Interview "Am Arndt bin ich zum Linken geworden"

Krefeld · Die Partei Die Linke sitzt erstmals in Fraktionsstärke im Rat. Wir sprachen mit Stephan Hagemes, Julia Suermondt und Basri Cakir, wie sie zur "Die Linke" gekommen sind, über das Verhältnis zur DDR, zur DKP und zu Karl Marx.

 Die Fraktion der Linken im Krefelder Rat beim Interviewtermin in der RP-Redaktion (von links): Stephan Hagemes, Julia Suermondt und Basri Cakir.

Die Fraktion der Linken im Krefelder Rat beim Interviewtermin in der RP-Redaktion (von links): Stephan Hagemes, Julia Suermondt und Basri Cakir.

Foto: Thomas Lammertz

Herr Hagemes, Frau Suermondt, Sie sind neu im Rat. Waren Sie aufgeregt bei Ihrem ersten Redebeitrag?

Suermondt Klar, war ich aufgeregt, aber ich hatte mich gut vorbereitet. Und für mich ist das auch eine Kunstform, seine Argumente anschaulich vorzubringen. Ich denke, das ist mir mit dem Brecht-Zitat auch ganz gut gelungen, sonst wäre es nicht in die Zeitung gekommen. (lacht; die RP hatte darüber berichtet).

Herr Hagemes, ich hatte den Eindruck, dass Sie sich zu Beginn fast einen Ruck gegeben haben mit einer Art "Ja".

Hagemes Das kann sein, als ich da zum ersten Mal in meinem Leben stand und in diese Runde geschaut habe. Ich bin es aber durchaus gewöhnt, vor vielen Menschen zu sprechen. Ich bin seit über 20 Jahren politisch aktiv, seit 2007 in der Linken, seit 2009 im Vorstand, habe viel für die DGB-Jugend in NRW gearbeitet.

Wie kommt man zur Partei Die Linke?

Hagemes Ich bin politisiert worden, als es Brandanschläge auf Flüchtlingsheime gab. Dazu kam der Geschichtsunterricht im Arndt-Gymnasium, der mich wirklich zum Linken gemacht hat.

Das Arndt als Nachwuchsschmiede für die Linke. Die werden das mit Schrecken hören.

Hagemes (lacht) Marx wurde uns in Philosophie von einem sehr konservativen Lehrer vermittelt, und in Geschichte haben wir über Imperialismus, Kapitalismus und den Hitler-Faschismus gearbeitet. Und ich habe mit meiner Familie auch üble Dinge nach der Wende persönlich erfahren: wie in der ehemaligen DDR Leute von West-Unternehmen und einer Bank über den Tisch gezogen wurden.

Kritiker würden sagen: Es ist typisch, dass Ihnen zur Geschichte der DDR nur Auswüchse der Nach-DDR-Zeit einfallen. Zu den Vorwürfen an die Linke gehört ihr nostalgisches, unkritisches Verhältnis zur DDR. Wie sehen Sie die DDR?

Hagemes Wir haben im Parteiprogramm stehen, dass wir viele Dinge an der DDR kritisieren und dass dieser Staat kein sozialistisches Modell gewesen ist, weil er undemokratisch war. Denn wir sagen mit Rosa Luxemburg: Es gibt keine Demokratie ohne Sozialismus und keinen Sozialismus ohne Demokratie. Ich habe kein Problem zu sagen, dass die DDR kein Rechtsstaat war; ich habe aber ein Problem zu sagen, dass die Bundesrepublik tatsächlich ein sozialer Rechtsstaat ist. Zum Beispiel verstößt das Alg II ("Hartz IV" ) mehrfach gegen die Menschenrechte und das Grundgesetz. Die faktische Abschaffung des Asylrechts 1993 verstößt klar gegen mein Demokratieverständnis.

Frau Suermondt, bei Ihnen?

