Krefeld Als die Synagogen brannten

Krefeld · Die Täter der "Reichskristallnacht" blieben meist anonym. Eine Ausstellung in der Villa Merländer gibt Einblicke ins Leben der Verfolgten und Deportierten: "Pogrom in Krefeld – nach 70 Jahren" basiert auf neuen Forschungen.

 Ingrid Schupetta, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle, und Historiker Burkhard Ostrowski zeigen eine Kristallschale mit Davidstern inmitten von Scherben. Sie symbolisieren das Leid und die Zerstörung der Pogromnacht.

Ingrid Schupetta, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle, und Historiker Burkhard Ostrowski zeigen eine Kristallschale mit Davidstern inmitten von Scherben. Sie symbolisieren das Leid und die Zerstörung der Pogromnacht.

Foto: Thomas Lammertz

Die Täter der "Reichskristallnacht" blieben meist anonym. Eine Ausstellung in der Villa Merländer gibt Einblicke ins Leben der Verfolgten und Deportierten: "Pogrom in Krefeld — nach 70 Jahren" basiert auf neuen Forschungen.

Die Kristallschale mit dem Davidstern hat jene Tage im November 1938 unbeschadet überstanden. Wie ein Mahnmal steht sie in der Vitrine in der Villa Merländer, in einem Meer von Scherben, Spiegel- und Holzstücken, die symbolisieren, was in der so genannten Reichskristallnacht zerschlagen worden ist. "Pogrom in Krefeld — nach 70 Jahren" heißt die Ausstellung, die am Donnerstag im NS-Dokumentationszentrum eröffnet wurde.

1600 Juden

"Reichskristallnacht: Das ist ein deutscher Begriff, der die Einzigartigkeit dieses Gräuels zeigt", sagt Stadtarchivleiter Hans Günther Schulte. Dr. Ingrid Schupetta, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle, bevorzugt den Begriff Pogrom, denn "es ist nicht nur der 9. November, es geht auch um die Tage danach". Am 9. November 1938 hielt die NSDAP ihren Kreistag in Krefeld ab. Abends, nach dem Festakt in der Stadthalle, saßen Kreisleiter Erich Diestelkamp und seine Gefolgsleute in der Schänke zusammen, als sie der Einsatzbefehl für die Zerstörung der jüdischen Bethäuser und Wohnungen erreichte.

"Wir haben Belege, dass nicht nur in dieser Nacht, sondern auch in der folgenden in jüdischen Häusern geplündert wurde", sagt Schupetta: Zwei Tage später ist der Martinszug an den noch rauchenden Trümmern der Synagoge vorbeigezogen, auf dem Theaterplatz hat man sich zum öffentlichen Eintopfessen getroffen.

"Die Täter sind weitgehend anonym", sagt Schupetta. Aber die Opfer haben ein Gesicht in dieser Ausstellung, die nach neuesten Forschungen — unterstützt durch den Historiker Burkhard Ostrowski — zusammengestellt wurde. 1600 Juden (nach den Kriterien der Nationalsozialisten) lebten damals in Krefeld, Uerdingen und Hüls.

Eine war Anna Herms, "Verfolgungsgrund: Missachtung der für Juden geltenden Bestimmungen". Die 24-jährige Tochter einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters ließ sich den "Umgang mit arischen Männern" und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht verbieten — und musste dafür wiederholt in Haft. Im Januar 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert, wo sie knapp ein halbes Jahr später "an Durchfall" starb.

Auf 30 Tafeln und in sechs Vitrinen will die Ausstellung mit historisch verbrieften Dokumenten, Briefen und Fotos aus Familienbesitz mögliche Täter darstellen und die Opfer als Menschen zeigen, die ein Leben hatten, das zerstört wurde.

Der einzig erhaltene Brief von Richard Merländer erzählt von einem schweren Schicksal. Er wagte nicht, unter dem eigenen Namen an seinen Freund Ludwig Hagemes zu schreiben, sondern unterzeichnete mit "Elise", dem Namen seiner früheren Haushälterin.

(RP)
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