Krefeld Als die Mitschülerinnen verschwanden

Krefeld · Seit 15 Jahren wird am Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz der NS-Opfer gedacht. In Krefeld richtet jedes Jahr eine andere Schule die Gedenkveranstaltung aus.

Das Ricarda-Huch-Gymnasium blickte in die eigene Vergangenheit zurück — als die Schule nach Karin Göring benannt war und vor dem Gebäude die Flagge der Hitlerjugend wehte.

Von einer städtischen Gedenkveranstaltung an die NS-Gräuel mag man erwarten: getragene Musik, eine gut formulierte Rede des Stadtoberhaupts, beklemmende Bilder und Texte. Doch was gestern die Schüler des Ricarda-Huch-Gymnasiums den mehr als 200 Gästen zeigten, war nicht zu erwarten — und umso schockierender und ergreifender. Ein Geschichtskurs der Jahrgangsstufe 13 brachte den Besuchern nahe, wie es während der Nazi-Herrschaft in diesem Schulgebäude zugegangen war.

In Uniform marschierten die Schüler in der abgedunkelten Aula ins nachgestellte Klassenzimmer auf die Bühne, studierten die große Rassenkunde-Karte neben einem Bildnis Adolf Hitlers. Dazu gab es Fakten — zum Beispiel, dass am 19. Februar 1936 die Flagge der Hitlerjugend erstmals vor dem Schulgebäude gehisst wurde.

Seit Wochen hatten die Schüler Akten im Schularchiv gewälzt, waren ins Stadtarchiv gefahren, startete per Internet Anfragen an die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Immer mehr jüdische Mitschülerinnen wurden seit 1933 von der Schule abgemeldet. Die Schüler recherchierten hinterher. Einige waren ins Ausland geflohen, leben dort zum Teil noch heute. Mindestens vier wurden in Konzentrationslager deportiert.

Die Statue vor dem Schulgebäude verfremdeten die Schüler gestern in Erinnerung daran zu einem Denkmal.

Geschichtslehrer Andreas Behling organisierte das Programm der Gedenkstunde mit. "Eines hat die Schüler überrascht", erklärte er. "Sie fragten: Warum hat eigentlich niemand vor uns diese Suche gestartet?" Eigentlich haben die Schüler, die in der Aula auftraten, mit Geschichte nicht viel am Hut. Kurz vor dem Abitur belegten sie einen Pflicht-Zusatzkurs.

Erst wollten die Schüler eine Gedenktafel für die jüdischen Mitschülerinnen errichten. Nun soll es ein Denkmal werden. Entwürfe der Schüler konnten die Besucher der Gedenkveranstaltung bereits besichtigen. Gespräche mit möglichen Sponsoren laufen. Schulleiter Uwe Roscheck erklärte: "Das Interesse und Engagement der Jugend sollte uns allen Zuversicht geben."

(RP)
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