Umstrittener Erdogan-Auftritt in Köln "Deutsche Medien haben türkische Regierung beleidigt"

Köln · Ein Lichtgewitter aus tausenden Handys, ein Meer aus blutroten Fahnen mit Halbmond und Stern, dröhnender Applaus - Recep Tayyip Erdogan bekam in der Kölner Lanxess-Arena einen Empfang wie ein Popstar.

 Die Karte zeigt, wo es in Köln am Samstag besonders voll werden wird.

Die Karte zeigt, wo es in Köln am Samstag besonders voll werden wird.

Foto: Polizei

Für viele der aus ganz Deutschland und dem nahen Ausland angereisten 15.000 ist er noch mehr: ein Heiland. Sie waren gekommen, um Erdogan, der in Begleitung seiner Frau gekommen war, den Rücken zu stärken. Gerade jetzt, wo ihr Held so angeschlagen scheint wie noch nie in seiner Zeit als türkischer Regierungschef.

Erdogan kommt schnell zum Punkt: Nach Dank für das Mitgefühl für die Opfer des Grubenunglücks von Soma, bei dem vor einer Woche 301 Kumpel ums Leben gekommen waren, knöpft er sich seine Kritiker vor. "Es gibt da eine Minderheit, die will diese Katastrophe für ihre Zwecke ausschlachten", poltert der Premier und greift auch die deutschen Medien an. "Ein Teil von ihnen", so behauptet Erdogan, "hat versucht, diese Tragödie zu instrumentalisieren, um mich fertig zu machen, um die Türkei herabzuwürdigen, zu beleidigen". Dabei rückt er die Angriffe in einen Zusammenhang mit der Europawahl. "Aber es wird nicht gelingen, auf diese Weise Stimmen zu gewinnen!" Wie schon die Gezi-Proteste, die die Türkei um die Jahreswende erschütterten, könne auch das Unglück von Soma die Türken nicht entzweien, "Mein Volk", tönt Erdogan, "hat bei den Kommunalwahlen im März eine kraftvolle Antwort auf alle Kritik an mir gegeben!" Erdogans AKP hatte auch diesen Urnengang trotz Verlusten klar gewonnen.

EU-Mitgliedschaft? Ja, aber...

Mehrfach würdigte Erdogan die guten deutsch-türkischen Beziehungen, erwähnte ein Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und die starken wirtschaftlichen Bindungen zwischen beiden Ländern. Sein Land wolle weiterhin Vollmitglied der EU werden, betonte der Premier. Aber er wiederholte auch seine Äußerungen, die ihm in der Vergangenheit bereits viel Kritik eingetragen hatte: "Wir waren immer schon für Integration, aber Assimilation - niemals! Niemals geben wir unsere türkische Kultur, unsere türkische Sprache auf!"

Einen großen Teil seiner Rede widmet Erdogan der x-ten Abrechnung mit seinen innenpolitischen Gegnern, den Kemalisten, den Militärs, die er doch längst entmachtet hat. Erneut beschwört er seine Leistung für die frommen Türken, das einfache Volk, das jahrzehntelang von arroganten Eliten geknechtet worden sei. Auch das Wort "Verrat" und "Verschwörung" fällt nicht selten an diesem Abend. "Jenen, die die Türkei wie früher klein halten wollen, sage ich: die Türkei ist nicht mehr die Türkei von gestern!" Erdogan brüstet sich mit Wachstumsraten, mindestens vier Prozent in diesem Jahr, mehr als Deutschland! "Türkei, Türkei!", brüllt das Publikum. Die türkischen Wachstumsraten waren zuletzt rückläufig, die türkische Lira geriet unter starken Druck,

Offiziell galt Erdogans Besuch dem zehnjährigen Gründungsjubiläum der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die aber als verlängerter Arm von Erdogans islamistischer AKP in Deutschland gilt. Und so zielte die Veranstaltung auch ziemlich unverhohlen auf die rund 1,3 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland, die im Sommer erstmals mitstimmen dürfen, wenn es um die Wahl eines neuen türkischen Staatspräsidenten geht. Erdogan hat seien Kandidatur noch nicht offiziell angekündigt, gilt aber dennoch als aussichtsreichster Kandidat.

In den Gängen der Lanxess Arena wurden Erdogan-Devotionalien feilgeboten, vor dem Gebäude parkte eine in Belgien zugelassene Limousine mit dem Kürzel "AKP" auf dem Kennzeichen. Parteiverantwortliche waren allgegenwärtig, der AKP-Vizechef saß in den Reihen von Erdogans Delegation. Auf Plakaten wurde Eintracht beschworen, aber auch Stimmung gegen Kritiker gemacht. "Erdogan wird doch in den deutschen Medien nur so mies gemacht, weil ihr neidisch seid auf den Aufschwung der Türkei, der sein Werk ist", sagt der 23-jährige Kerim. Wer nicht für Erdogan ist, ist gegen uns. "Tayyip, Tayyip! Türkei, Türkei!" Mehr Programm braucht es nicht an diesem Abend.

