Krefeld Bernd Scheelens Bilanz: "Gerhard Schröder war natürlich sauer"

Krefeld · Der SPD-Politiker ist für den Einsatz für Kommunen geehrt worden. Im Interview blickt er auf eine bewegte Abgeordnetenzeit zurück – inklusive Streit mit dem Kanzler.

Bilder aus dem Leben des Bernd Scheelen
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Der SPD-Politiker ist für den Einsatz für Kommunen geehrt worden. Im Interview blickt er auf eine bewegte Abgeordnetenzeit zurück — inklusive Streit mit dem Kanzler.

Herr Scheelen, 19 Jahre waren Sie Bundestagsabgeordneter für Krefeld. Wenn Sie zurückblicken: Was war die bewegendste Zeit?

Bernd Scheelen Das war sicherlich die, in der ich mit meiner eigenen SPD-Regierung den berühmten Knatsch wegen der Gewerbesteuer hatte, die Schröder abschaffen wollte, in der Sommerpause 2003. Vorher hatten wir als rot-grüne Koalition einen Antrag zur Gewerbesteuer gemacht, wie im Koalitionsvertrag vereinbart — der Fluss der Gewerbesteuern an die Kommunen sollte verstetigt werden. Dies war aber nicht im Sinne der Regierung um SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Schröder hat in dieser Zeit mit Wolfgang Clement und Hans Eichel in Hannover am Maschsee beschlossen, dass das von der Wirtschaft favorisierte Modell der Kommunalfinanzierung durchgesetzt wird. In dieser Zeit rief mich ein Journalist an und fragte mich nach meiner Meinung. Da ich mal bei der Bundeswehr war, kannte ich mich mit militärischer Diktion aus und habe gesagt, dass wir Abgeordnete, Zitat, nicht gleich die Hacken zusammenknallen, wenn die Regierung was will. Dazu kamen noch ein paar andere freche Formulierungen.

Was war die Konsequenz?

Scheelen Schröder war natürlich sauer. An dem Tag, als das Interview erschien, kamen viele Journalisten zu mir nach Krefeld. Ich habe denen dann in Krefeld auch gezeigt, warum Kommunen sichere Gewerbesteuerflüsse brauchen — wir haben zum Beispiel Schlaglöcher besichtigt. So lief das sechs bis acht Wochen lang, bis Schröder irgendwann sagte: Macht doch, was ihr wollt. Die Gewerbesteuer war gerettet, aber letztlich geändert wurde unser Anliegen dann erst in der Großen Koalition. Danach war die Gewerbesteuer deutlich schicker als vorher.

Seit dieser Episode tragen Sie den Titel "Mr. Kommunalfinanzen". Für diese Episode hat sie der Deutsche Städtebund gerade erst geehrt.

Scheelen So eine Aktion sorgt natürlich für Bekanntheit. Ich bekam plötzlich Anrufe aus dem Süden von Leuten, die sagten: Hey, wir waren zusammen bei der Bundeswehr. Seitdem war ich auch bei vielen Bürgermeistern in NRW populär.

So einen Konflikt mit der Regierung wie bei der Gewerbesteuer kann man nicht jeden Tag wagen. War es als Politiker nicht schwierig, seine Positionen hinter denen der Fraktion oder Regierung zurückzustellen?

Scheelen Klare Antwort: Es gibt keinen Fraktionszwang, nur eine Fraktionsdisziplin. Man tauscht sich vorher in der Fraktion aus, streitet sich und stimmt dann über das Thema ab. Da gibt es dann das Abkommen, dass die unterlegene Minderheit die Position der Mehrheit in der Fraktion mit vertritt. In Sachfragen finde ich das auch völlig unproblematisch. In Gewissensfragen wiederum, Kosovo-Einsatz, Afghanistan-Einsatz, gibt es diesen Zwang nicht. Ich habe in beiden Fällen für den Einsatz gestimmt — die Rolle Deutschlands hat sich gewandelt.

Mit wem sind Sie in Ihrer Abgeordnetenzeit politisch am häufigsten aneinandergeraten?

Scheelen Für Krefeld, ganz klar: Herr Fabel. Das ist kein Geheimnis, die Abneigung beruht sicher auf Gegenseitigkeit. Auf der Bundesebene findet man solche persönlichen Angriffe, wie auf lokaler Ebene, nur sehr selten. Mit Kanzler Schröder bin ich insofern aneinandergeraten, als dass ich in einer Sache die Fraktion hinter meine Position gebracht habe — daraus entstand aber keine menschliche Abneigung.

