Prozess am Amtsgericht 82-Jährige kann nach Überfall im eigenen Haus nicht mehr schlafen

Der Täter kam aus der Nachbarschaft und war ihr Mieter: Gestern wurde dem 45 Jahre alten Mann aus Uerdingen der Prozess gemacht. Er muss für dreieinhalb Jahre hinter Gitter.

 Blick auf das Land- und Amtsgericht in Krefeld. (Symbolfoto)

Blick auf das Land- und Amtsgericht in Krefeld. (Symbolfoto)

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Der Abend, an dem es passierte, war das Ende einer dieser brütend heißen Sommertage, wie es sie im August 2018 ständig gab. Frau Janssen (Name geändert, die Red.) erinnert sich noch gut an diesen Tag, besonders an die Nacht. Sie hat etwas verändert bei der 82-Jährigen, bis heute. Frau Janssen schläft nicht mehr gut, sie ist jetzt oft nervös. Vergessen kann sie nicht. Regelmäßig besucht sie einen Arzt. Schuld ist der 3. August. Und ein Mann, der jahrelang wenige Meter von ihr entfernt lebte.

Es ist 23 Uhr, in der Bruchstraße in der Nähe des Rheinufers in Uerdingen ist es ruhig. Frau Janssen hatte bis eben mit der Nachbarin Wein getrunken, das machen die beiden im Sommer gerne. Bevor die Freundin wieder zu ihrer Wohnung ging, sagte sie noch, sie habe das Gefühl, jemand beobachte die beiden. Frau Janssen winkte ab. Sie setzt sich in ihren Sessel und schaut fern. Die Terrassentür steht noch einen Spalt weit offen – für die Katze, die gleich rein huscht. Doch das Tier kommt nicht allein. Als sich Frau Janssen umdreht, steht ein Mann mit Sturmhaube im Zimmer. Sie schreit, er geht auf sie zu, in seiner Hand hält er eine Spielzeugpistole, keine echte Waffe, aber das weiß die 82-Jährige in dem Moment nicht. Er packt sie am Hals, hält ihren Arm fest, sie wehrt sich, aber er reißt ihr die Goldkette vom Körper. Das letzte Geschenk ihres verstorbenen Ehemanns. Dann rennt der Mann weg.

Fünf Monate später. Frau Janssen sitzt in einem Saal im Amtsgericht Krefeld. Ihr Sohn legt den Arm um sie, gerade musste die alte Dame aussagen. Man sieht ihr den Überfall nicht mehr an. Die Hämatome am Hals sind verschwunden, die 82-Jährige scheint sich erholt zu haben, sie spricht ruhig, wirkt gefasst und selbstbewusst. Als der Richter nach ihrem Namen fragt, stellt sie erstmal klar, dass die Herren heute etwas lauter sprechen müssen. Aber es ist nicht alles wieder gut. Rund um ihr Haus hat Frau Janssen Kameras installieren lassen, seit dem Überfall nimmt sie psychologische Hilfe an, immer wieder hat sie Angst. Mehr noch als zuvor. Denn es war nicht das erste Mal, dass sich jemand Zutritt zu ihrem Haus verschaffen wollte. Im April wurde die Terrassentür aufgebrochen, in den Wochen danach riss mehrmals jemand ihre Blumen aus der Erde, und das obwohl das Tor zum Grundstück abgeschlossen und unversehrt war. Frau Janssen hatte damals schon einen Verdacht. Sie glaubt, es war derselbe Mann, der sie im August überfallen hat. Beweise hat sie keine.

Dieser Mann, er sitzt jetzt auf der Anklagebank, die Polizei hat ihn noch am Abend des Überfalls festgenommen. Es ist der Nachbar von Frau Janssen, sie seine Vermieterin. 45 Jahre, Diabetiker, arbeitslos, vorbestraft wegen Diebstahl und Körperverletzung, die Miete hat jeden Monat pünktlich das Amt gezahlt. Dann fielen die Zahlungen plötzlich aus. Frau Janssen mahnte ihn ab, als nichts passierte, kündigte sie den Mietvertrag. Auch andere Rechnungen bezahlte er nicht mehr, der Versorger soll kurz vor der Tat den Strom abgedreht haben. Frau Janssen vermutet, er brauchte damals dringend Geld. Die Goldkette ist mehr als 2000 Euro wert.

Die 82-Jährige hat ihren Mieter an jenem Augustabend erkannt, an der nuschelnden Stimme, dem Gang und der Statur. Später stellen die Beamten in der Wohnung des Mannes die erbeutete Kette sicher, dazu eine Sturmhaube und Teile einer Soft-Air-Pistole. Fast überall finden sie die DNA-Spuren des Angeklagten. Die Beweislast ist erdrückend, er gesteht sofort. Dass er bestraft werden muss, ist jedem im Saal klar, auch seinem Verteidiger und sogar ihm selbst. Nur wie? Ob nicht eine Bewährungsstrafe reichen würde, fragt der Angeklagte. Er habe doch eine Tochter. Es ist sein letztes Wort in der Verhandlung. Dass das bei einem Raub und all den Vorstrafen aussichtslos ist, weiß auch sein Anwalt. Er sucht nach Gründen, die Strafe wenigstens etwas zu mildern. Der Staatsanwalt will dreieinhalb Jahre, das sei zu viel, wenn man die Umstände bedenke, so der Verteidiger.

An jenem Abend, so schreibt es der Polizeiarzt, war der Angeklagte betrunken. „Acht oder zehn Flaschen Bier“, sollen es gewesen sein, erzählt der Angeklagte. „Ich war verzweifelt“. Sein Insulin hätte nur noch bis zum nächsten Tag gereicht. „Es tut mir Leid, nüchtern hätte ich sowas nie gemacht“, sagt er. Aber es hilft nichts. Der 45-Jährige muss für drei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. „Ich hoffe, dann kriegen sie ihr Leben in den Griff“, sagt der Richter. Frau Janssen schweigt.

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