Suermondt Ich bin familiär in diese Richtung hineingewachsen. Mein Großonkel hat in Westdeutschland die DKP mitgegründet. Dass bedeutet aber nicht, dass ich unkritisch das Denken meiner Eltern übernommen habe. Immerhin habe ich mich früh mit den Lehren von Marx beschäftigt. Mich hat besonders seine Entfremdungstheorie fasziniert, die besagt, dass ein Leben, das dem menschlichen Wesen gerecht wird, im Kapitalismus nicht möglich ist.

Dennoch sind Sie nicht in der DKP, die ich bis heute als demokratiefeindlich bezeichnen würde.

Suermondt Ich bin bewusst nicht Mitglied der DKP, weil ich Vorbehalte hatte und sie für mich zu sehr an der DDR hängt. Cakir Ich bin über die Migrationsarbeit zur Linken gekommen. Ich glaube, dass ich mich dort am ehesten für Chancengerechtigkeit und gleichberechtigtes Zusammenleben einsetzen kann. Ich kann mich hier auch für eine gute und friedliche Zukunft aller Menschen einsetzen.

Wir haben über große Fragen geredet. Marx, Geschichte, Philosophie. Im Krefelder Rat geht es aber mehr um viele kleine Fragen. Der Rat wird außer kürzen nicht viel tun können. Sind Sie dabei?

Cakir Das ist die Frage, ob er nur kürzen kann. Krefelds finanzielle Misere kann die Stadt nicht allein lösen. Bund und Land müssen die Kommunen deutlich besser ausstatten. Es wird auch um die Verbesserung der Einnahmen gehen: Wir sind für eine maßvolle Erhöhung der Gewerbesteuern auf das Niveau der umliegenden Städte. Eine Erhöhung der Grundsteuer lehnen wir als unsozial ab, weil sie die Masse der Mieter treffen würde und ertragsunabhängig zu zahlen ist. Suermondt Außerdem sind wir dafür, mehr städtische Gewerbesteuerprüfer einzustellen. In Köln etwa erwirtschaftet ein Betriebsprüfer eine Million Euro Mehreinnahmen. In Bonn hat der CDU-Kämmerer von sich aus einen weiteren Prüfer eingestellt.

Der Rat kann aber nun nicht ein paar Jahre warten, bis Bund und Länder sich auf eine Föderalismusreform der Finanzen geeinigt haben. Der Rat muss einen Haushalt verabschieden. Werden Sie an einem Haushaltsbündnis mitwirken?

Hagemes Wir werden auch Kürzungen mittragen, aber es gibt rote Linien, die wir nicht überschreiten werden.

Wo würden Sie denn konkret kürzen wollen?

Hagemes Die versteckten Zuschüsse an den Königpalast könnten gekürzt werden, etwa dadurch, dass die Krefeld Pinguine mehr Miete bezahlen, mindestens soviel, dass die Kosten gedeckt werden, welche die Pinguine der Stadt verursachen. Ein Posten, den man sofort streichen könnte, wäre der Zuschuss über 11 000 Euro an die Kreisgemeinschaft Insterburg.

Gibt es denn etwas, dass Sie gerne in Krefeld durchsetzen möchten?

Suermondt Es ist schwer, in Zeiten des Nothaushaltes solche Projekte zu benennen. Ohne Nothaushalt würde ich sagen: Zur Belebung des Viertels rund um die alte Samtweberei gehört für mich auch, dass es ein funktionierendes Kino gibt. Der Primuspalast würde mit einer digitalen Vorführmaschine anders dastehen und eine lange Kino-Tradition fortsetzen können. Cakir Ich wünsche mir eine Innenstadt, wo die Menschen gut und bezahlbar wohnen können, ältere Menschen ohne größere Probleme einkaufen und spazieren und Kinder auf schönen Spielplätzen spielen können. Für drogenabhängige, kranke Menschen würde ich mir einen Drogenkonsumraum wünschen. Hagemes Ich wünsche mir die Überführung des Ausländeramtes in ein Amt für Migration und Integration, mit mehr Personal und interkulturell geöffnet. Und die Wiedereröffnung der Uerdinger Bücherei. Am schönsten wäre eine eigene Bücherei für jeden Stadtteil. Ich finde es auch sehr wichtig, die Ratssitzungen im Internet zu übertragen.

JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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