Gab es Freunde oder Verbündete?

Scheelen Freunde habe ich noch aus der Schulzeit; in der Bundespolitik bilden sich kaum persönliche Freundschaften. Dort braucht man Verbündete, die so ticken, wie man selber tickt. Da gab es jede Menge in meiner Fraktion: Franz Müntefering zum Beispiel, der hat die Kommunalpolitik sehr nach vorne gebracht. Er hat immer gesagt: "Die Kommunen sind das Fundament der Demokratie" — diesen Satz habe ich von ihm übernommen. Auch Peter Struck war ein Verbündeter. Er hatte ein Herz für die Kommunalpolitik, war früher Kommunalbeamter. Deshalb fand ich es auch sehr nett, dass er bei meiner Verabschiedung als Parteivorsitzender als Überraschungsgast eingeladen wurde.

Sie waren früher Pharmareferent - der Pharmabranche sagt man gute Lobbyarbeit nach. Wie frei fühlt man sich als Abgeordneter, wenn man von Lobbyisten umschwebt wird?

Scheelen Bestechungsversuche gab es nicht, ich habe immer drauf gewartet, aber es kam nichts. Im Ernst: Man ist als Abgeordneter total frei, und das ist das Gute. Man kann das vertreten, was man für richtig hält.

Wie kam es eigentlich, dass Sie, der ehemals als Pharmareferent tätig war, in den Finanzausschuss des Bundestags gegangen sind?

Scheelen In den Gesundheitsausschuss wollte ich nie gehen, da hätte man mir eine zu große Nähe zu meinem alten Beruf nachgesagt. Man hat mir eine Mitgliedschaft im Landwirtschaftsausschuss vorgeschlagen, das fand ich aber nicht so prickelnd, denn Krefeld ist ja im Kern eine industriell geprägte Stadt. Letztlich wurde es der Finanzausschuss, und das fand ich auch gut. Damals habe ich gedacht: Meine Steuererklärung kann ich selber machen, dann kann ich auch in den Finanzausschuss gehen.

Mit den Positionen zu Kommunalfinanzen, für die Sie öffentlich bekannt geworden sind, hätten Sie auch in der CDU sein können. Als Mahner für mehr soziale Gerechtigkeit sind Sie — so meine Beobachtung — selten aufgetreten.

Scheelen Ich bin eben kein Rechts-Links-Denker, sondern Pragmatiker. Für mich ist das Thema Kommunalfinanzen im Übrigen eine große Gerechtigkeitsfrage: Die reichen Städte werden immer reicher und die armen immer ärmer, wenn man das laufenlässt. Aber die Städte werden aus meiner Sicht ja nicht reicher, weil sie so gut sind, sondern weil es strukturelle Unterschiede in Deutschland gibt.

Thema Parlament. Wie viele Sitzungen kann man als Abgeordneter des Bundestags in der Legislaturperiode überhaupt besuchen?

Scheelen Man kann nicht den ganzen Tag da sitzen. Ich war aber relativ oft im Plenum, habe Hunderte Sitzungen besucht. Bei den Fachdebatten war ich grundsätzlich — natürlich bei Regierungserklärungen, aber auch, wenn der Fraktionschef sprach; der braucht eine Kulisse. Dann waren wir auch da. Ich sage meinen Besuchern in Berlin immer: Der Platz im Plenum ist ein Sitzplatz, aber kein Arbeitsplatz.

Gibt es Strategien, wie man sich als Abgeordneter im Parlament bei Laune hält, wenn man in einer Debatte lange sitzen muss.

Scheelen Ganz klar: Wenn man sich entscheidet dahinzugehen, ist man verpflichtet, auch zuzuhören. Sudoku auf der Regierungsbank wie Schäuble — das geht gar nicht. Ich habe auch schon Fraktionskollegen von mir gesehen, die während einer Rede ein Spiel spielten. Dafür habe ich wenig Verständnis.

Welche Redner haben Sie gerne gehört?

Scheelen Friedrich Merz war ein brillanter Redner. Oder Christian Lindner von der FDP — dem kann man gut zuhören. Joschka Fischer war sehr gut, Gerhard Schröder auch.

Und Ihre erste eigene Rede garnierten Sie mit einem Bibelzitat.

