Reihe: Ende des Zweiten Weltkriegs in Krefeld Als der II. Weltkrieg in Krefeld endete

Krefeld · Mit dem Einmarsch der Amerikaner am 2. März 1945 und der Flucht deutscher Truppen über den Rhein endete für die Krefelder vor 70 Jahren der Zweite Weltkrieg - offiziell kapitulierte die Wehrmacht erst am 8. Mai 1945. Wir erinnern in einer Reihe an die letzten Tage des Krieges in Krefeld.

Krefeld: Ende Zweiter Weltkrieg vor 70 Jahren
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Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Krefeld

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Zu den schrecklichsten Fotos, die das Krefelder Stadtarchiv aufbewahrt, gehört ein Bild von einem toten 16-jährigen Mädchen, das bei einem der ersten Bombenangriffe auf Krefeld am 15. September 1940 ums Leben kam: Als man seinen Leichnam aus den Trümmern des Hauses Luisenstraße 21 geborgen hatte, wurde es fotografiert. Die Jugendliche trug noch ein Kopftuch und sah aus, als schliefe sie, wären da nicht die Verletzungen und all der graue, grobe Staub auf ihrem Körper.

Erinnern ist in Deutschland Schwerstarbeit, und vielleicht erinnert man sich dann erst richtig, wenn man sich am liebsten nicht mehr erinnern möchte. Gefühle des Grauens beim Betrachten solcher Bilder darf man nicht loslösen vom Wissen um das Ganze. Es war der kürzlich verstorbene Richard von Weizsäcker, der das den Deutschen in seiner berühmten Rede am 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa eingeschärft hat: Die Ursachen für all das Leid des Krieges liegen im Jahr 1933, dem Jahr der Machtübernahme Hitlers, und nicht in der Niederlage von Nazi-Deutschland 1945.

Der britische Historiker Ian Kershaw hat in seiner Hitler-Biografie die Kapitel zum Untergang von Hitlers Reich mit "Nemesis" überschrieben - Nemesis, die Göttin des Zorns: Die Gewalt, die von Hitler-Deutschland ausgegangen war, schlug mit ungeheurer Wucht auf das Land zurück, und diese Gewalt traf Schuldige wie Unschuldige, Nazis wie Gegner der Nazis oder eben jenes 16-jährige Mädchen, das sicher zu jung war, um Schuld auf sich geladen zu haben.

Krefeld hat früh jene Nemesis zu spüren bekommen. Die Luftangriffe begannen schon im Jahr 1940; die Briten warfen mit den Bomben auch Flugblätter ab, auf denen die Industriestadt Krefeld als "wichtiger Punkt der Hitlerschen Kriegsmaschinerie" eingestuft war. Bis 1943 flogen die Alliierten kleinere Angriffe, die Industriebetriebe oder Infrastruktur zerstören sollten. Dann eskalierte der Luftkrieg: Nun legten die alliierten Bomberflotten ganze Innenstädte in Schutt und Asche. In der Nacht zum 22. Juni 1943 war Krefeld das Ziel. Es gab 1036 Tote und 9349 Verwundete; die schöne Innenstadt war nur noch ein schrecklich anzusehendes Trümmerfeld.

Es dauert noch bis zum 2. März 1945, bis für Krefeld der Krieg wirklich zu Ende war: Das war der Tag, an dem die Amerikaner in die Stadt einmarschierten. Dass es nicht noch zu schweren Häuserkämpfen kam, ist wohl dem kommandierenden Oberstleutnant Weiß zu verdanken: Er hat die Überlegenheit der Amerikaner eingesehen und kein blutig-sinnloses Finale organisiert.

Gekämpft wurde am Ende nur noch um die Uerdinger Rheinbrücke. Die Wehrmacht wollte sie so lange wie möglich halten, um möglichst vielen Soldaten den Rückzug ins Ruhrgebiet offenzuhalten; die Alliierten wiederum wollten die Brücke für ihren Vormarsch unversehrt übernehmen. Am 3. März gelang den Deutschen die Sprengung der Brücke; am 5. März trauten sich die Uerdinger aus ihren Kellern und Bunkern heraus. Erst jetzt war Krieg linksrheinisch ganz zu Ende.

Die Besetzung durch amerikanische Truppen verlief, sieht man vom Kampf um die Brücke ab, ohne große Zwischenfälle; wo immer die Amerikaner in der Stadt auftauchten, wurden weiße Flaggen gehisst - ein nicht ungefährliches Unterfangen: In dem überfüllten Bunker am Hauptbahnhof hatte eine SS-Panzerbesatzung die Leute gezwungen, die weißen Fahnen abzuhängen. Als die SS abzog, quittierten Bunkerinsassen dies mit frenetischem Jubel - es sollen vor allem die dort eingesperrten Zwangsarbeiter gewesen sein, die gejubelt haben. Was später in der Geschichtsschreibung und im Gedenken der Bundesrepublik als "Befreiung" gedeutet wurde, ist von den Menschen in jenen Märztagen offenbar noch nicht so empfunden worden. Es überwogen Gefühle wie Angst, Unsicherheit, Sorge um das eigene Überleben und das Schicksal von Familienangehörigen, denn Söhne waren noch im Krieg, Mütter und Töchter irgendwo in Deutschland, wo sie der Bombenkrieg nicht erreichen sollte. Im Stadtarchiv befinden sich Aufzeichnungen mit Erinnerungen, die das nahelegen. Christoph Moß, neuer stellvertretender Leiter des Stadtarchivs, hat die Unterlagen noch einmal gesichtet. Auch Jahre später, berichtet er, beherrschte noch Nazi-Vokabular die Erinnerungen - wenn etwa von "Terrorangriffen" die Rede war und nicht neutral von alliierten Bombenangriffen. Die Erinnerung daran war wohl zu übermächtig, um den Krieg und seine Beteiligten aus der Distanz weniger Jahre neu zu sortieren.

Schwer erträglich ist es zu lesen, dass Krefelds NS-Elite sich rechtzeitig abgesetzt hat. Zu nennen wären Oberbürgermeister Aloys Heuyng und der NSDAP-Kreisleiter Erich Diestelkamp. Anders als jenes 16-jährige Mädchen durften die Diener Hitlers später das verbringen, was man einen ruhigen Lebensabend nennt: Heuyng bezog für seine Zeit als OB eine Pension bis zu seinem Tod 1973 - er wurde 82 Jahre alt. Diestelkamp wurde für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Danach lebte er normal weiter: arbeitete als Reiseleiter, später als Versicherungsvertreter einer Bausparkasse und starb 1983 im Alter von 82 Jahren in Bielefeld.

1983 - jenes 16-jährige Mädchen wäre in diesem Jahr 59 Jahre alt geworden.

(RP)
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