EU-Projekt im Haus der Seidenkultur Krefeld dokumentiert das Handwerk der Weber Weber – ein Traditionsberuf wird digital

Krefeld · Das Handwerk der Weber gehört zu den vom Aussterben bedrohten Berufe. Ein EU-Projekt will Traditionshandwerke digitalisieren und so die Technik für die Nachwelt dokumentieren. Das Haus der Seidenkultur ist daran beteiligt.

 Dieter Blatt (im Hintergrund) trägt den mit Sensoren vollgestopften Anzug und führt die Handlungsschritte aus, die ein Weber zu erledigen hat. Branda Olivas speichert unterdessen die Informationen auf dem Computer.

Dieter Blatt (im Hintergrund) trägt den mit Sensoren vollgestopften Anzug und führt die Handlungsschritte aus, die ein Weber zu erledigen hat. Branda Olivas speichert unterdessen die Informationen auf dem Computer.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Dieter Blatt ist gelernter Patroneur. Er lernte noch von der Pike auf, wie auf einem Jacquard-Webstuhl gearbeitet wird. Doch der Rentner ist einer der jüngsten Menschen, die dieses Handwerk überhaupt noch beherrschen. Mit den Letzten ihrer Zunft wird das Traditionshandwerk aussterben. Das gleiche Schicksal droht auch anderen teils uralten Handwerksformen. Darum entschied die EU nun, diese alten Berufe zumindest digital zu erhalten, und startete ein Projekt, an dem das Haus der Seidenkultur (HdS) beteiligt ist.

„Wir haben hier den einzigen noch erhaltenen und funktionstüchtigen hölzernen Jacquard-Webstuhl Europas in der originalen Umgebung. Darum sind wir in diesem Projekt dabei“, sagt Dieter Brenner, der beim HdS-Museum für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist. Und so schlüpfte Blatt zwei Tage lang in einen Anzug, der mit Sensoren bis in die Fingerspitzen vollgestopft ist und ging seiner Tätigkeit von A bis Z nach. Drei Berufe seiner Branche stellt er dar: den Seidenmaler, den Patroneur und den Kartenschläger – die drei Handwerke, die nötig sind, um ein Muster zu erstellen und es auf Lochkarten zu übertragen.

Die Lochkarten sind historisch doppelt wichtig. Sie waren die Grundlage für die erste große Automatisierung der Geschichte. Nach dem Prinzip der Lochkarten, konnte man eine Reihenfolge speichern. Joseph-Marie Jacquard entwickelte 1805 dieses Prinzip und machte damit nicht nur tausende Strippenzieher, die zuvor die Aufgabe übernommen hatten, arbeitslos und brachte mit deren Aufstand das Wort „Sabotage“ (die Arbeiter warfen ihre Holzschuhe, Französisch „sabot“, in die Webstühle, um sie zu zerstören). Das Prinzip funktioniert bis ins Computerzeitalter. Die ersten Großrechner in der Mitte des 20. Jahrhunderts speicherten ihre Informationen auf ebensolchen Lochkarten, die damit das erste digitale Speichermedium der Welt sind.

„Diese erste digitale Speicherung, die bis zu modernen Computern reichte, macht es historisch bedeutsam“, erklärt Brenner. Diese historisch wichtige Datenspeicherung und die Art, die Maschine zu bedienen, wird nun für die Nachwelt festgehalten. Dabei geht die Informationstiefe weit über ein Video hinaus. „Die Bilder werden auch in Filmsequenzen umgesetzt, die wir für Mobiltelefone anbieten und bei Führungen zeigen können. Aber die Informationstiefe der Daten ist hoch und hat großen wissenschaftlichen Wert“, erläutert der Museumssprecher.

Insgesamt sind zehn Mitarbeiter aus Krefeld an dem auf drei Jahre angelegten Europa-Projekt beteiligt. Nicht nur die Seidenweberei wird dokumentiert. Auch die Glasbläserei und die Gewinnung von Mastix, einem essbaren Baumharz, das aus nur in Griechenland vorkommenden Pistazienbäumen gewonnen wird, werden in diesem Verfahren dargestellt. Das gesamte Projekt läuft unter dem Titel „Mingei“. Das japanische Wort bedeutet übersetzt so viel wie „Kunst von Menschen für Menschen“ und soll historisch wichtige Berufe für die Nachwelt konservieren.

Dabei ist noch gar nicht klar, welchen Umfang das Projekt insgesamt haben wird. „Wir haben zunächst 50.000 Euro aus EU-Mitteln erhalten, die zweckgebunden ausgegeben werden müssen. Ob sich das Ganze für uns am Ende als Sechser im Lotto oder nur viel Arbeit ohne großen Ertrag herausstellt, das können wir heute noch gar nicht absehen“, sagt Brenner. In jedem Falle aber wird das Handwerk, das Krefeld einst groß machte, dokumentiert und so auch für die Forschung erhalten.

Entsprechend begeistert ist auch Hansgeorg Hauser, der Direktor des Museums, das übrigens aus eigener Kraft schwarze Zahlen schreibt, von dem Projekt. „Es ist eine Bereicherung unserer Arbeit und eine einmalige Einrichtung, in der ein historisch wichtiger Beruf für zukünftige Generationen bewahrt wird“, sagt er.

Das Projekt, das am 1. Dezember 2018 begann und auf 36 Monate angelegt ist, soll nicht nur die elektronischen Daten, sondern auch umfangreiche Dokumentation und Videomaterial nach wissenschaftlichen Standards sichern.

Nähere Informationen gibt es auch im Internet unter www.mingei-project.eu.

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