Krefeld Amerikaner erforscht deutsche Seele in Krefeld

Krefeld · Saul K. Padover hat nach dem Zweiten Weltkrieg nach Zeichen des Widerstands in Deutschland gesucht. Viele Quellen fand er in Krefeld. Sein 1946 veröffentlichter Bericht ist im Stadtarchiv einsehbar. "Experiment in Germany" wurde erst 1999 ins Deutsche übersetzt: "Lügendetektor. Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45".

 2. März 1945. Soldaten der US-Infanteriedivision aus Philadelphia mit einer von ihnen geschmückten Krefelder Straßenbahn.

2. März 1945. Soldaten der US-Infanteriedivision aus Philadelphia mit einer von ihnen geschmückten Krefelder Straßenbahn.

Foto: Stadtarchiv

Um die Deutschen zu verstehen und zu ergründen, warum es im Zweiten Weltkrieg keinen massiven Widerstand des Volkes gegen das Hitler-Regime gab, hat Saul K. Padover geforscht. Er studierte 1945 und 1946 Quellen und führte Gespräche in Deutschland — vor allem in Krefeld. Seine Erfahrungen veröffentlichte er in seinem Buch "Experiment in Germany. The Story of an American Intelligence Officer." Das Buch ist im Krefelder Stadtarchiv einsehbar.

DER AUTOR Padover wurde 1905 in Wien in eine jüdische Familie geboren, die 1920 in die USA auswanderte. Er hatte in Yale und Chicago studiert und deutsche Geschichte unterrichtet. Padover galt in der amerikanischen Armee nach deren Landung in der Normandie als Deutschlandspezialist. Bei der Befreiung von Paris im August 1944 war er dabei, gehörte zur Abteilung "Psychologische Kriegsführung" und folgte den vorrückenden Soldaten über Luxemburg, Spa, Aachen und Mönchengladbach bis nach Krefeld. "Am Morgen des 2. März fuhren wir in Richtung Krefeld", schreibt Padover.

Das Buch "Für mich war jeder Deutsche ein Mikrokosmos, den es zu studieren galt, ein Bruchstück des Feindes, den man verstehen musste, wenn man ihn besiegen wollte", schreibt Padover in seinem Bericht. Die Originalausgabe erschien 1946 bei Duell, Sloan und Pearce in New York mit dem Titel "Experiment in Germany. The Story of an American Intelligence Officer." Gleichzeitig erschien die englische Ausgabe bei Phoenix House in London, sie hieß "Psychologist in Germany." Die deutsche, gekürzte Übersetzung: "Lügendetektor. Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45" von Matthias Fienbork, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 1999.

Die Fragen "Wo waren die Gerechten in Deutschland, die Mutigen, die gegen Unrecht und Barbarei ihre Stimme erhoben?", fragt Padover und erinnert an acht bis neun Millionen SPD-Wähler und sechs Millionen Stimmen für die KPD, die es vor 1933 gab. Padover fragte überall und alle, die ihm Antworten geben wollten. "Viele waren enttäuscht, demoralisiert, hoffnungslos, dachten an Selbstmord. Es war ihnen egal, was aus Deutschland wurde", resümierte er bald.

Er stellt fest, dass die Religion keinen Einfluss darauf hatte, ob man für oder gegen Hitler gewesen war. Die nationalsozialistisch erzogene Jugend wusste wenig über Juden, "alle Deutschen" seien von einer "Russenphobie" befallen. Rassismus, Rassenstolz oder Rassenüberheblichkeit waren kaum festzustellen.

Der Vorwurf "Wo ich auch hinkam, suchte ich Hinweise auf Widerstand und erkundigte mich nach Sozialdemokraten und Kommunisten. Doch am Ende fanden weder ich selbst, noch andere Leute eine nennenswerte Zahl von Oppositionellen, die offen oder versteckt gegen das Hitlerregime gekämpft hatten, sondern nur erbärmliche Mitläufer. Das allein ist der schlimmste Vorwurf, den man den Deutschen machen kann."

Die recherche In Krefeld fährt Padover über verlassene, trümmergesäumte Straßen. Tote GIs lagen auf den Gehsteigen, "Krefeld war menschenleer." Das Verhalten einiger amerikanischer Soldaten sei "nicht sehr vorbildlich" gewesen: "Die Truppen der Demokratie waren auch nicht tugendhafter als die Kämpfer für den Kommunismus."

