Korschenbroicher Autorin schreibt neues Buch Ein Plädoyer für bedrohte Sprachen

Korschenbroich · In ihrem neuen Buch „Atlas der verlorenen Sprachen“ nimmt Rita Mielke die Leser auf eine Weltreise mit. Sie zeigt die Faszination einer gefährdeten Vielfalt und die oft tragische Rolle von Kolonialisierung und Missionierung.

 Rita Mielke mit einigen Ausgaben ihres neuen Buches, das sie während der Corona-Krise geschrieben hat.  Foto: Detlef Ilgner

Rita Mielke mit einigen Ausgaben ihres neuen Buches, das sie während der Corona-Krise geschrieben hat. Foto: Detlef Ilgner

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Für das letzte Kapitel hob sich Rita Mielke einen „absoluten Glücksfall“ auf. Es ist der in Deutschland geborenen Luise Hercus gewidmet, die Ende der 1950er Jahre erstmals australischen Boden betrat. Die Forscherin hatte den Aborigines für die Bereitschaft gedankt, ihr die „großartige Sprache“ der Ureinwohner beizubringen. Hercus’ Haltung widersprach einem einst verbreiteten Überlegenheitsgefühl der westlichen Welt. Die vielleicht größte Leistung der Sprachforscherin habe in der radikalen Umkehrung der Vorzeichen gelegen, so Mielke.

Die Korschenbroicherin schrieb für den Duden-Verlag das 240 Seiten starke Buch „Atlas der verlorenen Sprachen“. Im Fokus stehen unbekannte, längst ausgestorbene oder bedrohte Sprachen. Die Autorin wählte 50 Sprachen von fünf Kontinenten aus und erzählt deren Geschichten. Sie macht die Bedeutung von Sprache als Spiegel von Lebenswelten bewusst.

Mielke berichtet zum Beispiel von der ausgestorbenen chinesischen Frauengeheimschrift Nushu, die bis heute als einzige geschlechtsspezifische Schriftsprache gilt. Die Autorin beschreibt deren Besonderheit als Akt weiblicher Selbstbefreiung aus männlich verordnetem Analphabetentum. Das ausgestorbene, schriftlose Ubychisch habe großen Wert auf präzise Orts- und Richtungsangaben gelegt, aber keinen äquivalenten Begriff für das Wort „lieben“ gekannt, so Mielke im Buch.

Die Berliner Illustratorin Hanna Zeckau gestaltete Bebilderung und Kartenausschnitte. Mit Liebe zum Detail symbolisiert Zeckau auf dem ersten und letzten Blatt Beginn und Ende einer Reise über die Darstellung eines Segelschiffes auf blau gewelltem Papier. Mielke unternahm ihre Entdeckungsfahrt vom Schreibtisch aus und nutzte den Corona-Lockdown für die Recherche von Quellenmaterial und Literatur zum Thema.

„Ich wollte das Ganze nicht zu abstrakt darstellen, sondern erden“, betont die Autorin. So erfahren ihre Leser auch, wie sich Michael Ende von der Geschichte des Feuerlandindianers namens „Jemmy Button“ zur „antirassistischen Parabel“ im Roman „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ inspirieren ließ. „Ich habe nicht den Ansatz, Sprachen wissenschaftlich zu erforschen, sondern für ihre Bedeutung zu sensibilisieren. Wenn eine Sprache mit ihrem letzten Sprecher stirbt, ist das ein leiser Prozess“, erklärt die Autorin ihr Anliegen.

Sie fürchtet, dass in einer globalisierten Welt viele kleine Sprachgemeinschaften keine Zukunft haben. „Sprachforscher gehen davon aus, dass schon in hundert Jahren mehr als die Hälfte aller heute noch vorhandenen Sprachen ausgelöscht sein wird“, sagt Mielke. Zurzeit würden noch rund 7000 Sprachen gesprochen, einige allerdings nur noch von wenigen Sprechern. Die Autorin betont für ihr Buch zwei rote Fäden: Die Faszination an der Vielfalt der Sprachen und die Scham über die Hybris der westlichen Welt mit der mehrheitlichen Vorstellung, fremden Völkern nicht nur Bodenschätze und Kulturgüter entreißen, sondern auch die eigene Religion und Sprache aufzwingen zu können.

Heute erkennt sie ein sich wandelndes Bewusstsein gegenüber dem Wert einer jeden einzelnen Sprache und das Bemühen, Sprachen zu schützen. „Es gibt sogar ausgestorbene Sprachen, die von Gemeinschaften mit einem erstarkten Selbstbewusstsein, wieder aktiviert werden, wie das Sami und das Kornisch. Das ist ein Hoffnungsschimmer für die Vielfalt der Sprachen“, so Mielke.

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