Bestsellerautor Stefan Hertmans in Korschenbroich „Frauen bezahlen den Preis für die Dummheiten der Männer“

Korschenbroich · Bestsellerautor Stefan Hertmans las im Pfarrzentrum von St. Andreas aus seinem Buch "Der Aufgang". Es ist die Geschichte eines flämischen SS-Kollaborateurs. Seine Frau, eine strenggläubige Protestantin, litt sehr darunter. Sie blieb aber bei ihm.

 Der Bestsellerautor Stefan Hertmans in Korschenbroich.

Der Bestsellerautor Stefan Hertmans in Korschenbroich.

Foto: Rick, Markus (rick)/Markus Rick (rick)

Am Ende liest Stefan Hertmans eine Originalpassage. Besucher der Lesung beim 23. Literarischen Sommer sollten nicht nur Teile der deutschen Übersetzung seines Buches hören, sondern auch den realen Klang.

Zuvor hat der flämische Bestsellerautor im Pfarrzentrum von St. Andreas berichtet, wie die frankophone Bourgeoisie nach der belgischen Revolution die kulturelle Wertigkeit der niederländischen und damit auch flämischen Sprache negiert hatte. Noch heute leben deshalb acht Prozent der flämischen Bevölkerung mit dem Gefühl der Rache.

Der Protagonist in Hertmans Romans „Der Aufgang“ hegt als Verfechter der flämischen Sache Sympathien für die nationalsozialistische Ideologie und macht Karriere als Kollaborateur. Die Geschichte des flämischen SS-Offiziers Willem Verhulst und seiner pazifistischen Frau Mientje beruht auf Tatsachen.

Hertmans erzählt, wie er 1979 ein altes Haus in Gent kaufte und auf die Geschichte der früheren Bewohner stieß. Im Sohn Adriaan Verhulst erkannte er seinen früheren Geschichtsprofessor wieder. Jahre später habe dessen Publikation „Sohn eines Kollaborateurs“ den endgültigen Anstoß für das Buch gegeben. Anders als Verhulsts Sohn habe er Einsicht in Gerichtsakten genommen. Auch habe er mit den Töchtern gesprochen und vom Gedankengut der pazifistischen Mutter erfahren.

„Frauen bezahlen den Preis für die Dummheiten der Männer. Er muss gewusst haben, wie seine Frau litt“, sagt der Autor über die Zerreißprobe einer Ehe. Er beschreibt Verhulsts Ehefrau als strenggläubige Protestantin. Sie habe vermutlich nie die vor Gott vollzogene Ehe trennen wollen – auch nicht, als der Ehemann mit „faschistischer Mätresse“ zum Kaffeetrinken kommt. Beinahe anekdotenhaft mutet die Szene an, in der Verhulst versehentlich eine Hitler-Büste zerschießt.

Es sei interessant gewesen, Willem in psychischer Verletzbarkeit und als Karikatur eines Nazis zu zeigen, erklärt Hertmans auf Anfrage. Für ihn führen Verbrechen und Schuld zur Frage „Was ist der Mensch, dass er das kann?“. Nach dem Buchtitel befragt, verrät er: „Der Aufgang bezieht sich auf die erste Hausbegehung mit dem Notar. In literarischer Anlehnung an die göttliche Komödie könne der Weg vom Keller nach oben als Aufstieg aus der Hölle und Karriere eines Nazis gelesen werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort