Kleinenbroich Als die Glocken in den Krieg mussten

Kleinenbroich · Die Glocken fliegen Ostern nach Rom, wurde Generationen von Kindern erzählt. Die Kleinenbroicher haben mehrmals wirklich auf ihre Glocken verzichten müssen. In zwei Kriegen wurden sie eingeschmolzen. Am Dienstag vor 80 Jahren bekam St. Dionysius zum ersten Mal Ersatz.

Allzu fröhliche Mienen machten die in lange dunkle Mäntel gekleideten Herren nicht, als sie sich im Oktober 1917 vor dem Portal von St. Andreas für ein Foto aufstellten. Hinter ihnen, auf einem Karren, warteten zwei Glocken der Pfarrkirche auf ihren Abtransport. Es war Krieg, des Kaisers Soldaten brauchten Kanonen – und die Korschenbroicher Glocken brachten immerhin 2400 Kilo auf die Waage einer Bleihütte in Kall, in der sie eingeschmolzen wurden.

Ob die Kleinenbroicher in vaterländischen Gefühlen schwelgten, als auch sie 1917 drei Glocken aus dem Turm von St. Dionysius abliefern mussten, ist nicht überliefert. Auch nicht, ob den Kindern wie gewiss Generationen zuvor auch damals zu Ostern erzählt wurde: "Die Glocken sind in Rom, darum läuten sie nicht." Nach einem furchtbaren Hungerwinter und nach zigtausend Toten in den Schützengräben dürfte im vorletzten Jahr des Kriegs aber selbst Optimisten beim Abschied von den Glocken schwer ums Herz geworden sein. Lediglich eine 1793 Pfund schwere aus dem Jahr 1884 blieb zurück – vielleicht, weil sie von den Pfarrangehörigen gestiftet war. Vielleicht hoffte aber auch jemand, ihre Inschrift möge sich bewahrheiten: "Pest, Hungersnot und Krieg vertreibe ich".

Helfen sollte dieses Versprechen nur zwei Jahrzehnte später nicht. Aber zunächst halfen sich die Kleinenbroicher selbst. St. Dionysius mit nur einer Glocke – das wollte Pfarrer Josef Thory nicht zum Dauerzustand werden lassen. Der Geistliche ging persönlich von Haus zu Haus und bat um Spenden. Gesammelt wurde so lange, bis Geld für drei neue Glocken beisammen war. Man schrieb den 6. April 1930 – und Kleinenbroich feierte ein Fest: Glockenweihe.

Das neue Läutwerk wurde auf einem Wagen durchs Dorf gefahren. Auch diesmal standen Fotografen parat. Pfarrer und Gemeindemitglieder posierten mit den Glocken. Und eines der Fotos von dem Ereignis, das der Kleinenbroicher Heimatverein in seinem Archiv verwahrt, zeigt eine Gruppe von Kindern. Die Jungen und Mädchen sind kaum größer als die Glocken, die vor dem Eingang zur Kirche über ihren Köpfen hängen. Frisch geweiht wurden die drei Neuankömmlinge in den Turm gehievt.

An ihrem Klang konnten sich die Kleinenbroicher aber nur wenige Jahre erfreuen. 1942 brauchte die Deutsche Wehrmacht erneut Metall – und dieses Krieges konnte sich ihrer Inschrift zum Trotz auch die letzte verbliebene Glocke von 1884 nicht erwehren. Auch sie wurde abtransportiert. Zurück blieb nur eine 601 Kilo schwere Bronzeglocke von 1930.

Pfarrer Thory hat es nicht mehr erlebt, wieder vier Glocken von St. Dionysius läuten zu hören. Er starb 1950. Es dauerte noch weitere sieben Jahre bis sein Nachfolger Johannes Wolf, dessen Herrenshoffer Kollege Eduard Spülbeck und der Eickener Dechant Paffenholz an einem Septembertag drei neue Glocken weihen konnten.

Und wenn die Kleinenbroicher Glocken heute und morgen schweigen, liegt das zum Glück daran, dass sie in Rom sind.

(RP)
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