Krefeld Blinde Seniorin geschubst

Krefeld · Eine 77-jährige Krefelderin berichtet von üblen Beschimpfungen, andere Sehbehinderte haben Angst vor Übergriffen und gehen deshalb ohne Blindenstock aus dem Haus. Viele Passanten sähen weg.

Hella Stockhorst ist blind. Trotzdem findet sie sich in ihrer Umgebung gut zu recht. Die 77-Jährige hat gelernt, mit ihrer Behinderung zu leben. Das schützt sie jedoch nicht vor verbalen Attacken einiger Mitmenschen. An einen Vorfall erinnert sich die Krefelderin besonders. „Ich hatte den Blindenstock in der Hand und bin der Blindenspur an der Neusser Straße gefolgt. Plötzlich hörte ich Jugendliche. Die jungen Leute sprachen akzentfrei deutsch.“ Höflich habe sie den Jugendlichen gesagt, dass sie auf der Blindenspur stünden. Die Reaktion sei heftig gewesen: „Der Alten müsste man eine in die Schnauze hauen. Die soll uns Platz machen. Die erkennt uns sowieso nicht wieder.“ Erst als sich andere Passanten näherten, habe sich die Gruppe davon gemacht.

Aus Angst ohne Blindenstock

„Von solchen Vorfällen habe ich bisher in Krefeld nichts gehört“, sagt Susanne Hennings, Vorsitzende des Blinden- und Sehbehinderten Vereins Krefeld. „Allerdings haben mir Mitglieder erzählt, dass sie aus Angst vor Übergriffen lieber ohne den weißen Blindenstock aus dem Haus gehen.“

Hella Stockhorst hatte zahlreiche solcher Erlebnisse. Schon öfter wurde sie wegen ihres Handicaps Opfer von Verbalattacken, wurde trotz auffälliger Blindenbinde angerempelt und geschubst. „Mit der Zeit bekommt man ein dickes Fell“, erklärt sie. „Aber emotional belastet es mich natürlich schon.“ So wie in diesem Jahr, als sie im Urlaub in einen Bus einsteigen wollte und von hinten ein Mann drängelte. Als sie ihm sagte, dass es nicht schneller gehe, habe sie zur Antwort bekommen: „Dann bleiben Sie doch zu Hause.“

Dabei kann es jeden treffen. Hella Stockhorst erblindete vor 35 Jahren nach einem Unfall. Sie rutschte auf nassem Bohnerwachs aus und stieß mit dem Kopf gegen die Wand. Ein harmloser Sturz, so scheint es, doch er veränderte ihr Leben. Seit diesem Tag kann die heute 77-Jährige nichts mehr sehen, musste sich die Welt neu erschließen, einfachste Handgriffe neu erlernen. Nicht immer waren ihr die Mitmenschen dabei eine Hilfe. Als sie kurz nach dem Unfall mit der Tochter im Kinderwagen den Ostwall überqueren wollte, pöbelte sie ein Autofahrer an: „Wenn du blöde Sau nicht sehen kannst, dann darfst du dich nicht auch noch vermehren.“ Die Erinnerung daran schmerzt die Seniorin bis heute.

In Krefeld gehören Vorfälle wie dieser zu den seltenen Extremfällen. „Es kann allerdings sein, dass sich Betroffene nicht trauen, etwas zu sagen“, überlegt Dr. Wolfgang Kämmerer, Mitglied des Seniorenbeirats der Stadt Krefeld. Das könnte sich auch Hella Stockhorst vorstellen. Sie hofft, dass es in Zukunft mehr Menschen geben wird, die Mut zur Zivilcourage beweisen. Damit Rüpel keine Chance haben.

(RP)
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