Krefeld Jakubowski und der Satz der Schande über Uerdingen

Krefeld · Im neuen "Spiegel" ist ein Briefverkehr zwischen dem Uerdinger CDU-Politiker und einem "Spiegel"-Autor dokumentiert. Anlass: In einem "Spiegel"-Bericht ist die Rheinstadt als ruinös beschrieben worden.

 Auf Spurensuche: Elmar Jakubowski auf der Eisenbahnbrücke Duisburger Straße; von dort aus sieht man das ruinöse Howinol-Gelände; beherrschend ist der Eindruck für Jakubowski aber keineswegs; beherrschend ist für ihn der Gesamteindruck eines funktionierenden Industriegebietes.

Auf Spurensuche: Elmar Jakubowski auf der Eisenbahnbrücke Duisburger Straße; von dort aus sieht man das ruinöse Howinol-Gelände; beherrschend ist der Eindruck für Jakubowski aber keineswegs; beherrschend ist für ihn der Gesamteindruck eines funktionierenden Industriegebietes.

Foto: Jens Voss

Es ist schon gemein: Da kommt man einmal in einem Weltblatt wie dem "Spiegel" vor - und dann steht da ein Satz wie eine Vernichtung. Elmar Jakubowski, früher Bezirksvorsteher, CDU-Politiker und Vorsitzender des Uerdinger Heimatbundes, griff empört zur Feder und protestierte - daraus entwickelte sich ein Briefwechsel, der nicht verbissen, aber schön scharf, schön sarkastisch und schön ironiegetränkt ist. Spiegeltauglich eben. Der "Spiegel" hat den Briefverkehr nun in seiner neuesten Ausgabe dokumentiert - augenzwinkernd und gewohnt selbstbewusst: Seht her, was ein einziger Satz von uns auslöst.

Wir waren mit Jakubowski auf Spurensuche: Worauf gründet sich der Satz der Schande über Uerdingen? Am Ende sagte Jakubowski kämpferisch: "Jetzt zeigen Sie mir mal das kaputte Uerdingen und erklären mir, was der Mann gesehen hat!"

"Deutschland", so schrieb also Christian Wüst im "Spiegel" über Uerdingen, "sieht kaputt aus, wo Siemens seinen ICE herstellt: Verlassene, mit Brettern zugenagelte Trinkhallen, Fabrikruinen und tote Schlote bilden insofern eine passende Kulisse, als auch der Zug in der Vergangenheit oft ein desolates Bild abgab."

Der Satz selbst gibt Auskunft, wozu das düstere Bild von der Stadt, die eine Industriebrache sein soll, dient: Es passt dramaturgisch zu dem düsteren Urteil über das "desolate Bild", das der ICE in der "Spiegel"-Analyse zuweilen abgab. Realiter stellt der Satz freilich eine maßlose Übertreibung dar - was Autor Wüst im Kern später auch einräumen sollte.

Wüst reiste wohl mit der Bahn nach Uerdingen und ist dann zu Fuß zu Siemens gegangen. Wenn er über Bahn- und Duisburger Straße gelaufen ist, kam er an exakt einem toten Schlot vorbei - dem Schornstein des Dujardin-Geländes, der in der Tat nicht mehr gebraucht wird, außer als Teil eines mittlerweile als Restaurant und Ausstellungsraum genutzten Ensembles. Dies dann "tot" zu nennen, ist schon ungnädig.

Auch ruinöse Industriebauten kann man sehen. Auf der Eisenbahnbrücke öffnet sich ein Panorama der Gegensätze: Rechts das Howinol-Gelände in all seinem Elend und all seiner vergangenen Pracht. Ein Jammer, dass da nix Neues entsteht. Allerdings öffnet sich nach links das helle Bild eines Industrieparks. "Wo sind die toten Schlote?", fragt Jakubowski dann auch, "ich sehe Industrie und qualmende Schlote, die zeigen, dass Wirtschaft hier funktioniert." In der Tat: Man muss auf der Brücke schon drei Viertel des Panoramas ausblenden, um sagen zu können, dass Deutschland hier kaputt aussieht. Eben das hat Autor Wüst getan; und so wurde der Eindruck aus dem Augenwinkel zum alles Beherrschenden - zur "Kulisse" für das ICE-Drama, das es zu erzählen galt. Diese Verengung hat Wüst ja auch eingeräumt, als er seine Beschreibung als "drastisch" und "sicher zu polarisierend" bezeichnete.

Für Jakubowski ist diese Art Zuspitzung um der Erzählung willen nicht zulässig. "Wo sind hier die mit Brettern zugenagelten Trinkhallen?", fragt er unerbittlich weiter. Fenster, die sichtlich nicht mehr als Fenster dienen, finden sich nur am Uerdinger Bahnhofsgebäude. Der Komplex sieht mit den abblätternden Plakaten in der Tat wenig einladend und viel ruinöser aus, als er in Wahrheit ist. Dennoch ist der Bahnhof weder zugenagelt noch eine Trinkhalle.

Man sieht auf dem Weg zu Siemens bestenfalls Trinkhallenähnliches, und zwar auf der zweiten möglichen Route, wenn man sich von der Rückseite des Bahnhofs über die Lange Straße zu dem Werk aufmacht. Dort finden sich "Pitters Frittenschmiede", eine Pommesbude, sowie ein Döner-Imbiss, aber keine zugenagelte Trinkhalle.

So bleibt Jakubowski bei seinem Urteil: Der Satz über Uerdingen entspringt einer bestenfalls dichterisch zu nennenden Freiheit - mit der Realität hat er wenig zu tun. Wüst hat zugesagt, sich, wenn er Zeit hat, Jakubowskis Uerdingen zeigen zu lassen. Das wahre Uerdingen.

Die echten Problemzonen des Stadtteils, der sich selbst immer noch stolz Rheinstadt nennt, sieht Jakubowski nicht entlang des Weges zu Siemens, sondern am Rheinufer, wo das Wohn- und Gewerbeprojekt "Rheinblick" entstehen soll - "Rheinblick muss kommen", sagt er dann auch beschwörend, "es dauert schon viel zu lange". Er bekräftigt die Forderung, die von Leerständen geplagte Oberstraße wieder für den Autoverkehr freizugeben, und kritisiert, dass es in Uerdingen zu viele Parkuhren gebe.

So kommt man schließlich wieder auf dem harten kommunalen Pflaster des wahren Uerdingen an - auch ein Weg, die Geisterstadt des "Spiegel" hinter sich zu lassen.

(RP)
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