Krefeld Bau-Kritiker liest Architekten die Leviten

Krefeld · In einem kritischen Vortrag hat Dankwart Guratzsch einen behutsamen Umgang mit dem architektonischen Erbe gefordert. Im Publikum saßen viele Architekten, Politiker, Stadtplaner und Bauverwaltungsleute.

 "Walter Gropius ist schuld", erklärte der Stadtplanungskritiker Dankwart Guratzsch den Zuhörern im vollen Saal des Südbahnhofs. Der Bauhaus-Gründer habe den Weg für anonymisiertes Bauen und die sozialen Probleme gelegt.

"Walter Gropius ist schuld", erklärte der Stadtplanungskritiker Dankwart Guratzsch den Zuhörern im vollen Saal des Südbahnhofs. Der Bauhaus-Gründer habe den Weg für anonymisiertes Bauen und die sozialen Probleme gelegt.

Foto: L. Strücken

Der Vortrag begann mit einer Art Publikumsbeschimpfung: "Wenn Architekten etwas Falsches bauen, dann steht es lange Zeit mahnend in der Stadt herum", begann der bekannte Stadtplanungskritiker Dankwart Guratzsch seinen Vortrag im Rahmen der CDU-Veranstaltungsreihe "Krefelder Dialog", zu dem auch viele Architekten, Verwaltungsleute und Politiker in den Südbahnhof gekommen waren.

"Gropius ist schuld!"

Achitekten müssten erst Lebenskunde, Soziologie und Ökologie studieren, bevor sie an die Reißbretter losgelassen würden, sagte Guratzsch. Die Kluft zwischen architektonischer Planung und den Bürgern als Nutzern werde immer tiefer.

"Walter Gropius ist schuld!", rief Guratzsch seinen Zuhörern im voll besetzten Saal des Südbahnhofs zu. Der Gründer des Dessauer Bauhauses habe versucht, an den Bedürfnissen der Bewohner vorbei das Bauen zu industrialisieren und damit die Grundlagen für das anonymisierte Wohnen in den Plattenbauten der Satellitenstädte mit ihren sozialen Problemen gelegt.

Charles Jeanneret, genannt Le Corbusier, habe noch eins draufgesetzt. Seine schnörkellose Architektur wählt die Funktionalität der Maschine zum Vorbild. Große gleichförmige Baukörper sollten das Wohnen weiter rationalisieren. Der Mensch geriet zum Zubehör der Planung, erklärte der Redner.

Den Durchbruch für diese "neue Stadt" brachte ironischerweise erst der Zweite Weltkrieg, dessen verheerende Bombardements den Planern die Flächen für ihren Traum vom lebenswerten Wohnen zur Verfügung stellten — der sich oft genug als Alptraum herausstellte. In der Zeit der großen Wohnungsnot nach dem Kriege nahmen die Bürger dann die neuen Trabentenstädte hin.

Stadtbewohner wehren sich gegen Verkehr

Mit dem demografischen Wandel der deutschen Gesellschaft laufe in der Vorstadt nicht mehr viel, erklärte Guratzsch dem Publikum. Bis 2030 werden laut Statistik in vier von fünf Haushalten nur noch zwei Menschen leben. Diese wollen geselliger leben und drängen in die Städte. Dasselbe gilt für die Alten. Diese wollen nicht mehr ins Grüne abgedrängt werden. Sie wollen solange es eben geht am städtischen Leben teilhaben. Dazu gehören kurze Wege, nahe Einkaufsmöglichkeiten, historische Gebäude, begrünte Straßen und Plätze.

Wohnen ist Teil der Selbstverwirklichung der Bürger geworden, und die Städte müssen umdenken, sonst droht die Abwanderung. Hatte man in den Jahren nach dem Kriege mit dem Abrissbagger weite Schneisen durch die Mitte der Städte geschlagen und viele historische Gebäude abgeräumt, die den Bomben getrotzt hatten, um die autogerechte Stadt zu verwirklichen, so wenden sich die heutigen Städter gegen das Primat des Verkehrs. In der Hauptstadt Berlin besitzt nur noch jeder Vierte ein eigenes Auto; 70 Prozent des Personenverkehrs wickelt der öffentliche Nahverkehr ab.

Krefelds Bausünden waren nicht Thema

Guratzsch beschreibt das Umsteuern zu der "Stadt der kurzen Wege", die Arbeitsplätze, Wohnungen und Infrastruktur vereinigt, als eine Rückkehr zu einer abwechslungsreichen baulichen Formensprache im Stil unserer Zeit. Die achselzuckende kölsche Lebensweisheit "Fott es fott" gilt seiner Auffassung nach nicht mehr. Nun soll Überkommenes bewahrt und ergänzt werden durch neue Kieze mit rückwärtigen Gartenlandschaften als Rückzugsort.

Es war Fluch und Segen zugleich, dass der Referent sich erst am folgenden Tage mit Ratsherrn Jürgen Wettingfeld auf einen kritischen Gang durch Krefeld aufmachen wollte. Die zahlreichen Krefelder Bausünden waren somit nicht Gegenstand der nachfolgenden Diskussion an diesem Abend, in deren Mittelpunkt Krefelds Weigerung stand, ein übergroßes Einkaufszentrum zu errichten.

(oes)
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