als AfD’ler jede Kerbe der Unzufriedenheit tiefer hacken. Oder als Lifestyle-Blogger die Follower anziehen wie ein Schwarm fliegen. Molière lässt das Publikum bis zum dritten Akt warten, bis der Verführer in persona auftaucht, der eine ganze bürgerliche Familie in den finanziellen und menschlichen Ruin treibt. Auch in Dedi Barons Inszenierung ist es lange spannend, wie sich die israelische Regisseurin einen Pseudo-Messias im 21. Jahrhundert vorstellt. Nach einer knappen Stunde tritt er auf: ein Hänfling in schwarzer Hose und schwarzem Rollkragenpulli  denkbar unspektakulär, fast beliebig. Eine Enttäuschung. Aber nur für einen Moment.

Denn diese Unscheinbarkeit ist Stilelement. Baron verzichtet bei Molières „Tartuffe“ auf politische Deutungen. Die Kritik an verlogener Religion, die zu Uraufführungzeiten im 17. Jahrhundert noch einen Eklat und das Bühnenverbot ausgelöst hatten, lässt heute keinen Puls schneller schlagen. Baron ersetzt die Religion nicht, sondern lässt sie als geistiges Kapital stehen, ein Platzhalter, für alles, was Sehnsucht zu stillen verspricht.

Henning Kallweit ist als Tartuffe weder heuchlerischer Moralapostel noch lüsterner Underdog. Er ist ein Stratege, der kühl kalkuliert und immer jene Stelle trifft, an der es am heftigsten schmerzt: sexuelle Unzufriedenheit, Unsicherheit und vor allem seelisches Ödland. Orgon (Bruno Winzen) und seine Familie sind Neureiche, die vom Luxus längst müde geworden sind. Das Gold ihrer Ketten, Armbanduhren und sogar Unterhosen glänzt im Scheinwerferlicht so extrem, dass sich im Protz die Künstlichkeit dieser Leute geradezu aufdrängt. Sie haben viel, doch keinen Stil, sie tragen edle Stoffe, aber Tennissocken in Sandalen. Diese Leute sind so unecht wie die Figuren aus den Seifenopern des Nachmittagsprogramms. Baron überzeichnet, um Distanz zu schaffen. Sie schwingt keine Moralkeule, sondern führt anhand der Typenkomödie vor, was immer nur anderen passieren kann. Und dabei hat das Publikum viel zu lachen: Esther Keil als erotisch unterforderte Elmire, Joachim Henschke als Madame Pernell, die wie Zarah Leander singt, Vera Maria Schmidt (als Tochter Mariane) und Philipp Sommer (als ihr Verlobter), die jede Gelegenheit zu erotischen Neckereien nutzen, bieten Pointen. Die wunderbar frische und schlagschnelle Übersetzung von Wolfgang Wiens, deren Sprachschönheit vor allem bei Adrian Linke (Cléante) bestens gepflegt ist, verlangt nach Präzision, die sich ab und an in ekstatischem Rap-Rhythmus entlädt: „Tartuffe-ta-ta“. Warum Carolin Schupa, die brillant aus der patenten Zofe eine Hochglanz-Hausmanagerin macht, mit Ost-Akzent spricht, erschließt sich leider ebensowenig wie die Regelmäßigkeit, in der sich Paul Steinbach (Damis) in den Schritt fassen muss.

Nicht jeder Gedanke der Regie geht auf. Statt französischer Salons, die in kühler Weitläufigkeit die Einsamkeit Orgons augenfällig machen, hat Kirsten Dephoff (Bühne und Kostüme) eine fahrbare tapezierte Wand geschaffen, die die Kulisse einengt und mit ihr die Figuren in die Enge treibt. 80 Bälle in Bowlingkgugel- bis Hüpfballgröße rollen den Akteuren permanent zwischen die Beine, stören jegliche Ordnung und werden dann und wann von ihnen aktiv als Spielbälle genutzt. Das ist witzig, nutzt sich aber bald ab.

Es bleibt eine luftige Komödie, die gefällt. Das Premierenpublikum klatschte lange Beifall.

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