Nachfahren amerikanischer Soldaten besuchen Krefeld Wo der Vater kämpfte und Baseball spielte

Krefeld · Im März 1945 befreiten amerikanische Truppen Krefeld von den Nazis. Drei Kinder dieser Soldaten haben nun die Orte besucht, an denen ihre Väter waren. Es gab bewegende Momente, schmerzhafte Geschichten – aber auch einige lustige Fotos.

 Der Nordwall in Krefeld, wo die Kompanie Jim Daniels bei deutschen Familien einquartiert war.

Der Nordwall in Krefeld, wo die Kompanie Jim Daniels bei deutschen Familien einquartiert war.

Foto: Markus Scholten

Als Steve Daniel seinen Vater fragte, wie viele Deutsche er getötet habe, erwiderte dieser, solche Fragen stelle man einem Soldaten nicht. Daniel fragte daraufhin nie wieder, las aber viele Bücher zum Zweiten Weltkrieg und entschied sich dazu, Krefeld zu besuchen. Wie auch die Väter von Sarah Birnbach und Carolyn Nelson war Daniels Vater Teil der amerikanischen Truppen, die Krefeld im März 1945 befreiten.

 Im Rathaus werden die Nachfahren empfangen. Rechts am Tisch Carolyn Nelson (von hinten), Steve Daniel und Sarah Birnbach.

Im Rathaus werden die Nachfahren empfangen. Rechts am Tisch Carolyn Nelson (von hinten), Steve Daniel und Sarah Birnbach.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Nur zwei Tage dauerten die Kämpfe, am Mittag vom 3. März 1945 galt Krefeld als von den Amerikanern eingenommen. Aus dem Tagebuch, das Ralph Nelson, Carolyn Nelsons Vater, in dieser Zeit schrieb, geht jedoch hervor, dass die Kämpfe chaotisch abliefen und amerikanischen Einheiten zwischendurch die Munition ausging. „Keiner weiß, wo was und wer war, nur die „Jerry“-Panzer treiben sich dort herum. An einer Straßenecke jubelt uns eine riesige Menschenmenge zu und feiert uns wie die Helden“, schrieb Ralph Nelson am 2. März. Sein Tagebuch entdeckten seine drei Kinder erst nach seinem Tod im Jahr 2006.

Keiner der drei Infanteriesoldaten, die inzwischen alle verstorben sind, kehrte jemals nach Krefeld zurück. Für ihre Kinder ist es das erste Mal in der Stadt. Eigentlich wollten Daniel, Birnbach und Nelson schon früher kommen, doch die Coronapandemie verhinderte ihre Reise. Die drei kannten sich vorher nicht, besuchen nun aber gemeinsam Orte, an denen ihre Väter gekämpft haben. „Diese Geschichte hat mich immer interessiert“, sagt Steve Daniels. „Vielleicht liegt es daran, dass ich vier Tage, bevor die Amerikaner nach Krefeld kamen, geboren wurde.“

 Ralph Nelson, der Vater von Carolyn Nelson.

Ralph Nelson, der Vater von Carolyn Nelson.

Foto: Stadt Krefeld

22 Jahre alt war Jim Daniel, Steve Daniels Vater, als er Krefeld erreichte. Nelsons Vater war 26, seine Tochter Carolyn hatte er mit ihrer Mutter in den USA zurückgelassen, seine drei Brüder kämpften ebenfalls in der Armee. Birnbachs Vater, Marvin E. Birnbach, der in New York aufwuchs und mit 18 in die Armee eingezogen worden war, war 20, als er in Krefeld ankam.

Die Kinder der Soldaten haben Fotos mitgebracht, die ihre Väter während des Krieges gemacht haben. Eines aus der Kollektion Daniels zeigt einen Soldaten mit heruntergelassener Hose, wie er sich vor einem Haus erleichtert. Die drei müssen lachen, während sie es sich gemeinsam anschauen.

