Analyse Zukunft des Verkehrs in Krefeld Das Mobilitätskonzept – ein Leseprotokoll

Krefeld · Das neue Mobilitätskonzept für Krefeld verdeckt Probleme unter einer glatten Gutachtersprache.

 Das neue Mobilitätsgutachten beschreibt Krefeld 2030  als Stadt, die „sich als attraktiver, grüner Wohnstandort in der Region etabliert hat. Die Einwohnerzahl ist stabil. Die Innenstadt ist sowohl ein beliebtes Wohnquartier mit urbanem Charakter wie auch oberzentraler Versorgungs-, Freizeit und Dienstleistungs und Verwaltungsstandort.“

Das neue Mobilitätsgutachten beschreibt Krefeld 2030  als Stadt, die „sich als attraktiver, grüner Wohnstandort in der Region etabliert hat. Die Einwohnerzahl ist stabil. Die Innenstadt ist sowohl ein beliebtes Wohnquartier mit urbanem Charakter wie auch oberzentraler Versorgungs-, Freizeit und Dienstleistungs und Verwaltungsstandort.“

Foto: Stadt Krefeld

Diese Debatte macht hellhörig: In der Diskussion um das Mobilitätskonzept für Krefeld hat der Einzelhandel an einer Stelle interveniert. Die Formulierung, es gebe künftig „wenige Anlässe, um mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren“, wecke die Befürchtung, das Konzept strebe eine schlechtere Erreichbarkeit der Innenstadt an. Der Satz wurde umformuliert und lautet jetzt: Es gibt „nur noch wenige Anlässe, bei denen man zwingend auf das Auto angewiesen ist, um das Stadtzentrum zu erreichen.“ Der Konflikt, der hier dokumentiert wird, geht viel tiefer, als es die Umformulierung ahnen lässt.

Das Mobilitätskonzept wird am Mittwoch in der gemeinsamen Sitzung von Bau- und Planungsausschuss vorgestellt. Die Verwaltung hat in ihrer Vorlage dazu auch die Diskussionen um den Text dokumentiert. Sie sind sehr erhellend, weil sie Brüche dokumentieren, die unter der glatten Gutachtersprache eher verdeckt werden. Siehe das genannte Beispiel: Sowohl die umstrittene als auch die neue Formulierung klingen so, als sei die Innenstadt der Zukunft primär eine Einkaufszone. Das wird sie sicher bleiben, sie soll aber auch Wohnquartier werden. Damit hat man zwei Verkehrsbewegungen: die der City-Bewohner und die der Stadtbummler. Das Konzept geht auf diesen Konflikt nicht näher ein. Was durchschimmert, ist nur die Reduzierung des Autoverkehrs.

Es geht in dem Konzept um eine Vision für das Jahr 2030. Erzählerisch wird die Zukunft als erreicht beschworen. Nur: Wie realistisch ist es, dass in elf Jahren das Auto für die meisten Menschen in Krefeld keine Rolle mehr spielt?

Die Lektüre dieses Konzepts macht es einem nicht einfach, weil es so allgemein bleibt und die Beschreibung der besseren Zukunft so schön ist.  Die schöne neue Mobilitätswelt des Jahres 2030 – in der Beschreibung der Gutachtersprache klingt sie so:

„In Krefeld lebt und arbeitet man gerne, brachliegende bzw. unzureichend genutzte Potenziale wurden nach und nach aktiviert. Die Stadt hat sich als attraktiver, grüner Wohnstandort in der Region etabliert, die Einwohnerzahl ist stabil. Die Innenstadt ist sowohl ein beliebtes Wohnquartier mit urbanem Charakter wie auch oberzentraler Versorgungs-, Freizeit und Dienstleistungs und Verwaltungsstandort. Gemischte Nutzungen mit kurzen Wegen haben sich u.a. auch in den Stadtteilen Uerdingen, Hüls und Fischeln weiterentwickelt. Diese Mischung von Wohnen, Arbeiten, Versorgung und Freizeit/Erholung (‚Stadt der kurzen Wege‘) hat für viele Menschen die notwendigen Entfernungen zu alltäglichen Zielen verringert und gleichzeitig die Mobilität gestärkt.“

Das klingt so gut, so dass man es sofort unterschreiben möchte. Freilich: Die Frage, ob und wie man als künftiger Bewohner der Innenstadt seine Wohnung mit dem Auto erreicht, wird in dieser Allgemeinheit still weggeschwiemelt.

