Hayri Cakir Auch in Krefeld gibt es radikale Türken

Krefeld · Der Vorsitzende des Vereins Solidaritätshaus aus dem Verband der türkischen Arbeitervereine sieht sich als Mahner gegen eine Politisierung der Religion. Nach dem Putschversuch gegen Recep Tayyip Erdogan sieht er eine verstärkte Gefahr auch in Krefeld.

Hayri Cakir, Vorsitzender des Vereins Solidaritätshaus, Gewerkschafter und Kommunalpolitiker, ist für die strikte Trennung von Staat und Religion. Er sieht türkischen Nationalismus und deutschen Rassismus mit großer Sorge.

Hayri Cakir, Vorsitzender des Vereins Solidaritätshaus, Gewerkschafter und Kommunalpolitiker, ist für die strikte Trennung von Staat und Religion. Er sieht türkischen Nationalismus und deutschen Rassismus mit großer Sorge.

Foto: Lammertz

Sie haben zuletzt öffentlich in Krefeld vor türkischem Nationalismus und deutschem Rassismus gewarnt. Was war der Anlass dafür?

Hayri Cakir Nach dem Putschversuch gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan am 15. Juli stellten wir fest, dass es stark polarisierende Strömungen in der türkischen Gemeinde gibt.

Wo haben Sie das beobachtet?

Cakir Eigentlich überall im alltäglichen Leben. Insbesondere konnten wir dies aus den Berichten aus der Nachbarschaft entnehmen, aber auch in den Betrieben ist wohl ein tiefer Keil in die Beziehung der Türkeistämmigen gerammt worden. Als Stadtverbandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes weiß ich von Betriebsräten, in denen die türkischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren Sitzungen mehr über die Entwicklung in der Türkei nach dem Putschversuch diskutiert haben als über die Arbeitnehmerprobleme im Betrieb. Türken, die auf die Meinungsfreiheit beharren, werden wohl auch hierzulande von Erdogan-Anhängern beschimpft und bedroht. Dies hat mir ein Geschäftsmann an der Lewerentzstraße im Vertrauen mitgeteilt.

Sind das Ausnahmen?

Cakir Nein, leider nicht. Sie dürfen sich die türkische Community in Krefeld nicht als homogene Gemeinschaft vorstellen. Es gibt unterschiedliche Gruppen mit ganz unterschiedlichen Ansichten und Einstellungen.

Können Sie einige nennen?

Cakir Wir haben in Krefeld Kemalisten im Verein Ekin, die mit dem türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk sympathisieren, drei Ditib-Moscheen an der Saumstraße, an der Obergath und am Lübecker Weg, die dem Erdogan-Regime nahe stehen. Und dann gibt es noch die eine Moschee, in der Anhänger der nationalistischen MHP und der Grauen Wölfe verkehren.

Gibt's noch mehr?

Cakir Es gibt noch die Moschee der Bewegung Milli Görüs. Dies ist eine länderübergreifende islamische Bewegung, die vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet wird, weil sie im Verdacht steht, gegen die demokratische Grundordnung zu sein. Und es gibt die islamische Denkfabrik an der Gladbacher Straße, die den Salafisten nahe stehen soll.

Und die Türkische Union in Krefeld ist die Dachorganisation, die es schafft, alle unter einen Hut zu bringen?

Cakir Das ist bei weitem nicht so. Auch wenn die Türkische Union angibt, 15.000 Muslime in Krefeld zu vertreten, bleibt festzuhalten, dass sie bei der letzten Wahl zum Integrationsrat für ihre Kandidatenliste weniger Stimmen erhalten hat als die Liste der Grünen.

Sie haben sich kritisch über die Türkische Union geäußert. Warum?

Cakir Die Türkische Union hat aktiven Wahlkampf für Erdogans Partei AKP gemacht. Sie hat die Krefelder Wählerinnen und Wähler für die türkischen Parlamentswahlen zum Konsulat nach Düsseldorf gefahren. Sie haben Wahlkampfveranstaltungen mit AKP-Kandidaten organisiert. Beispielsweise erfolgte dies mit dem europäischen Ableger der AKP - der UETD. Dass die UETD der AKP sehr nahe steht, ist längst kein Geheimnis mehr. Entsprechende Wahlplakate wurden in den Moscheen aufgehängt.

Als Vorsitzender des Vereins Solidaritätshaus und als Mitglied im Verband türkischer Arbeitervereine treten Sie für die strikte Trennung von Politik und Religion ein. Warum?

Cakir Religion ist Privatsache. Ich gehe sogar noch weiter und spreche mich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, gegen das türkische Wahlrecht für Türken in Deutschland aus und bin auch nicht dafür, dass Frauen eine Burka tragen. Aber ich bin auch dagegen, die Burka-Diskussion zum Wahlkampfthema zu machen. Politik soll versuchen, diese Menschen für die Gesellschaft zu gewinnen. Nicht nebeneinander, sondern miteinander sein.

Das sind überraschende Positionen. Wie ist Ihre Begründung?

Cakir Ich bin dagegen, dass die Probleme aus der Türkei nach hier transportiert werden. Ich beschäftige mich mit meiner Stadt Krefeld, mit meinem Stadtteil und sitze für Die Linke in der Bezirksvertretung. Nicht nur ich, sondern zwei weitere Mitglieder unseres Vereins sitzen in der Bezirksvertretung (Süd und Nord). Ferner stellen wir im Rat den Fraktionsvorsitzenden der Linken. Ich halte dieses Engagement sowohl für Migranten als auch für Nicht-Migranten für sinnvoll. Es ist unsere Aufgabe, Aufklärungsarbeit zu leisten.

