Krefeld Als Krefelds Synagogen brannten

Krefeld · Im gerade erschienenen fünften Band der Krefelder Stadtgeschichte wird die Geschichte der "Reichspogromnacht" noch einmal sehr dicht erzählt. Am 9. und 10. November 1938 wurden die Synagogen von Krefeld, Linn, Uerdingen und Hüls von den Nazis zerstört.

Krefelder Synagoge: Damals und heute
8 Bilder

Krefelder Synagoge: Damals und heute

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Im Jahr 1928 lebten in Krefeld 1544 Juden, in Linn 19, in Bockum 65, in Fischeln zwölf, in Uerdingen 177 und in Hüls 60. Die Krefelder Synagoge war ein prachtvoller Bau; ein Postkartenmotiv, und über dem Eingang stand in Hebräisch und Deutsch zu lesen: "Herr, ich liebe Deines Hauses Stätte und den Ort, wo Deine Herrlichkeit thront." Auf einem Foto aus dem Jahr 1910 sieht man Männer mit Zylinderhüten und Frauen mit eleganten, gleichwohl würdigen Kleidern und Hüten an der Synagoge — bürgerliche Mittelschicht pur. Und wenn man sich vertieft in die Bilder und die Zahlen, dann wächst die Fassungslosigkeit darüber, was am 9. November 1938, zehn Jahre nach jener Volkszählung jüdischer Mitbürger in Krefeld, passiert ist.

Die Reichspogromnacht war der erste Höhepunkt, besser wohl: die Schwelle zu unerhörter Brutalisierung beim Judenhass der Nazis. Was Reichspropagandaminister Joseph Goebbels als spontanen Ausfluss des Volkszorns darstellen wollte, war deutschlandweit organisiert. Auftakt war eine Rede von Goebbels am Abend des 9. November im Münchner Alten Rathaus. Zwei Tage zuvor hatte der 17-jährige polnische Jude Herschel Grynszpan ein Attentat auf Legationssekretär Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris verübt. Goebbels hielt daraufhin am traditionellen Kameradschaftsabend in München seine Hetzrede. Nazi-Funktionäre gaben noch am Abend Befehle an örtliche Dienststellen aus; die Ausschreitungen konnten beginnen.

Der Befehl zum Losschlagen erreichte Krefeld gegen 22.30 Uhr in der Kreisleitung der NSDAP am Bismarckplatz. NSDAP-Kreisleiter Emil Diestelkamp saß zu dieser Zeit mit Kumpanen in der Stadtschänke. Gegen zwei Uhr nachts gab die Gestapo-Leitstelle in Düsseldorf ersten Alarm; zwei Stunden später folgten telefonische Anweisungen, was zu tun sei. Der Pogrom sollte kontrolliert ablaufen. Der Plan lautete: Zerstörung und Brandschatzung ja — Mord und Plünderung nein.

In diesem Szenario der Gestapo (Geheime Staatspolizei) bekamen auch Polizei und Feuerwehr ihre Rolle zugewiesen: Sie sollten das Geschehen überwachen und nichtjüdische Gebäude schützen. Weitere Punkte des Plans: Gestapo und Polizei sollten in der Krefelder Synagoge und in den jüdischen Gemeinderäumen Archivmaterial beschlagnahmen sowie eine Reihe von Juden gemäß einer Liste verhaften. Doch während die Gestapo noch ihre Befehlskette abarbeitete, war der Pogrom schon im Gange und die Gewalt nicht mehr zu kontrollieren. Während Kreisleiter Diestelkamp von der Stadtschänke aus Polizei und Feuerwehr instruierte, wütete bereits ein SA-Trupp in der Krefelder Synagoge. "Sie zerstörten dort alles und legten Feuer. Das notwendige Benzin hatte auf Anweisung des Geschäftsführers der Industrie- und Handelskammer, Schiedlausky, dessen Fahrer herbeischaffen müssen", schreibt Burkhard Ostrowski, der das Kapitel über die Judenverfolgung in der Krefeld-Geschichte verfasst hat. Kaum etwas aus der Synagoge wurde gerettet, Polizei und Feuerwehr griffen nicht ein — Krefelds Polizeichef Hürter sollte später sagen, er habe keine Kämpfe mit der SA provozieren wollen. Neben der Synagoge überfielen Nationalsozialisten Wohnungen und Geschäfte, wie bei den Verhaftungen gelenkt von einer Liste.

Die offizielle Bilanz am Morgen des 10. November: Synagoge an der Petersstraße niedergebrannt, ein Clubhaus am Bleichpfad zerstört, 18 Geschäfte verwüstet, 63 Juden verhaftet. Und es war nicht vorbei.

An diesem 10. November wurde auch die Linner Synagoge zerstört. "Da das Gebäude nicht brennen wollte, wurde die Synagoge von der Feuerwehr bis auf die Grundmauern abgetragen", notiert Ostrowski. Auch der Linner Bau an der Rheinbabenstraße, 1865 errichtet, war wie die Krefelder Synagoge sehr schön, geprägt von einer Kuppel, der Eingang gesäumt von Ziertürmchen.

In Uerdingen war das Brandschatzen zu gefährlich; die Synagoge an der Bruchstraße war baulich zu eng mit anderen Gebäuden verbunden. So wurde das Gotteshaus geräumt, liturgisches Gerät und die Inneneinrichtung herausgeschafft, zu einem Scheiterhaufen aufgeschichtet und angezündet. Die Synagoge selbst wurde auf Befehl der Uerdinger NSDAP-Ortsgruppe abgetragen.

In Hüls wüteten die Nazis weniger sorgsam; die Synagoge dort — 1883 an der Klever Straße errichtet — wurde angezündet, obwohl sie dicht gesäumt war von anderen Häusern. Am Abend des 10. November überfielen SA-Leute wieder jüdische Familien in ihren Wohnungen und verwüsteten sie.

Zwei Tage Gewalt, zwei Tage staatliche Willkür — zwei Tage, an denen für die bürgerliche Mittelschicht jüdischen Glaubens die bürgerliche Weltordnung endgültig zerbrach. Deutschlandweit starben in diesen Tagen direkt oder indirekt 1300 Menschen. In Krefeld gab es offenbar keine direkten Todesopfer. Die 63 verhafteten Juden wurden für einige Wochen im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. "Der Novemberpogrom bedeutete faktisch das Ende der alten Krefelder jüdischen Gemeinde", resümiert Ostrowski. Die Gemeinde verlor ihr Körperschaftsrecht (den rechtlichen Status, den heute Kirchen haben) und wurde zum Verein.

Die Schreckenstage im November sorgten für eine Auswanderungswelle. 163 Krefelder Juden wanderten noch 1938 aus, 1939 waren es 289, bis 1941 flohen 654 Krefelder Juden aus Deutschland. Von den rund 2000 Juden, die in Krefeld und Umgebung lebten, sind bis 1945 mindestens 750 ermordet worden. Die Nacht der Schande am 9. November 1938 war der Anfang, der Auftakt zum Holocaust.

Unsere Darstellung folgt dem 5. Band "Krefeld. Die Geschichte der Stadt" sowie den Schriften "Die Jüdische Gemeinde in Krefeld und ihre Synagoge" und "Die neue Synagoge in Krefeld".

(RP)
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