Schon 2020, so heißt es weiter, sollen wichtige Pilotprojekte zur sichtbaren Neuausrichtung der neuen Mobilitätspolitik starten. Genannt werden dann „Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes mit besserer Anbindung an die Innenstadt für den Fußverkehr, Fortsetzung der Umgestaltung der Wälle, Aufwertung des Marktplatzes Uerdingen, Umgestaltung und Aufwertung von Ortsdurchfahrten“.

Diese atemberaubende Mischung aus städtebaulichen und verkehrsplanerischen Projekten verdeckt die dramatischen Herausforderungen dieser Vision. Nur ein Beispiel: Der Ostwall, so heißt es etwa, soll „zur attraktiven Flaniermeile“ werden. Hier wird eine nostalgische Krefelder Lebenslüge als Vision neu aufgetischt: dass nämlich der Ostwall seinem Charakter nach eigentlich Fußgängerzone ist und der Verkehr quasi ein Unfall der Geschichte. Ist er aber nicht. Der Ostwall war immer auch eine zentrale Verkehrsachse vom Hauptbahnhof in die Innenstadt – übrigens: auch auf den einschlägigen Postkarten, auf denen schon 1920 Autos abgebildet sind.

Schlimmer noch: Es gibt bis heute Kritiker, die sagen, dass die Leerstandsprobleme des Ostwalls mit dem Wegfall vieler Parkplätze begonnen haben. Ironischerweise wäre der Ostwall damit ein Beispiel, wie die Verdrängung des Autos den (ungewollten) Charakter als reine Verkehrsstraße zementierte und eine relativ gesunde Einzelhandelsmeile krank machte. So ist der Ostwall heute eine Straße, die sich nicht entscheiden kann, ob sie schöne Allee oder Mini-Autobahn sein will. Die Antwort des Gutachtens: Der Autoverkehr ist weg, also schön.

So geht es weiter. Ein Zukunftsvision für 2030 lautet: „Der öffentliche Raum in der Innenstadt und den Stadtteilzentren ist attraktiv, hochwertig gestaltet und lädt zum Flanieren ein.“ Okay, das war auch schon das Ziel 2010, 2000, 1990 etc. Wie lange diskutiert Krefeld schon über die Attraktivierung der Innenstadt? Können vor Lachen, möchte man rufen. Und warum klingt das wieder so, als wäre die Innenstadt noch eine reine Einkaufszone?

Nein, die Erfahrung lehrt: Ein Viertel, das Wohn- und Einkaufsquartier ist, ist auch ein Autoquartier. Sich das Auto wegzuwünschen, hilft nicht weiter. Man schaue sich einmal in einem quirligen Stadtviertel wie Köln-Sülz um. Dort gib es nebeneinander eine Fülle von Einzelhandel, Gastronomie und Wohnbebauung. Und Autos. Wer will, dass Innenstadt Wohnquartier wird, muss auch das Auto mitdenken, erst recht bis 2030. Insofern lautet die Herausforderung nicht, sich das Auto wegzuwünschen, sondern die Koexistenz zu gestalten – erst recht vor dem Hintergrund, dass Autos mit neuer E-Technologie sauberer werden und vielleicht neu an Akzeptanz gewinnen.

Am Ende der Lektüre hat man nicht den Eindruck, viel weiter zu sein. Das Gutachten formuliert Ziele und Arbeitsaufträge, wie sie zu erreichen sind – nach dem Motto: Kriege gewinnt man am besten, indem man sie gewinnt.

Ironie des Tages: Beim Schreiben dieser Zeilen erreichte die Redaktion eine Mail des ökologischen Verkehrsclubs VCD. Der Verband hat elf Empfehlungen für Kommunen zur Verkehrswende formuliert. Das Papier umfasst 120 Seiten. In einem Grußwort finden sich ganz ähnliche Formulierungen wie in dem Krefelder Gutachten: „Die Alternativen sind ein attraktiverer ÖPNV, mehr und bessere Radwege, überzeugende Strategien für einen sicheren Fuß- und Radverkehr, dazu die Nutzung von digitalen Diensten, die wiederum Bikesharing, Ridesharing und Carsharing ermöglichen.“ Das Papier kann im Internet heruntergeladen werden.

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