Angriff von Russland Ukraine-Demo: Pfiffe für eine Rednerin
Krefeld · Der Zuspruch war überraschend, die Kundgebung teils bewegend, teils kontrovers: Amnesty International hat mit Unterstützung aus dem Rat zu einer Kundgebung vor dem Rathaus aufgerufen. Es gab für eine Rednerin Pfiffe, weil sie indirekt der Nato eine Mitschuld am Krieg gab.
Gleich zum Auftakt folgte der erste Gänsehautmoment bei der Kundgebung auf dem Rathausplatz am Donnerstagabend. Sängerin Silja Steffestun-Gottschalk und Carl Wernecke stimmten gemeinsam den bekannten John-Lennon-Song „Imagine“ an. Die Teilnehmer sangen teils laut mit. Handgezählte fast 200 Personen waren trotz zu Beginn starken Regens, Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und eines eisigen Windes gekommen, um gemeinsam ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und für Frieden in Europa zu setzen. Bemerkenswert ist, dass die Veranstaltung erst am späten Nachmittag angemeldet und dazu aufgerufen wurde. Dass dennoch so viele Menschen kamen, die sogar dem widrigen Wetter trotzten, überraschte sogar die Veranstalter selbst.
Angemeldet hatte die Kundgebung die parteilose Ratsfrau Björna Althoff. Organisiert hatte sie sie gemeinsam mit Amnesty-International-Aktivist Peter-Michael Friedrichs. Der hielt dann auch die erste Ansprache. „In mindestens einem Fall zeigen Videoaufnahmen aus der Stadt Charkiw das Heckteil einer von einem schweren Smertsch-Mehrfachraketenwerfer abgefeuerten Rakete, das aus einem Bürgersteig ragt. Vorsätzliche Angriffe auf Zivilpersonen und ziviles Eigentum sowie wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen getötet oder verletzt werden, stellen Kriegsverbrechen dar. Amnesty fordert die unbedingte Einhaltung der internationalen Menschenrechtsnormen und des humanitären Völkerrechts“, sagte er.
Noch klarer in seinen Forderungen wurde David Adelmann, der ansonsten für Fridays for Future und die grüne Jugend aktiv ist. Er forderte viel härtere Sanktionen gegen Aggressor Russland. „Es kann nicht sein, dass gegen Putin persönlich noch keine Sanktionen verhängt sind. Russland muss aus dem SWIFT-Abkommen, das den internationalen Zahlungsverkehr regelt, ausgeschlossen werden. Wir leben in Zeiten, in denen mehr Menschen in Autokratien als Demokratien leben. Umso mehr müssen wir Demokratien wie in der Ukraine, gegen Übergriffe von Autokraten verteidigen“, rief er in einer emotionalen Rede und mahnte: „Auf keinen Fall darf in einigen Wochen davon gesprochen werden, Grenzen gegen Flüchtlinge aus der Ukraine dicht zu machen.“
Weniger harmonisch war der Auftritt von Ingrid Vogel vom Krefelder Friedenschor. Sie holte etwas aus und wollte auch die russische Seite betrachten. Dafür sprach sie von einer „Einkesselung Russlands seitens der Nato“. Dafür erntete sie Pfiffe und Buhrufe. Die Stimmung wurde etwas aufgeheizt, worauf Friedrichs einschritt und ihr kurzerhand das Mikrofon abnahm. Die Episode zeigte deutlich: Der Tag des Einmarsches Russlands war nicht der Tag, um Verständnis für Putins Russland zu zeigen. Fraglos wird und muss dieser Tag alsbald wieder kommen, aktuell jedoch lassen Wut, Verzweiflung und Sorge der Menschen diese Gedanken kaum zu. Besser schaffte den Bogen Adelmann: „Auch in Russland gehen derzeit – durchaus unter Gefahr – Menschen auf die Straße. Es ist nicht Russland, nicht das russische Volk, das angreift, sondern ein größenwahnsinniger Autokrat“, sagte er klar und traf damit weit mehr die Gefühle der Zuhörer. Basri Cakir von der Linken kritisierte das Vorgehen Friedrichs hinterher als ungeschickt. In der Situation und ob der ungehaltenen Reaktionen der Teilnehmer aber war es wohl alternativlos.
Zu den Besuchern der Kundgebung gehörten neben vielen Krefelder Bürgern auch Vertreter fast aller Ratsparteien. Eine grüne Phalanx um Bürgermeister Karsten Ludwig, die Fraktionsvorsitzende Julia Müller oder den Parteivorsitzenden Benjamin Zander und Bundestagskandidatin Ulle Schauws bildeten die größte Abordnung. Die SPD wurde unter anderem durch den ehemaligen Bezirksvorsteher Wolfang Merkel und Ratsfrau Stella Rütten vertreten. Für die CDU war die Landtagsabgeordnete Britta Oellers zugegen. Marc Blondin übermittelte Grüße und Unterstützung, konnte aber ob der Kurzfristigkeit nicht teilnehmen. Andreas Drabben, Salih Tahusoglu und natürlich Althoff repräsentierten die Kleinparteien. Auch die Partei Die inke war vertreten.
Zum Abschluss der gut halbstündigen Veranstaltung sangen Steffestun-Gottschalk und Wernecke nochmals „Imagine“. Diesmal riefen sie zuvor die Anwesenden auf, den Text auf dem Handy aufzurufen und mitzusingen. Improvisiert sang Steffestun-Gottschalk von einer hinter den Besuchern aufgestellten separaten Anlage in einem Wechselgesang mit ihrem Gesangspartner: Eine schöne, eine bewegende Darbietung zweier engagierter Musiker. Dennoch: Die Gefühle, mit denen die Menschen den Heimweg antraten, waren eher schwer und sorgenvoll, auch wenn der starke Regen zwischenzeitlich aufgehört hatte. Die Sorge um die Zukunft war spürbar.