Theater Krefeld Ein Tanzabend wie gemalt

Krefeld · Bei der Premiere von Robert Norths „Farben der Welt“ gab es minutenlange Ovationen.

 Tänzer in der Farbenwelt von Henri Matisse: So bunt startet der neue Ballettabend.

Tänzer in der Farbenwelt von Henri Matisse: So bunt startet der neue Ballettabend.

Foto: Matthias Stutte

Blau. Rot. Gelb. Für den Maler Matisse reichten die Grundfarben aus, um ein Fantasie-Universum zu schaffen. In den 1940er Jahren, als er von seiner Krebserkrankung schwer gezeichnet war und nur stundenweise aufrecht sitzen konnte, hat er sein Kunstprinzip der Konzentration aufs Wesentliche in Scherenschnitten umgesetzt. Aus colorierten Papieren schnitt er Formen aus, setzte sie zu immer neuen Collagen zusammen. So entstanden Farbenkosmen mit Linien, Sternen, Klecksen – und seine berühmten Zirkus-Scherenschnitte.

Sie bieten das erste Bild eines Abends, für den  sich Ballettdirektor Robert North von den Gemälden vier wegweisender Künstler hat inspirieren lassen: Matisse, Botticelli, Malewitsch und Turner. „Farben der Welt“ ist ein Bilderbogen mit hinreißenden Szenen – wie gemacht für die Compagnie, die voller Leidenschaft und Verve tanzt. Und die Niederrheinischen Sinfoniker lassen aus dem Graben die schönsten Klangfarben leuchten. Es ist keine leichte Aufgabe, die sie, sicher geführt von Yorgos Ziavras, meistern. Denn North hat kongeniale Musik gewählt, die oft Stimmung und Tempo wechselt. Minutenlanger Applaus nach der Premiere ist verdienter Lohn.

Blau – Rot – Gelb. Gelassenheit – Leidenschaft – Freude: Mit Luftsprüngen und Arabesquen, Spagat und Huckepack-Figuren versprühen die Tänzer Lebensfreude. In den Kostümen von Andrew Storer wirken sie, als seien sie geradewegs von Matisses Palette gehüpft. Sie treiben Schabernack und Versteckspiel zu den musikalischen Miniaturen von Strawinsky. Matisse hat den Tanz in seine Bilder übersetzt. Zu der expressiven Musik wandelt North die Bilder wieder in Tanz.

Das gelingt genauso wunderbar im letzten Teil „Tempus Fugit“, der an die romantischen Naturdarstellungen von William Turner erinnert und zu Klängen von Vivaldi aparte und humorvolle Tanzszenen zeigt – sogar auf Spitze. Das ist so heiter und inspiriert wie ein Venedig-Aquarell und zeigt im Wechsel der Tempi das Verfliegen der (Lebens-)Zeit.

Die 20 Tänzerinnen und Tänzer sind  immer auf dem Punkt, besonders bei den beiden thematischen Schwergewichten des Abends. In „Verkündigung“ erzählt North, ausgehend von Botticellis berühmtem Gemälde aus dem 15. Jahrhundert, die Geschichte Marias, er führt sie weiter bis zur Grablegung Jesu: Victoria Hay ist die Auserwählte für ein schweres Los. Der Engel (Marco A. Carlucci) verkündet ihr die Empfängnis des Gottessohnes und bleibt an ihrer Seite. Zu der stimmungsvollen Musik von Howard Blake, die sich in den dunklen Instrumentenstimmen aalt, offenbart sich das Leiden einer Mutter. In bewegenden Pas de Deux mit dem Engel ringt Maria mit dem Schicksal, das sie fast zerbricht. Doch sie kann sich dem Griff nicht entziehen.  Alessandro Borghesanis Jesus-Darstellung ist ausdrucksvoll, ohne jedes Pathos. Mit einer einzigen Requisite, einem Holzbalken,  gelingt das Bild einer Pietà, das tief berührt.

Dem russischen Avantgardisten Kasimir Malewitsch (1878-1935), dem „Meister des schwarzen Quadrats“, ist eine Uraufführung gewidmet, zu der André Parfenov die Musik komponiert hat. North, Parfenov und Kostüm-/Bühnenbildner Udo Hesse haben als Trias bereits manchen Ballettcoup gelandet. „Malewitsch“ ist wieder ein großer Wurf. Parfenovs fünfteilige Orchestersuite hat Wucht, Kraft und dazwischen eine glockenartige Leichtfüßigkeit, als würden die Töne wie vom Maler-
pinsel in den Raum tröpfeln. Hesse lässt zu exakter Lichtregie geometrische Formen in Malewitschs Duktus aus dem Schnürboden herabschweben. Vierecke und Kreise in Schwarz, Weiß und Buntstiftfarben finden sich auch auf den Kostümen. Francesco Rovea als „der Künstler“ und Irene van Dijk als seine Muse sowie das Corps setzen jeden Klang in Bewegung um. Das Premierenpublikum war begeistert. – „Farben der Welt“ ist ein ästhetisches, musikalisches und anspruchsvolles Vergnügen, ein Tanzabend wie gemalt. In der vergangenen Spielzeit war die Produktion bereits im Gladbacher Haus zu sehen und ist von den Zuschauern mit einem RP-Theater-Oscar prämiert worden.

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