Scheelen Eine kuriose Geschichte: Meine erste Rede war im Mai 1995, da war ich 46 Jahre alt und ein halbes Jahr Mitglied im Bundestag. Im Finanzbereich hatte ich vorher eine Rede von Theo Waigel als Finanzminister gehört, in der er sagte, er sehe sich als Nachfolger der Zöllner. Da habe ich Pfarrer Stockkamp in der Fischelner Markuskirche angerufen und habe ihm gesagt: Ich bastle an einer Rede, in der von Jesus und Zöllner Zachäus die Rede ist. Wo steht das nochmal in der Bibel? Pfarrer Stockkamp wusste gleich bescheid: Lukas 15. In der Bibel ist an dieser Stelle von Zachäus als Sünder die Rede. Also habe ich in meiner Rede herauszuarbeiten versucht, dass sich Waigel mit dem sündigen Zöllner vergleicht.

Das muss für Sie ein kleiner Coup gewesen sein. Die CDU definiert sich über das Christliche, und dann kommt ein neuer SPD-Abgeordneter, und zitiert die Bibel.

Scheelen Absolut. Aber ich habe das ja auch nicht ohne Hintergrund gemacht. In meiner Jugendzeit habe ich viel in der Markuskirchengemeinde gemacht. So kannte ich mich in Bibeltexten ganz gut aus.

Sind Sie heute noch gläubig und regelmäßiger Kirchgänger?

Scheelen Ich bin als evangelischer Christ geboren und sehe keine Veranlassung, das infrage zu stellen. Die Bibel gibt einem auch als Abgeordneter einen Kompass. Die Kirche ist guter Wertevermittler; das hat auch viel mit Sozialdemokratie zu tun. In den Jahren als Abgeordneter war aber oft keine Zeit, sonntags die Kirche zu besuchen. Das werden wir, meine Frau und ich, jetzt sicher öfter wieder machen.

Stichwort Wertevermittlung. Haben Sie selbst ein Vorbild?

Scheelen Ich bin 1972 eingetreten in die SPD wegen Willy Brandt.

Das sagen sie alle...

Scheelen Ist aber so. Der war eine Ikone damals, die neue Ostpolitik hat Deutschland politisch sehr gespalten. Nachdem Willy Brandt den Friedensnobelpreis bekam und die CDU ihn stürzen wollte, hat meine Frau gesagt: So geht das nicht, jetzt müssen wir ein Zeichen setzen. Ich war damals schon 24 Jahre alt, sie 22. Als sie eintrat, habe ich gesagt: Meld' mich gleich mit an.

Sie sind spät in die Politik gegangen.

Scheelen Ich war aber schon immer politisch, schon in der Schulzeit am Moltke-Gymnasium. Da war ich auch Redakteur der Schülerzeitung. Wir waren revolutionär für damalige Verhältnisse. Benno Ohnesorg, Schah-Besuch — darüber habe ich in der Schülerzeitung ,Kontakte' sehr kritische Dinge geschrieben. Ich hätte mir auch immer gut vorstellen können, Journalist zu werden.

Wie haben Sie die Zeit außerhalb der Abgeordnetentätigkeit verbracht?

Scheelen Ich habe mir für die Zeit eine Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin gekauft — 34 Quadratmeter, mit Klappbett. Da habe ich abends oft noch weiter gearbeitet. Viel rausgehen, das war in dieser Zeit nicht. Wenn die Fraktionen mal Feten geschmissen haben, bin ich natürlich hingegangen. Aber da war ich um zehn auch wieder weg. Wo soll man danach noch hin. Kneipe? Bin ich nicht der Typ für. Das war auch immer das Problem, wenn Leute aus Krefeld nach Berlin kamen. Die haben immer gefragt: Wo kann man ausgehen? Ich musste immer sagen: Sorry, ich arbeite hier nur. Das wollten mir nur wenige glauben.

Jetzt haben sie im Ruhestand viel Zeit — gab es eigentlich nie die Idee, Oberbürgermeister Krefelds zu werden?

Scheelen Es gab immer Leute, die gesagt haben, ich solle das doch mal machen. Aber ich habe nie in einer Verwaltung gearbeitet, traute mir deshalb das Führen von 3000 Mitarbeitern nicht unbedingt zu.

Was macht Bernd Scheelen jetzt mit der neu gewonnenen Freizeit?

Scheelen Meine Frau wird 2014 aus dem Schuldienst ausscheiden. Dann wollen wir reisen und das tun, was zu kurz gekommen ist.

(RP)
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