Fanatische Unterstützung

"Rot - und - weiß - und rot! Die Türkei ist groß!", skandierten Türken, die nach Köln gekommen waren, um Erdogan live zu erleben schon am Nachmittag. Mit kurzen Reden auf den Gast wurden sie auf Erdogan eingeschworen. "Egal welche Propaganda gegen Erdogan gemacht werde, "wir stehen hinter dir", versicherte ein Redner. Die Besucher jubelten und schwenkten türkische Fahnen. "Märtyrer Erdogan", skandierten viele, und "Gott ist groß".

In der Kölner Innenstadt demonstrierten Tausende gegen den Auftritt. "Lasst sie da draußen hören, was wir davon halten!", rief der Einpeitscher auf der Bühne und löste ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert aus. Zur Ruhe kam der brodelnde Saal erst, als ein Vorbeter Koransuren zitierte.

Der eigentlich vorgesehen Auftritt einer Band war wegen des schweren Grubenunglücks abgesagt worden, bei dem vor einer Woche 301 Bergleute im westtürkischen Soma ums Leben gekommen waren. In der Arena gedachte man der Opfer mit einer Schweigeminute.

Schon gegen 14 Uhr hatten die Anhänger Erdogans die Eingänge der Lanxess-Arena gestürmt. Die Menge skandierte zwischendurch "Erdogan" oder auch "Türkiy", berichtet der WDR. Im Inneren gab es Fan-Schals der Erdogan-Partei AKP zu kaufen, teilte das ZDF Landesstudio via Twitter mit:

Erdogan-Anhänger vor und in der Kölner Lanxess-Arena
13 Bilder

Erdogan-Anhänger vor und in der Kölner Lanxess-Arena

13 Bilder

#Erdogan #Köln #Lanxess Arena: AKP-Schals im Verkauf, Wahlkampf ist heute laut Veranstalter nicht. pic.twitter.com/3451d7ayBt

Wegen des großen Andrangs rund um die Lanxess-Arena mussten auch die Notausgänge der Arena geöffnet werden. Insgesamt sollen 15.000 Besucher zu Erdogans Rede kommen.

#Erdogan #Köln In der #Lanxess Arena sind wegen des großen Andrangs jetzt auch die Notausgänge geöffnet worden. pic.twitter.com/1OX2JXVddl

Zehntausende bei Gegendemo

Zuvor hatten Zehntausende in Köln gegen den Besuch Erdogans demonstriert. 30.000 Menschen waren ursprünglich zu der Protestaktion auf dem Ebertplatz in Köln erwartet worden. Doch schon am Samstagmittag war der Platz überfüllt, der öffentliche Personennahverkehr überlastet.

Angeblich noch weitere 170 Busse mit #Erdogan Demonstranten aus ganz Europa unterwegs nach #Köln

Das Ende war damit noch nicht erreicht. Laut Informationen des ZDF Landesstudios waren noch 170 Busse mit Erdogan-Gegnern auf dem Weg in die Domstadt. Am Ende lag die Zahl der Gegendemonstranten bei über 50.000.

#Ebert Platz in Köln platzt aus allen Nähten. Veranstalter rechnet zwischen 30 und 50 Tausend Demonstranten gegen #Erdogan Besuch.

Die Alevitische Gemeinde hatte zu der Gegenkundgebung aufgerufen. Die Demonstranten zogen am Nachmittag durch die Kölner Innenstadt.

Viele der Gegendemonstranten kauften am Morgen T-Shirts mit der Aufschrift "Überall Taksim - überall Widerstand", womit sie gegenüber dem türkischen Ministerpräsident Erdogan auf die Proteste gegen die islamisch-konservative Regierung der Türkei auf dem Taksim-Platz in Istanbul anspielen. Andere trugen gelbe Sicherheitshelme mit dem Aufdruck "Soma". Bei dem verheerenden Grubenunglück von Soma waren nach offiziellen Angaben 301 Bergleute ums Leben gekommen. "Stoppt den Diktator Erdogan", forderten die Teilnehmer auf Plakaten. Manche skandierten sogar "Mörder" und "Faschist".

Erdogan in Köln

Erdogan wird unterstellt, dass er den Auftritt als Werbung für eine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten nutzen wird. Bei der Wahl im August können Türken im Ausland mitwählen. Angesichts der Proteste gegen Erdogan im eigenen Land sagte Oberbürgermeister Roters zu dessen Auftritt: "Das ist schon eine gewisse Provokation." Unterschiedliche politische Richtungen würden jetzt emotionalisiert. "Unsere Demokratie ist stabil und hält Meinungsvielfalt aus. Insofern halten wir auch den Wahlkampfauftritt von Herrn Erdogan aus", sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Strobl. Auch der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Martin Schulz, hat Erdogan wegen seines Deutschland-Besuchs kritisiert. "Ich habe das Gefühl, er ist auf der Flucht vor Problemen in der Türkei", sagte Schulz am Samstag am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Frankfurt.

(felt)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort