Einzigartiges Pilotprojekt Behinderte helfen in Krefelder Altenheim

Krefeld · In einem Krefelder Seniorenheim arbeiten 23 Menschen mit Behinderung. Sie assistieren in der Hauswirtschaft, beziehen Betten, sortieren Wäsche - und sorgen für gute Stimmung im Haus. Das Projekt ist NRW-weit einzigartig.

 Nur eine Tätigkeit von vielen: Ralf Graf (v.) hängt in Ruth Lehmanns Zimmer Gardinen auf, Haustechnikleiter Peter Janßen gibt Tipps.

Nur eine Tätigkeit von vielen: Ralf Graf (v.) hängt in Ruth Lehmanns Zimmer Gardinen auf, Haustechnikleiter Peter Janßen gibt Tipps.

Foto: Andreas Bretz

Es ist Dienstagmorgen und Ruth Lehmann bekommt frischgewaschene Gardinen. Ralf Graf weiß, was zu tun ist. Er holt die weißen Stoffbahnen aus dem Wäscheraum im Keller, dann bringt er sie in Ruth Lehmanns Zimmer im Krefelder Seniorenheim Cornelius-de-Greiff-Stift an. "Gut gemacht", lobt Haustechnikleiter Peter Janßen - und Graf strahlt. "Danke", murmelt der 58-Jährige. Man muss sich ein bisschen Mühe geben, um ihn zu verstehen. Lesen und schreiben kann er nicht. Seit zehn Jahren arbeitet er hier. Möglich macht das sein Arbeitgeber, das Heilpädagogische Zentrum (HPZ) Krefeld Kreis Viersen, eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung.

23 Mitarbeiter des HPZ sind im Cornelius-de-Greiff-Stift tätig, drei Gruppenleiter koordinieren ihren Einsatz. Sie erstellen Schichtpläne und betreuen die HPZ-Mitarbeiter pädagogisch und fachlich. Eine von ihnen ist Tatjana Masold. Sie sagt: "Zwischen den HPZ-Mitarbeitern und den Angestellten des Stifts besteht ein richtiges Miteinander." Seit 2008 arbeiten HPZ und städtisches Seniorenheim zusammen. "Sowohl die Anzahl der Mitarbeiter als auch ihre Aufgaben zeigen, dass das ein ganz besonderes Projekt ist", sagt Heimleiter Malte Wulbrand.

„Vieles ist möglich“

Das bestätigt die NRW-Landesbeauftragte für Behinderte, Claudia Middendorf: "Das Konzept, behinderte Mitarbeiter so einzubinden, ist einzigartig." Im Land arbeiteten im vergangenen Jahr mehr als 80.000 Menschen in Werkstätten, die aufgrund von Behinderungen oder psychischen Erkrankungen nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt tätig sein können. Die Tätigkeiten sind vielfältig, sagt Middendorf, die selbst 17 Jahre lang eine Werkstatt geleitet hat: "Von der Druckerei über die Autopflege bis hin zum Kantinenbetrieb oder zur Landwirtschaft ist vieles möglich."

Knapp 4400 Außenarbeitsplätze gibt es in NRW - darunter die 23 Stellen im Cornelius-de-Greiff-Stift. Auch existieren für die Mitarbeiter viele Aufgabenbereiche, sagt die Leiterin des Krefelder HPZ-Standortes, Brigitte Werner - etwa im Wäsche- und Zimmerservice, bei der Essensausgabe, in der Großküche und in der Betreuung der Wohngemeinschaften innerhalb des Stifts.

Im Wäscheraum hat heute HPZ-Mitarbeiterin Johanna Studenkin Spätdienst. Die 21-Jährige sortiert die gewaschenen Kleidungsstücke der Senioren. Wie alle anderen Mitarbeiter trägt sie Arbeitskleidung und ein Namensschild des Seniorenstifts. "Das war von Anfang an so, ein wichtiges integratives Signal", sagt Brigitte Werner. In einem der Einzelzimmer ist derweil Lisa Frenken im Einsatz. "Ich schüttele die Betten auf, wische Oberflächen ab und schaue, dass alles schön ist", erzählt die 26-Jährige. Für Pflegefachkraft Daniela Feser ist das eine große Entlastung: "Wir haben viel mehr Zeit für die Bewohner."

