Korschenbroich Schüler lernen Leben im Rollstuhl kennen

Korschenbroich · Drei Klassen der Gemeinschaftshauptschule Korschenbroich erlebten in einem Projekt der Bezirksregierung, wie es ist, im Rollstuhl zu sitzen. Die Erfahrung soll ihnen helfen, sich besser in die Situation Behinderter hineinzuversetzen.

 Die zwölfjährige Charmain hat zwar einen gebrochenen Fuß, aber im Rollstuhl ist sie mindestens genau so schnell unterwegs wie ihre Klassenkameraden.

Die zwölfjährige Charmain hat zwar einen gebrochenen Fuß, aber im Rollstuhl ist sie mindestens genau so schnell unterwegs wie ihre Klassenkameraden.

Foto: lothar berns

Die rechteckige blaue Sportmatte ist nicht viel höher als eine abgeflachte Bordsteinkante. Doch für die zwölfjährige Charmain ist sie ein großes Hindernis. Langsam fährt die Fünftklässlerin der Gemeinschaftshauptschule Korschenbroich mit ihrem Rollstuhl auf die schmale Seite der Matte zu. Sie lehnt den Oberkörper leicht nach hinten — die beiden kleinen Vorderreifen heben sich und landen auf der Matte.

Dann lehnt sich die Zwölfjährige nach vorne. Die Hände umfassen die Greifringe der großen Hinterreifen. Charmain drückt mit voller Kraft, bis der Rollstuhl komplett auf der Matte steht. Sie reißt die Arme hoch: "Geschafft! Und das ganz alleine!"

Charmain und 24 Klassenkameraden probieren an diesem Morgen in der Kleinenbroicher Dreifachsporthalle aus, wie es ist, im Rollstuhl zu sitzen. Die Selbsterfahrung ist Teil des Projektes "Inklusion und Mobilität — Rollstuhlsport bewegt Schule" der Bezirksregierung Köln. Ziel ist es, den Kindern eine neue Sichtweise auf den Rollstuhl zu eröffnen. "Er gilt oft als Sinnbild für Krankheit und Behinderung. Wir versuchen, ihn als Sport- und Aktivitätshilfe darzustellen", erklärt Patrick Moser. Gemeinsam mit Ute Herzog, Beraterin für Inklusion und Schulsport der Bezirksregierung, ist der 23-Jährige in die Schule gekommen. Er kann zwar gehen, nutzt aber häufig seinen Rollstuhl. Als Moser mit den Fünftklässlern im Kreis sitzt und sie auffordert, ihn etwas zu seinem Leben zu fragen, ist Nico der erste, der sich meldet.

"Wie ist das mit dem Rollstuhl passiert?", will er wissen. Patrick Moser war bereits in rund 20 Schulen, diese Frage ist immer eine der ersten. "Bei der Geburt lag die Nabelschnur meines Zwillingsbruders um meinen Hals", erzählt er. Das habe die Sauerstoffzufuhr unterbrochen und Nervenbahnen zwischen Gehirn und Muskeln gestört. Seine Muskeln sind ständig angespannt, Gehen ist für ihn sehr anstrengend, deshalb greift er oft auf den Rollstuhl zurück. Als das geklärt ist, spricht er mit den Schülern darüber, welche Rollstuhl-Sportarten sie kennen. Basketball, Golf und Tischtennis nennen sie. Henrik fällt noch Fußball ein — und das gibt es tatsächlich. Ziel des Projektes sei es eben auch, den Kindern zu zeigen, dass Rollstuhlfahrer vieles tun können, sagt Ute Herzog.

"Man muss sich auf die Dinge konzentrieren, die man kann und nicht auf die, die man nicht kann" — das will sie den Schülern vermitteln. Außerdem lernen sie etwas über die Fahrtechnik, machen Fangspiele und versuchen sich als Rollstuhl-Basketballer. Ihre letzte Aufgabe ist, die blaue Matte zu bezwingen.

"Es fühlt sich komisch an, im Rollstuhl zu sitzen", sagt Charmain. Vorwärts und rückwärts durch die Sporthalle zu rollen oder Pirouetten zu drehen, macht ihr aber viel Spaß. So schnell wäre sie sonst auch sicher nicht unterwegs: Denn der linke Fuß der Zwölfjährigen ist seit ein paar Tagen gebrochen und sie ist auf Krücken angewiesen.

(RP)
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