Korschenbroich 14 - eine Zahl, die als Kulturbote dient
Korschenbroich · Heiner Platzbecker, Mathematik-Lehrer des Gymnasiums Korschenbroich, analysiert die Ziffer, die das neue Jahr prägt.
Jeder Pilger, der auf dem fränkischen Jakobsweg den Berg zum Kloster Vierzehnheiligen hinaufsteigt, wird spätestens bei der Bewunderung des Gnadenaltars in der von Balthasar Neumann erbauten Basilika des Klosters den religiösen Charakter der Zahl 14 erkennen.
Die Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen befindet sich in Bad Staffelstein, der Geburtsstadt des großen deutschen Rechenmeisters Adam Riese. Bad Staffelstein liegt in der Nähe von Bamberg. Der Legende nach soll im Mittelpunkt des heutigen Altars im vierzehnten Jahrhundert das Jesuskind umgeben von 14 Mädchen und Jungen einem Schäfer erschienen sein.
Die 14 Kinder, die 14 Nothelfer, forderten, dass genau an dieser Stelle eine Kirche erbaut werden sollte, was nach Heilung einer todkranken Magd auch geschah. Die 14 Nothelfer sind 14 Heilige, deren Beistand heute in Wallfahrten angerufen wird. Auf dem Bild erkennt man sechs dieser Heiligen und ganz oben in der Mitte das Jesuskind. Der heilige Blasius zum Beispiel steht unten auf der linken Seite des Altars. Jeder der 14 Heiligen wird bei einem speziellen Leiden angerufen — den heiligen Blasius beten die Gläubigen mit der Bitte um Linderung von Halsschmerzen an. Auch der Kreuzweg Jesu hat 14 Stationen und im Islam ist die 14 ebenfalls bedeutsam.
Mathematisch ist die Zahl 14 eher unscheinbar. Sie ist die Summe der ersten drei Quadratzahlen: 14 = 1 + 4 + 9. Die Ziffern 1 und 4 sind die ersten Nachkommastellen der Kreiszahl ? = 3,14... 14 ist das Doppelte der wichtigen Primzahl 7 (das regelmäßige 7-Eck ist das "kleinste" regelmäßige n-Eck, das nicht mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist). 14 ist die Hälfte von 28. Dabei ist 28 nach der 6 die zweitkleinste vollkommene Zahl, denn 28 = 1 + 2 + 4 + 7 + 14. Somit ist 28 die Summe ihrer echten Teiler. Eine solche Zahl heißt vollkommen.
Die Zahl 14 taucht häufig gemeinsam mit ihrer Nachfolgezahl 15 auf.
Vor genau 500 Jahren, also 1514, fertigte Albrecht Dürer (er soll auch Vierzehnheiligen besucht haben) den Kupferstich die Melencolia und darin (oben rechts) das berühmte Zauberquadrat mit der 15 und der 14 in der untersten Zeile an. Man erkennt, dass alle Spalten-, Zeilen- und Hauptdiagonalensummen den Wert 34 ergeben. Aber, warum taucht in dieser Kulturbotschaft mit dem Entstehungsjahr des Bildes auch ein mathematisches Rätsel auf? Was soll der abgestumpfte Würfel in dieser Zeichnung? Der Kupferstich erinnert ein wenig an Rodins " Le Penseur"?
Auf der Heimfahrt von Vierzehnheiligen an den Niederrhein "traf" ich im Museum "Mathematikum" in Gießen den 14 - 15 - Wundermann. Dieses 14 - 15 - Rätsel ist selbsterklärend. Die obere Hälfte besteht aus den beiden Teilstücken mit den Nummern 1 und 2; die untere Hälfte besteht aus dem Stück mit der Nummer 3. Zunächst klebt man die drei Stücke in der Reihenfolge 1, 2, 3. Danach klebt man sie in der Reihenfolge 2, 1, 3. Et voilà!
Ein kleiner Tipp: Ersetzt man abstrahierend jeden Zwerg durch einen Strich, so muss doch in beiden Strichzeichnungen dieselbe Menge an Farbe verwendet werden!
Das berühmteste 14 - 15 - Puzzle stammt von Sam Loyd und hat nicht nur den Autor schon zur "Verzweiflung" gebracht: Kann man die nummerierten Quadrate im Rahmen so horizontal oder vertikal regelkonform verschieben, dass aus der abgebildeten Startposition am Ende auch die Zahlen 14 und 15 im Endquadrat in aufsteigender Reihenfolge erscheinen? Auch hier ein kleiner Tipp: Man zählt die Anzahl der Zahlenpaare, die sich in falscher Reihenfolge befinden und addiert dazu die Zeilennummer des freien Kästchens. Dies ergibt in der obigen Stellung 1 + 4 = 5. Diese Summe heißt die Parität der Position. Was passiert mit der Parität bei einer Verschiebung und welche Parität hat die Endposition?
Das Oktaeder des Grauens und die Zahl 14: Jede Person (Schüler, Elternteil, Lehrer), die in der math.- naturwissenschaftlichen Ausbildung im "Diasporaland" NRW involviert ist, schreit häufig nach mathematischen Nothelfern, also nach den "mathematischen" Heilsbringern à la Blasius oder Barbara aus Vierzehnheiligen! So auch im Zentralabitur 2008 — frei nach dem Motto: Oh heiliger Leonardo (Euler), habe doch Erbarmen mit uns! Ein Gespenst ging um in NRW, das Gespenst des Oktaeders des Grauens.
In einer Teilaufgabe sollten sechs kongruente Pyramiden aus dem Oktaeder ABCDS1S2 so abgeschnitten werden, dass jede Ecke des Oktaeders die Spitze einer Pyramide und die Grundfläche parallel zur gegenüberliegenden Würfelseite ist. Die Länge der abgeschliffenen Kante war vorgegeben. Je nach der Länge der abgeschnittenen Kanten erhält man als Lösung der NRW-Abituraufgabe die beiden folgenden Körper: Beide neuen Körper haben jetzt 14 Flächen.
Nun ja — jetzt kommt mit der Zahl 14 auch der Eulersche Polyedersatz ins Spiel. Ob man ein Oktaeder oder einen Würfel betrachtet: die Summe aus der Ecken- und Flächenzahl ist in beiden Fällen 14 (E + F =14). Der Körper, dessen Oberfläche aus acht gleichseitigen Dreiecken und sechs der Quadrate besteht, heißt Kuboktaeder. Betrachtet man jetzt noch einmal Dürers Melencolia, so erkennt man, das genau zwei Ecken des Würfels geeignet absägt wurden. Würde man alle Ecken des Würfels in gleicher Weise abschneiden, so erhielte man das im Abitur gesuchte Kuboktaeder. Dies liegt darin begründet, dass ein Würfel und ein Oktaeder mathematisch miteinander verwandt sind: Verbindet man die Mittelpunkte der Seitenflächen eines Würfels, so erhält man ein Oktaeder und umgekehrt erhält man einen Würfel. Beim Würfel und beim Oktaeder ist der Summe der Ecken und Flächen gleich 14. Für Albrecht Dürer wäre diese NRW-Abiturfrage wohl eine "Rucki-Zucki-Aufgabe" gewesen!
Alle in diesem Artikel abgebildeten dreidimensionalen Körper, auch der abgesägte Würfel in Dürers Melencolia, sind mathematische Kulturboten. Sie verkünden das Geheimnis des Eulerschen Polyedersatzes. Dieser lautet: E - K + F = 2. Dabei ist K die Kantenzahl des Körpers. Fazit: Die Zahl 14 ist ein wichtiger Eckpfeiler unserer Kultur.