Adventsserie Bach und die Geschichte seiner 14 Knöpfe

Krefeld · Johann Sebastian Bach hat nicht nur die welt - und himmelsschönste Weihnachtsmusik geschrieben. Er war auch ein Zahlen- und Zeichenakrobat, der in seinem Werk allerhand versteckt hat. Wir laden ein zu einer Spurensuche mit Klaus-Norbert Kremers, dem neuen Organisten der Mennonitenkirche.

 Klaus-Norbert Kremers , Organist, Chorleiter, Glockensachverständiger, Komponist, ist seit Dezember Organist der Mennonitenkirche.

Klaus-Norbert Kremers , Organist, Chorleiter, Glockensachverständiger, Komponist, ist seit Dezember Organist der Mennonitenkirche.

Foto: Jens Voss

Die Sache mit den 14 Knöpfen ist schon verblüffend, und wenn man um sie weiß, schaut man sich das Gemälde noch einmal an und fragt sich: Lächelt Bach nicht ein wenig verschmitzt?

An der Weste, die auf dem Porträt von Johann Sebastian Bach zu sehen ist, sind 14 Knöpfe zu erkennen. Die Zahl 14 spielt im Werk Bachs eine große, wenn auch versteckte Rolle: Addiert man die Alphabet-Positionen der Buchstaben von Bach, ergibt sich die Zahl 14. Addiert man die Namenszahlen der Buchstaben JSBACH, ergibt sich die Zahl 41. Nun also: Ein Gemälde mit 14 Knöpfen, das noch eine weitere Besonderheit aufweist. Das Notenblatt, das Bach in der Hand hält, lässt einen sechsstimmigen Kanon erkennen, der tatsächlich von Bach komponiert ist und von ihm nur auf diesem Gemälde verewigt ist. Bach war eben der größte Komponist des Christlichen und ein Versteckspieler. Lächelt er auf dem Gemälde von Elias Gottlob Haußmann (1695-1774) nicht wirklich ein bisschen?

Als Klaus-Nobert Kremers von all dem erzählt, stellt sich die Frage: Warum diese persönliche Zahlenmystik? „Musiker“, antwortet Kremers, „sind alle Mathematiker. Und auch ein bisschen verrückte Zahlenspieler.“ Und wie. Kremers listet ein paar Beispiele auf – festhalten: „Die 14 taucht etwa in seinem allerletzten Werk, dem Choralvorspiel ‚Vor deinen Thron tret ich hiermit’ (BWV 668a) auf. Bach war bereits blind und hat das Stück seinem Schüler in die Feder diktiert. Das Choralvorspiel umfasst insgesamt 1681 Töne (41x41), der Cantus firmus (die Melodiestimmen) der Choralzeile ‚Ich trete vor dich in höchster Not’ umfasst genau 14 Noten. Symbolisch tritt sozusagen der mit der 14, also Johann Sebastian Bach, vor Gottes Thron; die gesamte Melodie (also alle Verse) umfassen insgesamt 41 Noten.“

Zufall? Die Fachwelt glaubt daran nicht mehr, berichtet Kremers, auch wenn es keinen Beweis gibt, denn Bach hat seine Zahlenhinweise nie selbst aufgelöst. Entdeckt wurden sie relativ spät: Dem evangelischen Theologen und Bachforscher Friedrich Smend (1893-1980) fielen merkwürdige Zahlenzusammenhänge ins Auge. Der amerikanische Physiker Douglas Richard Hofstadter griff die Entdeckung auf und machte einen 1979 erschienenen Bestseller draus: „Gödel, Escher, Bach“. Kurt Gödel war Mathematiker, Philosoph und Logiker; der Maler Mauritius Escher ist für seine raffinierten Perspektiv-Verdrehungen bekannt (man denke an die Treppe, die endlos nach oben führt).

