Krefeld "Aus dem Tagebuch eines Wahnsinnigen"

Krefeld · Theater hintenlinks: Am Ende bleibt eine eindrückliche Inszenierung, die ihre künstlerische Kraft vor allem daraus zieht, dass sie dem Zuschauer keine andere Möglichkeit lässt, als sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.

 Schon das Bühnenbild kommt spartanisch und irgendwie irritierend daher. Ein aus Profilblech und Malerfolie gebauter Tunnel trennt eine chaotische Plattform mit vertrockneten Blumen und einem sehr spartanischen Bett, von einem aus Alublechen gebauten großen "Schrank", der sich später als Arbeitsplatz herausstellt.

Schon das Bühnenbild kommt spartanisch und irgendwie irritierend daher. Ein aus Profilblech und Malerfolie gebauter Tunnel trennt eine chaotische Plattform mit vertrockneten Blumen und einem sehr spartanischen Bett, von einem aus Alublechen gebauten großen "Schrank", der sich später als Arbeitsplatz herausstellt.

Foto: THL

Was ist Wahn, was ist Realität? Diese Frage steht für die Besucher des Theaters hintenlinks derzeit im Vordergrund, denn Krefelds kleinstes Schauspielhaus führt seit Freitag Nikolai Gogols Stück "Aus dem Tagebuch eines Wahnsinnigen" auf. Das Inszeniert Peter Gutowski in einer Art, die den Zuschauer sehr intensiv fordert. Am Anfang ist vieles irritierend, in der Mitte oft lustig, am Ende rätselhaft.

Schon das Bühnenbild kommt spartanisch und irgendwie irritierend daher. Ein aus Profilblech und Malerfolie gebauter Tunnel trennt eine chaotische Plattform mit vertrockneten Blumen und einem sehr spartanischen Bett, von einem aus Alublechen gebauten großen "Schrank", der sich später als Arbeitsplatz herausstellt. Die Hauptfigur Aksenti trägt eine auffällige und zu Beginn nicht zu deutende "Brille".

Diese enthält eine Kamera, deren Bild unmittelbar auf einen großen Monitor vor der Bühne übertragen wird. Gleiches gilt für vier weitere Bildschirme, die in relativ kurzem Wechsel die Bilder weiterer, fester, Kameras aus besagtem Tunnel und Arbeitsplatz zeigen.

Eine Art Sprecher, verkleidet mit Bart und US-Hut als eine Art Abraham Lincoln, greift immer wieder von einer Empore ein. Er liefert zu Beginn viele Weisheiten, wie das Leben zu leben sei. Fünfmal am Tag Obst und Gemüse, viel trinken, oder Fette vermeiden sind die Tipps, die er mit monotoner Stimme von sich gibt. In diesem monotonen Trott bewegt sich auch Aksenti. Tägliche Highlights sind die Sprüche, die er von einem Kalender abreißt - und zumeist eher abschätzig wegwirft. Zentraler Punkt dabei ist ein Zitat Juri Gagarins: "Nichts schöneres gibt es auf der Welt, als einen Menschen, der seine Arbeit liebt."

Dies aber ist nur all zu selten der Fall und trifft auf Aksenti, der für den Parteisekretär Bleistifte spitzt, am wenigsten zu, zumal er von seinen Vorgesetzten gemobbt wird. Irritierend ist in der Inszenierung eine weitere Figur, die stets hinter Aksenti her schleicht. In ähnlicher Aufmachung wie dieser macht er sich Notizen. Wenn sich die Hauptperson zum Schlafen legt, erscheint auf einem weiteren Monitor das Gesicht, das eher besagter zweiter Person ähnelt, und erzählt manch sinnvolle, manch wirre Dinge. Bald ist erkennbar, dass es Träume sind.

Der Bezug dieser zur Geschichte ist teilweise schwer herzustellen, doch das Gesamtkonstrukt bringt den Besucher immer mehr dahin, den Wahnsinn des Protagonisten zu verstehen und in gewisser Weise nachzuvollziehen. Die größte Irritation aber folgt zum Schluss. Er verunsichert, denn es ist nicht erkennbar, wann das Stück endet - oder ob überhaupt.

Als Aksenti sich für den König von Arabien - in der Romanvorlage von 1835 ist es der von Spanien - hielt und mit folterähnlichen Methoden davon "kuriert" wird, bleibt er im Trott des Hamsterrades eines beruflichen Lebens stecken. Ohne Träume und die zweite Person, die hinterher schleicht. Aufstehen, arbeiten gehen, heim gehen, schlafen, aufstehen, arbeiten gehen... so geht es ohne Schluss.

Für den Besucher irritiert und provoziert es. Sitzenbleiben oder aufstehen? Diese Entscheidung muss jeder für sich stellen. Auch Applaus beendet die Vorführung nicht. Die Gedanken pendeln zwischen dem Gefühl, im Stück zu stecken, und "ist das Kunst oder kann das weg?".

Am Ende bleibt eine eindrückliche Inszenierung, die ihre künstlerische Kraft vor allem daraus zieht, dass sie dem Zuschauer keine andere Möglichkeit lässt, als sich mit der Thematik innerlich auseinanderzusetzen, da sie ihn einfach nicht entlässt. So erlebt der Zuschauer selbst ein Stück des dargestellten Wahnsinns.

(RP)
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