Silvester 2017 in Köln Ein ganz normales Besäufnis

Zwei Jahre sind vergangen, seit es zu Silvester in Köln massenhaft sexuelle Übergriffe auf Frauen gab. Zum Jahreswechsel 2018 fuhren Stadt und Polizei deshalb einmal mehr groß auf – mit Erfolg. Doch ist das die neue Normalität?

Silvester 2017 in Köln: Fotos - so lief die Nacht
10 Bilder

So lief Silvester 2017 in Köln

10 Bilder
Foto: dpa, hka wie

Um halb acht könnte diese Silvesternacht für Anna schon beendet sein. "Ich kann nicht mehr", lallt sie ihren beiden Begleitern entgegen. "Ich hatte schon Sekt, Wein und Bier, ich bin voll." Dabei soll der Abend doch jetzt erst losgehen, Startort Dortmund, Zielort Köln. "Irgendeinen Club" gibt einer von Annas Begleitern als Ziel an.

Der Regionalzug aus der Westfalen- in die Rheinmetropole ist nur mäßig gefüllt. Kaum jemand muss stehen, dafür fließt in nahezu allen Doppelstockwaggons der Alkohol. Kleine Gruppen Jugendlicher sind auf dem Weg durch NRW, zu privaten oder öffentlichen Partys, auf der Zugfahrt wird vorgeglüht.

Noch vor einem Jahr stoppte die Bundespolizei einen solchen Zug am Bahnhof Köln-Deutz, 300 Anreisende, die die Polizei als "Nafris" (Polizei-Jargon für Nordafrikaner) identifizierte, mussten aussteigen und wurden kontrolliert. Weitere 674 Männer, die ins Profil "Nordafrikaner" passten, kesselten die Beamten wenig später am Kölner Hauptbahnhof ein und kontrollierten ihre Personalien. Ein Aufschrei folgte diesen Kontrollen: Die einen empörten sich, dass die Polizei Menschen nur aufgrund ihres Äußeren zusammenpferchte. Die anderen ärgerten sich darüber, dass im Jahr nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen wieder große Gruppen von Männern mit Migrationshintergrund nach Köln kamen.

"Wir haben mit der Gießkanne gewedelt"

Die sogenannten Nafris sind auch Silvester 2018 wieder da. Wobei die Polizei das Wort in diesem Jahr vermeidet und es sich, wie schon im Vorjahr, weniger um Nordafrikaner als um Afghanen, Iraker oder Syrer handelt. Im Vorfeld hatten die Sicherheitsbehörden gegen 24 Männer Bereichsbetretungsverbote für die Kölner Innenstadt ausgesprochen - sie waren bereits in der Vergangenheit an Silvester straffällig geworden. Gemeinsam mit Flüchtlingsinitiativen und städtischen Ämtern hatte man in der ganzen Region versucht, Aufklärungsarbeit unter den Geflüchteten zu leisten: über Verhaltensregeln, Gesetze und Verbote. Kölns Polizeisprecher Wolfgang Baldes beschreibt das so: "Wir haben mit der Gießkanne gewedelt, damit möglichst viele Wasser abbekommen."

Doch längst nicht allen Geflüchteten ist bewusst, was die Silvesternacht 2016 angerichtet hat, welche Vorbehalte es seitdem unter Sicherheitsbehörden und in großen Teilen der Bevölkerung gegen sie gibt.

Shahd zum Beispiel ist vor zwei Jahren aus dem Irak geflüchtet. Mit seinen drei Kumpels ist er auf dem Weg von Dortmund nach Düsseldorf, im Gepäck eine Packung Feuerwerksraketen und eine Apfelschorle. "Wir treffen am Bahnhof noch Freunde" sagt er. Wohin sie dann wollen? Achselzucken. "Mal schauen", sagt Shahd auf Englisch. Vom Böllerverbot in der Altstadt und den Vorbehalten vor Gruppen ausländischer Männer wisse er nichts. "Wir sind friedlich, wir wollen nur feiern", sagt er noch. Dann müssen sie aussteigen, beäugt von Polizeikräften der "Beweis- und Festnahmeeinheit" (BFE), die am Bahngleis alle Reisenden kritisch in Augenschein nehmen.

Mit Großkontrollen und Rundum-Überwachung erreichte die Polizei schon zum vergangenen Jahreswechsel den gewünschten Erfolg: Keine sexuellen Massenübergriffe rund um den Kölner Dom oder der Düsseldorfer Altstadt, keine 1200 Anzeigen, keine Wiederholung der "Nacht der Schande".

Zu einer ganz ähnlichen Bilanz wird die Polizei auch am Neujahrstag 2018 kommen. Erneut haben die Sicherheitskräfte der Stadt nahezu alles aufgefahren, was sie zu bieten haben. Die Gänge des Hauptbahnhofs, dessen Vorplatz und die Straßen und Plätze rund um den Dom gleichen einem Ameisenhaufen, nur dass die Ameisen Uniform und hier und dort sogar Maschinenpistolen tragen.

