Kultur in Krefeld Andreas Simon, Krefelds Tanzbotschafter

Krefeld · Jahre lang ist Andreas Simon als Kind mit Schlittschuhen Achten gelaufen, weil Jungs damals nicht ins Ballett gingen und das Eis ihm als Alternative erschien. Inzwischen hat der Tänzer und Choreograf etlichen Kindern und Jugendlichen gezeigt, wie sie Räume durch Tanz neu erleben.

 Andreas Simon ist erfinderisch, wenn es darum geht, den eigenen Bewegungs- und Denkraum zu erweitern.

Andreas Simon ist erfinderisch, wenn es darum geht, den eigenen Bewegungs- und Denkraum zu erweitern.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Vor seiner Wohnung an der Blumenstraße laden zwei Bänke zum Verweilen ein. Für den Tänzer und Choreografen Andreas Simon sind sie mehr als bloße Sitzgelegenheiten. Ungezählte Gespräche hat der Künstler hier mit Menschen aus seinem Viertel geführt und nicht selten Material für seine Arbeit gesammelt. Auch jetzt während des zweiten Lockdowns werden sie ihren Auftritt haben. Für sein neuestes Projekt „Visite Corporelle“ – ein „Körper-Treffen“ lädt Simon Passanten zum Stadtgespräch bei Holunderpunsch ein.

Idee und Konzept zu seinem frisch vom Kulturbüro bewilligten Projekt sind die herrschenden Umstände, eine aufgeladene Stimmung aus Präsenz und Abwesenheit, beschreibt Simon die aktuelle Lage. Geschlossene Säle, Bühnen und Ausstellungsräume zwingen den Künstler, sich den Umständen anzupassen. „Kunst kann, Kunst will nicht still sein“, sagt Simon und wirkt dabei sehr entschlossen. „Visite Corporelle – oder die Lust des Verschwindens“ ist bereits das zweite Projekt, das Simon während des erneuten Lockdowns seit November initiiert. Dass er gerade nur so vor Ideen sprudelt, ist Simon deutlich anzumerken. Die Limitierung im Kunst- und Kulturbereich macht die Suche nach neuen Wegen unabdingbar. Dass Kunst direkt und unmittelbar erlebbar sein muss, ist Simon von Beginn seiner Karriere als Tänzer und Choreograf enorm wichtig.

Als er 1998 der Liebe wegen nach Krefeld zieht, ist er ausgebildeter Tänzer und Diplom-Biologe, was seine ausgeprägte Lust und Freude am Erforschen quasi verdoppelt. Seine tänzerische Laufbahn beginnt Simon relativ spät. Mit 20 Jahren besucht er seine erste klassische Ballettstunde, damals während seines Biologiestudiums, beim Hochschulsport in Wien.

„Brav wie ich bin“, erzählt Simon, „habe ich mein Biologiestudium dann in Münster abgeschlossen und während des Studiums bereits an vier Tanzschulen gleichzeitig Unterricht gehabt.“ Seine täglichen Unterrichtseinheiten finanziert sich der Anfang 20-Jährige mit kleinen Tanzrollen an verschiedenen Bühnen und Clubs. Bei Heidi Sievert, damals Deutschlands jüngste Ballerina und seit mehr als vier Jahrzehnten eine maßgebliche Adresse für Tanz in Münster, hat er mehr als sieben Jahre meist klassischen Ballettunterricht genommen.

„Ich bin geprägt von meiner vorakademischen Ausbildung“, sagt Simon, als er von seinen Anfangsjahren als Tänzer spricht. Das klassische Ballett ist eine frühe Liebe Simons. Bereits in der Grundschule hat er sich Aufführungen von Ballettschulen angeguckt, sich aber nicht getraut, selbst Unterricht zu nehmen. „Damals gingen Jungs nicht zum Ballett“, sagt er und erzählt, wie er sich stattdessen zwischen zehn und 13 Jahren als Eiskunstläufer versucht hat: „Ich bin jahrelang die Acht gelaufen“, so Simon und lässt dabei subtil durchschimmern, dass er mit Disziplin und Ehrgeiz kein Problem hat.

In Münster legt Simon den Grundstein für eine professionelle Ausbildung und bereitet sich in den Förderklassen auf ein Studium an den Hochschulen für Bühnentanz und Tanzpädagogik vor. Zunächst geht er nach Rotterdam an die renommierte Codarts-University of the Arts und wechselt dann an die damals neu gegründete SNDO - School for New Dance Development (Schule für Neue Tanzentwicklung), Amsterdam. „Ich wollte abstrakter bleiben, ich habe angefangen Menschenspuren zu suchen und habe mich gefragt, wie ich den öffentlichen Raum durch meine Arbeit verändern kann“, erklärt Simon und findet in Rotterdam das künstlerische Prinzip seiner Arbeit: Bewegung, Tanz und Begegnung.

Seine Mentorin beschreibt Simon als konsequent und furchtlos – eine Mischung, die den Tänzer fasziniert. Während seiner Tanzausbildung habe ihn seine Dozentin immer wieder gefragt: Ist es das, was du machen möchtest? „Ihre Stimme höre ich manchmal heute noch.“

In diesem Prozess der Selbstvergewisserung entstehen höchst spannende Dinge, weiß Simon. Als er vor 15 Jahren seine Arbeit als Tanzvermittler an Düsseldorfer und Krefelder Schulen aufnahm, hat er die Kinder darin unterstützt, ihren eigenen Stil zu finden. Jedes Kind, so Simon, bringe etwas Eigenes mit, und für viele sei es gar nicht so leicht herauszufinden, was in ihnen stecke. Darin möchte Simon die Kinder stärken. Oft werde er von den Kindern dann gefragt, ob das noch Tanz sei, was sie da machen – auf diese Frage hat Simon eine einfache Antwort: „Das ist auch eine Möglichkeit von Tanz.“

Zuletzt hat Andreas Simon eine Geister-Tanzperformance mit Kindern auf Distanz entwickelt. Ihre Filmbeiträge wurden Teil seiner Performance. Von der Theaterbühne, wo er zehn Jahre Ensemblemitglied beim Düsseldorfer Tatraum war, ging Simon nach Krefeld zum Kresch-Theater, wo er viele Jahre die Tanzgruppe geleitet hat. Heute arbeitet Simon viel im bildungspolitischen Bereich. Am Werkhaus beschäftigt er sich gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen in zahlreichen Projekten mit der Fragestellung „Wie stelle ich mir meine Stadt der Zukunft vor?“ Der künstlerische Rahmen, in dem sich Simons Arbeit bewegt, ist abstrakt und dennoch konkret. „Interpretation interessiert mich nicht“, sagt er.  Er wolle den Tanz von der Versteh- in die Erfahrungsebene führen und so Systeme des menschlichen Zusammenlebens aufspüren. Seine Arbeit lebt schließlich von den Orten und dem Zufallspublikum, die den Tanz zu einem Gemeinschaftsprojekt machen.

In diesem Januar plant Simon einen Workshop in der evangelischen Trinitatiskirche in Köln, gemeinsam mit der Kirchenpädagogin und Theologin Dorothee Schaper. Der Kirchenraum soll dazu anregen, den eigenen Bewegungs- und Denkraum zu dehnen und zu erweitern.

Auch wenn Andreas Simon sagt, dass er früher mehr gereist sei, ist er im Geiste immer noch ein Weltenbummler – und ein überaus leidenschaftlicher Tanzbotschafter.

Informationen zu Andreas Simon und seinen Arbeiten unter:
https://andreas-simon.kunstco.de

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