Birnbachs Vater hat nach dem Krieg seine Erinnerungen aufgeschrieben. Darin beschreibt er unter anderem die Teebeutel, die ihm seine Familie schickte, die für ihn aber ohne warmes Wasser nutzlos waren, und das Essen, das die Soldaten bekamen. Es kam in Dosen und war aufgeteilt in drei Mahlzeiten. Zu der Frühstücksportion gehörte Toilettenpapier. Als Birnbach an Weihnachten 1944 Truthahn zu essen bekam, sei das die erste warme Mahlzeit seit langem gewesen.

 Marvin E. Birnbach (rechts), der Vater von Sarah Birnbach, hält gemeinsam mit Joseph O`Brien eine erbeutete Hakenkreuzflagge. Das Bild entstand am 3. März am Floraplatz, an der Ecke Freiligrathstraße.

Marvin E. Birnbach (rechts), der Vater von Sarah Birnbach, hält gemeinsam mit Joseph O`Brien eine erbeutete Hakenkreuzflagge. Das Bild entstand am 3. März am Floraplatz, an der Ecke Freiligrathstraße.

Foto: Markus Scholten

In seinen Aufzeichnungen beschreibt Birnbach aber auch die Propagandazettel, die die deutschen Soldaten auf die amerikanischen Stellungen schossen. Die Zettel zeigten Karikaturen von Schwarzen und Juden und beinhalteten Sätze wie: „Warum solltet ihr kämpfen und sterben, während diese Schwarzen und Juden es mit euren Frauen treiben?“ Einer der Zettel rief die Soldaten dazu auf, nach „juiceless Jews“, also faden Juden, in ihren Reihen zu suchen. Birnbach, der einzige Jude in seiner Truppe, bekam darauf den Spitznamen „Juiceless“.

 Der Soldat Jim Daniel, Vater von Steve Daniel, spielt in Höhe des Nordwall 58 mit seinem Kameraden nach dem Einmarsch Baseball, interessierte Krefelder schauen zu.

Der Soldat Jim Daniel, Vater von Steve Daniel, spielt in Höhe des Nordwall 58 mit seinem Kameraden nach dem Einmarsch Baseball, interessierte Krefelder schauen zu.

Foto: Markus Scholten

Für ihren Vater sei es schwer gewesen, von den anderen Soldaten diskriminiert zu werden, sagt Sarah Birnbach. Während des Besuchs in Krefeld trägt sie die Soldatenmarke ihres Vaters um den Hals. Auf diesen Marken stand neben dem Namen und der Blutgruppe auch die Religionszugehörigkeit der Soldaten. Für Birnbachs Vater wäre eine Gefangennahme durch deutsche Truppen damit vermutlich tödlich geendet.

Als Belohnung für seinen Einsatz wurde Birnbachs Vater direkt nach dem Kampf um Krefeld für drei Tage nach Paris geschickt. Von dort sei er völlig betrunken in einen Zug getragen und zum nächsten Einsatz geschickt worden, so schreibt er in seinen Aufzeichnungen.

Nelsons Vater blieb für etwa einen Monat in Krefeld. Die Stadt war zwar eingenommen, der Rhein bildete aber die neue Frontlinie. Für die amerikanischen Truppen war die Uerdinger Brücke entscheidend, da sie den Weg ins Ruhrgebiet und damit ins Herz der Industrie bedeutete. Anfang April überquerten die Alliierten dann auch diese Brücke.

Während seiner Zeit in Krefeld spielte Daniels Vater Baseball auf der Straße. Daniel, Birnbach und Nelson haben den Ort besucht, an dem das Bild davon entstand. „Es hat mich sehr berührt, diesen Ort zu sehen“, sagt Daniels. Auf dem Programm stehen aber auch Besuche anderer deutscher Orte, unter anderem Apweiler und Linnich, und Orte in den Niederlanden und Belgien. Darunter ist auch ein Friedhof, auf dem Freunde ihrer Väter beerdigt wurden. „Für mich ist es sehr besonders, ihre Gräber besuchen zu können“, sagt Carolyn Nelson.

Birnbach und Nelson möchten außerdem Gardelegen besuchen, wo die 102. Infanteriedivision, zu der ihre Väter gehörten, Überlebende von Todesmärschen befreite. Nach dem Krieg bekamen Marvin E. Birnbach, Ralph Nelson und Jim Daniel weitere Kinder. Ihre drei Ältesten kennen nun Krefeld.

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