"Wer sich daneben benimmt, gegen den gehen wir sofort vor"

Allerdings verzichten die Ordnungskräfte dieses Jahr auf Großkontrollen bestimmter Personengruppen, ein Ergebnis der Einsatzauswertung vom vergangenen Jahr. "Wir haben die Strategie geändert. Wir behalten alles und jeden im Auge. Wer hier friedlich feiern will, der kann das tun, egal wie er oder sie aussieht. Wer sich daneben benimmt, gegen den gehen wir sofort vor", sagt Polizeisprecher Baldes.

Was er damit meint, bekommen gegen 23 Uhr zwei Jugendliche zu spüren, die pöbelnd durch die Menge im Bahnhof torkeln. Zwölf Beamte umkreisen die beiden, drücken sie zu Boden, durchsuchen ihre Kleidung. Eine Flasche Jägermeister landet auf dem Boden. Die Jungs wirken erschrocken, eingeschüchtert, so weit sie das in ihrem Zustand noch sein können.

Als um Mitternacht rund 15.000 Menschen auf dem Roncalliplatz bei Live-Musik und Lichtershow das neue Jahr begrüßen, strahlen die Organisatoren. "Alles bestens, alles ruhig, alles super organisiert", sagt Landesinnenminister Herbert Reul (CDU), als er sich gegen 0.30 Uhr ein Bild der Lage am Bahnhof verschafft. Der Langenfelder ist ein knappes halbes Jahr im Amt, dieser Silvesterabend ist die erste große Herausforderung für die Sicherheitskräfte im Land unter seiner Führung.

5700 Polizisten und zusätzliche Hundertschaften der Bundespolizei hat Reul für ganz NRW angefordert. Allein in Köln sind über 1400 uniformierte und zivile Beamte im Einsatz – das sind fast doppelt so viele wie für Hochsicherheitsspiele im Fußball zum Einsatz kommen. Hinzu kommen 1070 Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamts, Sozialarbeiter und Feuerwehrkräfte.

"Die Bürger erwarten, dass wir sie schützen, dass wir ein Gefühl der Sicherheit schaffen", sagt Reul. Dabei helfen sollen – neben Polizisten, vielen Polizisten – auch die sogenannten Sicherheitszonen. "Männer durch die Mitte, Frauen rechts und links", weist eine Mitarbeiterin eines privaten Sicherheitsdienstes an. Mit Erfolg. Auch wenn die Polizei "deutlich mehr Besucher als im Vorjahr" zählt, bleibt es vor den Kontrollstellen meist ruhig. Eine Anzeige von drei Frauen wird eingehen, sie geben an, beim Warten an Po und Brust begrapscht worden zu sein.

Bis 3.30 Uhr nachts nehmen die Beamten neun solcher Anzeigen auf, in drei Fällen wird der Täter noch vor Ort festgenommen. Einige Schlägereien, 54 Personenkontrollen und neun Platzverweise zählt die Polizei bis kurz vor Mitternacht. "Es war verhältnismäßig ruhig", sagt Baldes. Endgültige Zahlen will die Polizei am Montagnachmittag vorlegen.

Auch Saskia und Katja verleben einen ruhigen Jahreswechsel. Die beiden 23-Jährigen sind aus Rheinland-Pfalz nach Köln gekommen. "Wir haben uns keine großen Gedanken gemacht", sagen sie. Vor zwei Jahren feierten sie in der Düsseldorfer Altstadt, "schlimmer geht nimmer", sagt Saskia. Ihre Freundin sagt: "Die Kölner scheinen gelernt zu haben. Die Kontrollen, die Polizei, das gibt ein gutes Gefühl."

Die Stadt scheint einen Weg gefunden zu haben, Sicherheit zu schaffen. Doch der personelle und finanzielle Aufwand ist hoch. "Diesen Preis bezahlen wir gerne, wenn es dafür sicher ist", sagt Kölns Stadtsprecherin Inge Schürmann. Dabei will ihre Chefin, Oberbürgermeisterin Henriette Reker, doch "allmählich wieder zur Normalität übergehen". Wer die Verantwortlichen und ihre Zufriedenheit mit den Abläufen an diesem Abend erlebt, der ahnt: Dieses Sicherheitskonzept ist die neue Normalität.

Um kurz vor 1 Uhr treiben starke Windböen den größten Teil der Besucher in Richtung Hauptbahnhof, es wird noch einmal voll. Arm in Arm schwanken einige Jungs die Domtreppen hinunter und singen dabei Schlager, die Texte kreisen um Bier und Schnaps. Auf dem Bahnhofsvorplatz wollen sie noch für ein Selfie mit Kölns berühmtestem Bauwerk posieren, doch da schreitet die Hundertschaft ein. "Nicht stehen bleiben, sofort weiter in den Bahnhof gehen", sagt ein Polizist unmissverständlich. Keine Dom-Selfies - zum Wohle der Sicherheit.

(cbo)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort