Lange Nacht des Schreibens in Korschenbroich An der eigenen „Klaue“ lässt sich arbeiten
Korschenbroich · Die Kunst der Kalligrafie lässt sich nicht in einer halben Stunde erlernen. Doch beim Schnupperkurs zeigt Ulrike Freier anlässlich der „Langen Nacht des Schreibens“, was nötig ist für eine schöne Handschrift.
Während der „Langen Nacht des Schreibens“, zu der Ulrike Freier, Inhaberin von „Feder & Tinte“ (Mitte) eingeladen hatte, konnten verschiedene Schreibgeräte nach Herzenlust ausprobiert werden. Lydia Wirtz (vorne) nutzt die Chance, Beatrix Chateau beobachtet die Schönschriftversuche.
Foto: Rick, Markus (rick)/Markus Rick (rick)Korschenbroich. Das digitale Zeitalter setzt bevorzugt auf den schnellen Austausch. Eine Nachricht ist rasch ins Smartphone getippt, oft genug fehlerhaft, da die Zeit zum Drüberlesen offensichtlich fehlt. Eine schöne Handschrift aber erfordert Geduld und Übung. Vernachlässigt bleibt sie irgendwann auf der Strecke und entwickelt sich zur sprichwörtlichen Klaue. Es sei doch schade, dass immer seltener Briefe mit der Hand geschrieben werden, sagt Ulrike Freier. „Die Handschrift macht etwas mit uns. Das Schreiben mit der Hand wirkt sich positiv auf das Gehirn aus und stärkt die feinmotorischen Fähigkeiten. Darum ist auch die lange Nacht des Schreibens so wichtig“, betont die Kalligraphin. Zur Langen Nacht des Schreibens lädt sie daher regelmäßig zu halbstündlichen Workshops in ihre Schreibmanufaktur „Feder und Tinte“ ein. Die Bereitschaft zur Anmeldung setzt allerdings schon zumindest Interesse oder Neugierde voraus. Eine verlockende Einladung zum spontanen Ausprobieren bietet hingegen die lange Papierbahn auf dem Tisch vor dem Geschäft. In Kästen liegen und stehen vertraute wie auch selbstgefertigte Schreibutensilien und für einen solchen Gebrauch umfunktionierte Alltagsdinge. Die dürfen nach Belieben in bereitstehende Tintenfässchen getaucht werden. Beim Einsatz der Glitzertinte merkt Lydia Wirtz rasch, dass diese wegen der feinen Glanzpartikel besser geschüttelt werden sollte.
Die Zeichen stehen also ideal für den Selbstversuch, den in weit überwiegender Zahl Frauen und Mädchen wagen. Taugt eine Wäscheklammer nur zur Befestigung von Wäsche? Nein, auf ihre Hälfe reduziert ist sie auch für schwungvolle Buchstaben mit verjüngenden und verdickenden Linien zu gebrauchen. Auf den Ansatz kommt es an, also ob die Kante, die breitere Fläche oder eben der Wechsel zwischen beiden Möglichkeiten probiert wird. Das funktioniert aber nur bei Wäscheklammern aus Holz. Reizvolle Akzente lassen sich auch im Anfängerstadium mit dem Parallel-Pen mit der doppelten Füllerspitze erzielen. Zur gezogenen Linie gibt es den Parallelschwung oder den passenden Schatten gleich dazu. Zur Perfektion ist es aber doch noch ein langer Weg. Denn der Doppelzug gelingt am besten, wenn der besondere Füller gerade aufgesetzt wird.
Die gläserne Feder sieht hübsch aus und lässt sich beim Schreiben am leichtesten kontrollieren. Beim Ansatz setzt die frisch eingetauchte Spitze vor der Linie einen dicken Punkt, der doch schon etwas von einem kleinen Schnörkel hat. Doch an einem solchen Tag ist der Einsatz dieser Feder schon fast zu konventionell. Da reizt der Umgang mit den Dingen, die sich nicht ganz so leicht überwachen lassen. Ein angespitztes Stück Bambus erweist sich als recht hartes Schreibgerät. Auch das ließe sich selbst zuspitzen, doch wegen der Härte des Materials bitte Vorsicht, empfiehlt die Kalligrafin. Besonders reizvoll ist das Schreiben mit der sogenannten Cola-Feder. Die ist aus einem Stück Weißblech gebogen und an einen hölzernen Stab befestigt. „Diese Feder darf springen und tanzen, kann aber auch spritzen. Die Tinte lässt sich allerdings auswaschen“, warnt Freier und gibt zugleich Entwarnung. Beim Springen und Tanzen der Feder im Einklang mit einem großzügigen Schriftzug ergeben sich muntere Gegensätze zwischen ausladenden und sich scheinbar auflösenden Linien. Dabei sind die Ergebnisse immer auch abhängig von der Tintenmenge an der Spitze. Unter einsatzbereiten Federn liegt auch ein Gänsekiel wie das Requisit aus historischen Filmen. Tatsächlich hätten die Schreiber früher weniger Federn am Kiel belassen, um besser schreiben zu können, verrät Freier.