Die Krefelder Frauen wollten von Padover wissen, ob sie amerikanischen Soldaten die Türe öffnen müssten, wenn sie klopften. Sie müssten niemand in ihre Wohnung lassen, schon gar nicht nachts, hatte Padover geantwortet. "Nachdem sich die Situation beruhigt hatte, waren viele Frauen durchaus bereit, nachts die Tür zu öffnen"; schreibt Padover.

Krefelder zeitzeugen Im Hansahaus am Bahnhof trifft er Paul Vollmer, die "ranghöchste zivile Amtsperson." Vollmer schimpft auf Emil Hürter, Bürgermeister und Erster Beigeordneter, der ein "richtiges Nazischwein war." OB Aloys Heuyng und Kreisleiter Diestelkamp hatten sich schon über den Rhein abgesetzt.

Nachtquartier findet Padover in einer zehnzimmrigen Villa bei einem Herrn Fischer, den er als merkwürdigen alten Herrn schildert. Von einer "richtigen Kolonie alter Sozialdemokraten", die in einer "genossenschaftlichen Siedlung wohnten" schreibt Padover und spricht dort mit Max Niechziol und Peter Bollig. Mit beiden redet er über ihr Leben in der Nazi-Diktatur und wie sie sich die Zukunft vorstellen. Padover trifft auch Josef Hellenbrock, der für die SPD im Stadtrat war und wegen Hochverrats im Zuchthaus gesessen hatte. "Bedauerlicherweise haben sie mit Hitler zusammengearbeitet", sagt Hellenbrock über die Arbeiter, die er für "fügsam" hielt. Hellenbrock gehörte dem ersten gewählten NRW-Landtag (1950) an, war Krefelder OB (1961 bis 1970), und saß im Bundestag von 1953 bis 1969. 1970 wurde er Krefelder Ehrenbürger.

"In Krefeld krachte es an allen Ecken und Enden", schreibt Padover über die Lage in der Stadt. Die amerikanische Armee beschoss Düsseldorf, von dort schoss die Wehrmacht mit Schnellfeuerwaffen zurück. In Fischeln trifft Padover auf Franz Heckmanns, der vor 1933 der führende Zentrumsmann in Fischeln war. Er war nicht in der NSDAP gewesen, als Katholik störte ihn die kirchenfeindliche Politik. Er gab aber zu verstehen, dass "er keine besonderen Einwände gegen das Programm der Nazis gehabt" hätte. "Er hatte das Hitlerregime passiv hingenommen", schreibt Padover, der von Heckmanns, der später Schulrat wurde, den Eindruck hatte, "dass er genauso loyal für die Sieger arbeiten würde, wie er für Hitler gearbeitet hatte." Und dann trifft Padover noch einen Konservativen "völlig anderen Kalibers, eine richtige Persönlichkeit."

Willi Elfes, der 1884 in Krefeld geboren wurde, war 1927 Polizeipräsident geworden. Die Nazis entließen ihn 1933, er schlug sich unter anderem als Zigarrenhändler durch. Padover fand Elfes in St. Tönis, das gerade von belgischen Soldaten geplündert wurde. Elfes hatte sich vor der Gestapo im Pfarrhaus versteckt und wird als "leidenschaftlicher Katholik und idealistischer Sozialist" beschrieben. Als Laienprediger praktizierte er Widerstand. Elfes wusste vom Attentat auf Hitler (20. Juli 1944), billigte es, war aber nicht bereit, hinterher mit Militaristen zusammenzuarbeiten.

Elfes hatte klare Vorstellungen von Deutschlands Zukunft und war überzeugt, dass Deutschland sich nach links bewegen würde: "Ich bin überzeugt, dass Deutschland ein ebenso proletarisches Land wie die Sowjetunion ist." Die "bürgerlichen Schichten seien zerschlagen." Eine deutsche Teilung hielt er für kurzsichtig. Padover überredete Elfes, in Mönchengladbach das Amt des Oberbürgermeisters zu übernehmen.

Padover kommt auf seiner Reise bis Leipzig, bei Torgau sieht er die ersten Russen und erlebt das Zusammentreffen von russischen und amerikanischen Soldaten. Als Jodl den Waffenstillstand unterzeichnet ist er in Bad Nauheim, fährt später durch ein jubelndes Frankreich nach Paris. Anschließend schreibt er an seine Frau: "Die Deutschen interessiert der Frieden nicht. Erst die nachwachsende Generation von Deutschen kann einen Neubeginn schaffen. Man muss hoffen und beten, dass es ihnen gelingt."

(RP/rl)
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