Haben Sie keine Angst, sich für Ihre offenen Worte Ärger einzuhandeln?

Cakir Ich bin seit Jahrzehnten in Krefeld politisch aktiv. Ich glaube, ich mache es richtig. Ich greife niemanden persönlich an, ich diskutiere mit jedem, höre mir alles an, und sage meine Meinung offen.

Viele Türken in Deutschland haben aber offenbar Angst, ihre Meinung offen zu sagen...

Cakir Laut den deutschen Behörden hat Erdogan nunmehr 500 Geheimdienstler losgeschickt, um so genannte Staatsfeinde aufzuspüren. Hinzu kommen 6000 Helfershelfer, einige davon sind sicherlich auch aus Krefeld. Dieses Wissen macht einige sehr zurückhaltend. Die Türkische Regierung versucht, auch uns hier immer mehr zu spalten. Wir arbeiten und leben seit vier Generationen hier. Wir haben hier alle dieselben Probleme; egal welcher Strömung wir angehören. Arbeitslosigkeit, Armut, Rassismus, Perspektivlosigkeit von Jugendlichen, Bildung sind nur einige von diesen. Daher müssen wir uns von der Spaltungspolitik aus Ankara fernhalten und müssen uns mit unseren Problemen hierzulande beschäftigen.

Kommen wir auf Ditib und die SPD-Ratsfrau Halide Özkurt zu sprechen. Halten Sie die SPD für blauäugig?

Cakir Nicht nur die SPD. Die Türkische Union hat hier hervorragende Lobbyarbeit geleistet. Jede Fraktion hat inzwischen ihren Alibi-Türken. Frau Özkurt ist nicht nur Ratsfrau, sondern beim deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet eine wichtige Funktionärin. Ditib wird aus Ankara gesteuert, finanziert und bestimmt von dort aus die Imame. Der Comic über Märtyrer ist in aller Munde und hat dazu geführt, dass das NRW-Innenministerium die Arbeit mit Ditib aufgekündigt hat. Das lässt die Krefelder SPD offenbar kalt.

Sind Sie ein türkischer Nestbeschmutzer?

Cakir Ein erfolgreicher Putsch in der Türkei wäre noch viel schlimmer gewesen als die jetzige Situation, in der Zehntausende ins Gefängnis gekommen sind und sich die internationale Völkergemeinde Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der Menschenrechte macht. Man muss sich fragen,, warum ist die Gülen-Bewegung plötzlich zum Feind geworden? Gülen hat mit seinen Kräften Erdogan stets unterstützt.

Welche Versäumnisse sehen Sie auf deutscher Seite?

Cakir Viele! Deutschland hat in 60 Jahren einiges in Sachen Integration verpasst. Es gibt Ghettos in der Krefelder Südstadt, Bildungs- und Einkommensnachteile, Perspektivlosigkeit. Ursprünglich wollten die Gastarbeiter fast alle zurück in ihr Heimatland. Mitte der 1980er Jahre haben viele Türkischstämmige sich entschieden, in Deutschland zu bleiben. Doch die Gesellschaft war darauf nicht vorbereitet. Berlin, Düsseldorf und auch Krefeld haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wir haben zwei Welten in einer Stadt, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.

An der Gladbacher Straße, Deutscher Ring will der Moschee-Verein der Fatih-Cami-Gemeinde mit dem Vorstandsmitglied Halide Özkurt eine Moschee bauen. Wie stehen Sie dazu?

Cakir Ich finde es nicht gut, dass die Stadt Krefeld das Grundstück zu diesem Zweck verkauft hat. Ich bin der Meinung, dass die öffentliche Hand in solchen Angelegenheiten mit religiösem Hintergrund sich komplett zurückhalten sollte. Halide Özkurt ist Stellvertretende Vorsitzende der Ditib NRW und SPD-Ratsfrau.

Die Türkische Union hat von Ihrer Kollegin Simsek gefordert, sich wegen einer Erklärung gegenüber der Presse zu entschuldigen. Was sagen sie dazu?

Cakir Herr Ertugrul als Sprecher der Türkischen Union macht uns den Vorwurf, dass wir Moschee-Gegner seien. Wir sind keine Moschee-Gegner, sondern wir sind gegen die Politisierung der Religion. Ditib hat seine Gebetshäuser zu Hinterhöfen der AKP und von Erdogan umgewandelt. Die betreiben dort ganz offen Erdogan-Propaganda zu den Wahlen und bei sonstigen Veranstaltungen wie der Demo in Köln im Juli.

Wie ist Ihre grundsätzliche Haltung?

Cakir Unsere Kritik richtet sich nach wie vor an Ditib, basierend auf zahlreichen Vorfällen, die bereits landesweit und bundesweit durch die Presse gingen. Das Solidaritätshaus begrüßt jedes Unterbinden der Spaltungspolitik, gerade uns würde es freuen, wenn die Türkische Union nicht von solchen Fällen betroffen wäre.

Wie sehen Sie die Rolle des Vereins Solidaritätshaus?

Cakir Wir sind die einzige Migrantenselbstorganisation in Krefeld, die sich gegen jeglichen Rassismus und Nationalismus einsetzt. Wir waren der einzige Migranten-Verein, der gegen die rassistische und ausländerfeindliche Kundgebungen der NPD und von Pro NRW vor den Mitgliedsmoscheen der Union protestiert hat. Wenn sich die Türkische Union die überregionale Presse anschaut, bekommt sie Antworten auf ihre Fragen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE NORBERT STIRKEN.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort