Festakt in Korschenbroich Der Mythos um den Tag der Einheit

Korschenbroich · Der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte sprach auf Einladung der Stadt Korschenbroich in seiner Festrede am 3. Oktober über die Entstehung nationaler Mythen. Vielfach lohne sich ein Blick auf die Fakten.

 Der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter, sprach zur Feier der Deutschen Einheit im Ratsaal über Mythen und das, was dahinter steckt.

Der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter, sprach zur Feier der Deutschen Einheit im Ratsaal über Mythen und das, was dahinter steckt.

Foto: Isabella Raupold

Mythen rekonstruieren die Vergangenheit, immer aber mit einer nützlichen Absicht für die Gegenwart. Mythen sind ein zentraler Bestandteil der nationalen Identität. Der Mythos stand im Zentrum des 3. Oktober in Korschenbroich. Als Festredner zur Feier der Deutschen Einheit, die die Stadt Korschenbroich traditionell im Rathaus ausrichtet, sprach Professor Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zum Thema: „Die Realität hinter dem Mythos. Gedanken zur Erzählung von Geschichte“.

Hans Walter Hütter ist in Mönchengladbach geboren, kennt sich, wie Bürgermeister Marc Venten in seiner Begrüßung sagte, „in Geschichte und unserer Heimat“ aus. Zum Festakt im Rathaus waren Hans-Ulrich Klose, ehemals Vizepräsident des Landtags Nordrhein-Westfalen, der stellvertretende Bürgermeister Hans-Willi Türks, der Beigeordnete und Kämmerer Thomas Dückers, der ehemalige Bürgermeister Heinz-Josef Dick, Vertreter der Fraktionen, Verbände, Vereine sowie die Bürger von Korschenbroich gekommen.

Bezugnehmend auf die Bilder, die die meisten Menschen vor Augen haben, wenn sie an den Mauerfall denken, sprach Hütter von einer „bildgewaltigen Inszenierung von Geschichte“, die unsere Erinnerungen prägen. Dies sei aber nur so, weil sie massenmedial verbreitet wurden. Die Demonstrationen am 9. Oktober 1989 in Leipzig wurden im westdeutsche Fernsehen gezeigt. Eine viel größere und bedeutendere Demonstration in Plauen zwei Tage zuvor nicht – und blieb unerinnert. Auch die zähen Verhandlungen, die zur Wiedervereinigung führten, seien im Hintergrund geblieben, sagte Hütter. Ein Mythos sei zwar notwendig, weil er als „Erzählung der Vergangenheit die Orientierung in der Gegenwart biete.“ Doch blende er manche Fakten aus.

Einen anderen Mythos entlarvte Hütter: den der „Trümmerfrauen“. Ohne die große Aufbauleistung vieler Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg schmälern zu wollen: Den größten Teil der Trümmer hätten Bagger weggeräumt, sagte er. Der Begriff der „Trümmerfrauen“ sei im Rahmen einer Neuordnung von Rentenbezügen entstanden.

Auch der Sport lebe von Mythen, erklärte Hütter. Aus den Fußballweltmeistern von 1954 seien 1994 die „Helden“ von Bern und zehn Jahre später das „Wunder von Bern“ geworden. Ein anderes Beispiel von Mythenbildung zeigte Hütter an Albert Speer, dem engsten Mitarbeiter von Hitler, der nach dem Krieg die öffentliche Wahrnehmung seiner Karriere manipuliert hatte. „Es lohnt sich, immer einen Blick auf die Fakten zu werfen“, mahnte Hütter. Erst nach dem Tod von Speer im Jahr 1981 konnte der Mythos um seine Harmlosigkeit im NS-Regime dekonstruiert werden.

Trotz vieler zweifelhafter Mythen, die sich um die Wiedervereinigung drehen, sagte Hütter: „Am 3. Oktober haben alle Deutschen einen guten Grund, ein großes Ereignis zu feiern.“ Der Festakt wurde musikalisch begleitet durch das Klarinettenduo Franz Dorn und Christine Stemmler.

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