Hofstadters Buch erschien 1985 in deutscher Übersetzung, 2014 richtete das Bachhaus in Eisenach eine Ausstellung mit dem Titel „Johann Sebastian Bach und die Zahl 14“ aus. Beispiele, über die etwa die „Welt“ berichtet hat: In den 63 Christus-Anrufungen der Matthäuspassion steckt Summe von 49 (= 7 x 7) + 14. Zufall?

Die Lust, solchen Spuren zu folgen, gebar auch einen prima Witz, von dem die „Welt“ berichtet und der aus der Bachstadt Leipzig stammen soll: Demnach entspricht die Gesamtsumme der Sätze in den Kantaten, nach Werkgruppen geordnet, der Nummer des Bach-Kontos bei der ortsansässigen Sparkasse.

Klaus-Norbert Kremers kam zur Musik durch Neigung, natürlich, und durch eine Verordnung seines Vaters: „Er stellte uns vor die Wahl: Ihr macht entweder etwas mit Sport oder mit Musik“, erzählt Kremers. Er entschied sich für Musik; der Vater kaufte ein Klavier, und Kremers lernte das Instrument, das ihn später zur Orgel führen sollte. Dass er heute als Katholik für die Mennoniten spielt, ist kein Unfall der Heilsgeschichte, sondern passt zu diesem Mann, dessen Herz weit offen ist für alle christlichen Bekenntnisse. So sehr er sich als „jut katholisch“ versteht, so sehr interessieren und faszinieren ihn andere Bekenntnisse in Krefeld – von den Altkatholiken bis zur Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Kremers ist eine Art Wanderer zwischen den Konfessionen geworden und lebt dies auch ehrenamtlich: Er ist Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen“ (ACK). Sie ist eine Plattform ökumenischer Verbundenheit, ein Markt der Möglichkeiten, vor Gott zu treten und sich zu ihm zu bekennen. Mitglieder sind die beiden großen Konfessionen, die evangelische Landeskirche und die katholische Kirche ebenso wie evangelische Freikirchen, orthodoxe Kirche und Altkatholiken.

Auch Bach ist, wenn man so will, zunächst ein evangelischer Abgesandter Gottes, der heute freilich zum Propheten des ganzen Christentums geworden ist – der fünfte Evangelist, wie Albert Schweitzer Bach nannte. Schweitzer griff mit diesem Bonmot auf ein Zitat des schwedischen Bischofs Nathan Söderblom zurück, der 1929 so formulierte: „Johann Sebastian Bachs Musik kann man als das fünfte Evangelium bezeichnen.“ Bachs Musik gehört eben allen Christen, aber auch allen Atheisten, nach dem gern kolportierten Motto: Nicht alle glauben an Gott, aber alle glauben an Bach – ein Zitat, das auf den Komponisten Mauricio Kagel zurückgeht.

Bach hat auch jenseits von Zahlen Zeichen in seine Partituren eingebaut. „Die Noten für den Crucifixus-Chor aus der h-moll-Messe ergeben im Schriftbild ein x“, berichtet Kremers. Das kann Hinweis auf das Kreuz sein, es kann auch als griechischer Buchstabe Chi gelesen werden, der Anfangsbuchstabe von Christus. Und natürlich ist die Musik voller Zeichen. „Für mich immer wieder berührend ist der Schlusschoral im Weihnachtsoratorium: ‚Nun seid ihr wohlgerochen’. Das ist eins zu eins der traurigste aller Choräle: ‚O Haupt voll Blut und Wunden’, allerdings: in strahlendstem Dur, mit drei Trompeten und Pauken – Zeichen, dass der Überwinder des Todes, Christus, gekommen ist, was auch in dem vorangehenden Rezitativ ‚Was will der Hölle Schrecken nun?’ angedeutet wird. Ich finde die Wirkung dieses Zeichens immer sehr berührend und bekomme jedesmal eine Gänsehaut.“

Wenn man Kremers zuhört, denkt man sich: Es ist Zeit, wieder das Weihnachtsoratorium von Herrn 14 zu hören.

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