Holocaust-Gedenken „Wenn Sie Leid sehen, gehen Sie nicht vorbei“

Krefeld · In der Gedenkfeier zur Reichpogromnacht 1938 wurde der Bogen zur Gegenwart geschlagen. Antisemitismus, hieß es auch, bedrohe nicht nur Juden, sondern die Errungenschaften Europas.

 Etwa 200 Menschen nahmen an der Gedenkfeier teil, vorn Oberbürgermeister Frank Meyer (l.) und Samuel Naydych, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, bei seiner Ansprache

Etwa 200 Menschen nahmen an der Gedenkfeier teil, vorn Oberbürgermeister Frank Meyer (l.) und Samuel Naydych, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, bei seiner Ansprache

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Der neue Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Krefeld, Samuel Naydych, hat dafür plädiert, dass die Menschen Freundschaft und Verständnis füreinander entwickeln,  um die wahren Gegner der Menschheit wie Hunger, Not und Leid zu bekämpfen – dies seien „Feinde, gegen die es sich lohnt zusammenzustehen“, und zwar unabhängig von Religion und Herkunft. Er sprach bei einer Feierstunde zum Gedenken an die Reichspogromnacht am 9.November 1938, als in Krefeld wie in ganz Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte niedergebrannt und Juden misshandelt und getötet wurden. Naydych, der die rund 200 Zuhörer mehrfach mit „meine Freunde“ ansprach, dankte für die Anteilnahme und sagte unter Applaus: „Wenn Sie Leid sehen, gehen Sie nicht vorbei.“

Oberbürgermeister Frank Meyer betonte in seinem Grußwort die Notwendigkeit, den „Staffelstab des Erinnerns“ an die jungen Generationen weiterzugeben. „Wir müssen das Andenken an die Opfer des Holocaust ehren und bewahren“, betonte er, die Erinnerung daran mache uns Heutige resistent gegen Hass und Wut auf Menschen. Es gebe, rief er unter Applaus, „genug Probleme in der Welt, die nicht danach fragen, ob man Christ, Jude, Moslem oder nicht Glaubender ist“ und  gegen die man gemeinsam vorgehen könne.

Rabbiner Yitzhak Mendel Wagner ging darauf ein, dass Antisemitismus am Ende die ganze Gesellschaft vergiftet. Wagner zitierte dazu Rabbiner Lord Jonathan Sacks, den ehemaligen Oberrabbiner von Großbritannien. Sacks hatte 2016 bei einer Konferenz im Europäischen Parlament gesagt: „Der Hass, der mit den Juden beginnt, hört niemals bei den Juden auf.  Wir machen einen großen Fehler, wenn wir denken, Antisemitismus sei nur eine Gefahr für Juden. In erster Linie ist er eine Gefahr für Europa und die Freiheiten, die wir  errungen haben.“

Zum Abschluss  wurden unter der Regie von Sandra Franz, Leiterin  NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer, Zeitzeugenberichte  verlesen.  Dazu gehörte der Bericht eines 12-jährigen jüdischen Mädchens, das mit Eltern und Großeltern im fünften Stock an der Hochstraße 62 lebte und am Abend des 9. November 1938 über einen Steg in zwölf Meter Höhe ins Nachbarhaus fliehen musste. Der Steg war für die Großeltern lebensgefährlich. Das Bild, schloss das Mädchen, wie ihr Vater ihre Großmutter Zentimeter um Zentimeter über den Steg führte, werde es nie vergessen.

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