Krefeld Büchner-Preisträger beeindruckt

Krefeld · Literaturpreisträger Friedrich Christian Delius las in der vollen VHS – passend zur Ausstellung "Familien Orte". In gleichmäßig fließendem Ton beeindruckte er mit seiner Erzählung "Bildnis der Mutter als junge Frau"

 Friedrich Christian Delius in der VHS: "Hier höre ich auf, auch wenn der Satz noch nicht beendet ist", sagte er nach 45 Minuten Lesung.

Friedrich Christian Delius in der VHS: "Hier höre ich auf, auch wenn der Satz noch nicht beendet ist", sagte er nach 45 Minuten Lesung.

Foto: b.königs

Sehr gut gefüllt war das Foyer der Volkshochschule. "Angemessen zahlreich", wie Moderator Theodor Pelster sich freute, waren die Krefelder Literaturfreunde zur Lesung von Friedrich Christian Delius (69) erschienen. Gute Kontakte - dank Hans Bungarten – zwischen Krefeld und Rom führten den Büchner-Preisträger mit seiner 2008 erschienenen Erzählung "Bildnis der Mutter als junge Frau" nach Krefeld. Dass das Thema in die Reihe "Familien Orte" passt, kam hinzu.

Delius lässt die 21-jährige werdende Mutter, die in Rom in einem Gastzimmer im Heim der Kaiserswerther Diakonissen lebt, in der Januarsonne des Jahres 1943 "durch die Stadt aller Städte" gehen. Der Vater des Kindes ist trotz Verwundung von seiner Jungpfarrer-Tätigkeit von Rom wegkommandiert worden in eine Schreibstube nach Afrika. Zuvor hat er dem "naiven mecklenburgischen Landmädchen" noch etwas über Architektur und Geschichte der Stadt erklären können, so den "Meeresgott mit der Gabel". Die schwangere Frau spricht nur Deutsch, sieht die Römerinnen vor der Bäckerei Schlange stehen, erkennt den Mangel überall und die Wandzeitungen mit Siegesparolen. Und hat ein peinliches Erlebnis mit einem Grapscher. In katholischen Ländern komme das öfter vor, hatte der Mann sie brieflich beruhigt, und sie ist, nachdem sie den Papst sah, "froh, dass wir Martin Luther hatten".

Delius liest in gleichförmigem Tonfall, in stetem Fluss der Wörter, die zu langen Sätzen geformt sind. "Hier höre ich auf, auch wenn der Satz noch nicht beendet ist", sagte er nach 45 Minuten. Vaters Briefe, ein Fotoband über Rom im Krieg und Archivrecherchen hätten ihm beim Schreiben geholfen, sagte Delius in der anschließenden Fragerunde. Seine Mutter hatte wenig erzählt, die Idee zum Buch sei ihm zu spät gekommen. "Fragt sie jetzt", rief er auf, noch beizeiten mit Zeitzeugen zu reden.

Moderator Pelster wandte noch provozierend ein, der öftere Ausspruch der Frau "Wie gut ich es habe" sei wohl nicht ehrlich. "Ich wollte ihr eine Stimme geben", sagt Delius, "aber ich behaupte nicht, dass ich die Gefühle meiner Mutter kenne, und es ist egal, ob das Buch 100 Prozent meine Mutter ist." Durch Literatur würde eine neue Wirklichkeit geschaffen, und dass er aus der Perspektive einer Frau schreiben könne, habe er schon früher bewiesen. Warum er nicht aus der Sicht des Vaters geschrieben habe, war nämlich eine der Fragen. Der Abend ging nicht ohne Büchersignaturen aus, auch in das neueste Buch "Als Bücher noch geholfen haben", das der mitveranstaltende "Andere Buchladen" bereithielt, schrieb Delius seine Grüße.

(pen)
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