Das sieht auch Peter Janßen so. In der Haustechnik helfen die HPZ-Mitarbeiter bei kleinen Reparaturen. "Mit ihnen zu arbeiten ist nicht nur eine Hilfe, sondern auch eine große Freude", sagt Janßen. Es herrsche eine freundlichere, gelöstere Stimmung im Haus: "Wir sind alle Kollegen hier." Heimleiter Wulbrand ist das wichtig: "Die HPZ-Mitarbeiter sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Unternehmens." Dabei sei die Umsetzung des inklusiven Arbeitens nicht immer einfach: "Was dürfen die HPZ-Leute - und was nicht? Wie gestalten wir die Zusammenarbeit? Solche Fragen beschäftigen uns bis heute."

Es muss für beide Seiten passen

Damit im Alltag alles reibungslos klappt, werden die behinderten Mitarbeiter regelmäßig geschult. Vor Dienstbeginn machen zudem alle ein mehrwöchiges Praktikum, "um zu schauen, ob es für beide Seiten passt", sagt Brigitte Werner. Die Schulungen gibt es etwa für den Zimmerservice, fürs Tischdecken, für den Saftautomat und fürs Wäsche sortieren - aber auch für den Umgang mit Demenzerkrankten und Hygieneregeln.

Die meisten der HPZ-Mitarbeiter im Seniorenheim haben der Werkstattleiterin zufolge kognitive Einschränkungen: "Das kann von einer Lernbehinderung oder Konzentrationsschwäche bis zu einer geistigen Behinderung gehen." Insgesamt beschäftigt das HPZ allein am Krefelder Standort 650 behinderte Mitarbeiter. Diese bekommen von der Werkstatt ein kleines Gehalt: Bundesweit sind es im Durchschnitt rund 150 Euro pro Monat.

Form der Wertschätzung

Die HPZ-Mitarbeiter im Krefelder Seniorenheim verdienen Werner zufolge doppelt so viel und gehören damit "im Werkstattgefüge zu den Spitzenverdienern". Dennoch sei das kein Lohn, der zum Leben reiche. Die Werkstätten könnten aber immer nur das ausschütten, was insgesamt erwirtschaftet werde. Viele Mitarbeiter bekämen dazu Grundsicherung, mit der dann Zusatzzahlungen wie etwa Weihnachtsgeld oder Prämien verrechnet würden.

Zu wenig, finden auch die Werkstatträte des Verbands der niederrheinischen Werkstätten. Sie forderten bei einem Gespräch mit der Landesbeauftragten im April aber nicht nur höhere Löhne - sondern auch mehr Anerkennung für ihre Arbeit. "Meine Kollegen leisten hervorragende Arbeit. Wir finden, dass das auch in der Öffentlichkeit so gesehen werden sollte", sagte Pascal Simons, der in einer Werkstatt der Lebenshilfe in Heinsberg arbeitet. Forderungen, die Middendorf gut nachvollziehen kann: "Die produktive Arbeit von Werkstatt-Mitarbeitern sollte anerkannt werden." Auch ein höherer Lohn könnte dazu beitragen: "Das hat schließlich auch etwas mit Wertschätzung zu tun."

Im Cornelius-de-Greiff-Stift hat Ralf Graf am frühen Nachmittag Feierabend. Auf dem Weg nach Hause geht er im Eingangsbereich an einem Brief vorbei, den er anlässlich seines zehnjährigen Dienstjubiläums vor wenigen Wochen schreiben ließ und der seitdem dort ausgestellt wird. Darin heißt es: "Ich helfe gerne. Wenn ich sehe, dass Bewohner Hilfe brauchen, sage ich Bescheid. Ich freue mich immer, hier zu arbeiten."

(kess)
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