Billigtextil-Gigant in Köln "Zehn Euro für ein T-Shirt sind mir bei Primark zu viel"

Kaufen, anziehen, wegwerfen, neu kaufen: Der Textil-Riese aus Irland hinterlässt auch in unserer Gesellschaft seine Spuren. Wie wohl fühlen sich Kunden und Mitarbeiter in der Konsumhölle von Primark? Beobachtungen in der Mega-Filiale in Köln.

So sieht es bei Primark in Köln aus
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Das Modell Skinny ist "Made in Cambodia" und kostet acht Euro. Auf dem Etikett steht: "Aufgrund der Färbemethoden können einige Farben auf andere Oberflächen abfärben. Vermeiden Sie den Kontakt mit hellen Farben und Polstermöbeln." Was will Primark seinen Kunden damit sagen? Sie können diese Jeans gerne kaufen, aber setzen Sie sich besser nirgendwo damit hin? Özlem, 16 Jahre alt, kauft das Modell trotzdem — sogar ohne es vorher anprobiert zu haben. Sie wird die Jeans zwei- bis dreimal waschen und sich dann in ein paar Monaten eine neue Hose kaufen. Auch bei Primark. Etwa alle vier Wochen ist sie hier Kundin, jedes Mal shoppt sie für rund 100 Euro, sagt sie.

Bei Primark wird Özlem immer fündig, garantiert. Auf vier Etagen und 9000 Quadratmetern Verkaufsfläche bietet der Mega-Store in Köln alles, was kaufwütige, fashionfixierte Mädchen bis 25 wollen: trendige Mode zu billigen Preisen. In Massen. Keine Farbe, die es nicht gibt. Keine Größe, die vergriffen ist. Verbringt man einen Tag in der Filiale, sieht man am Ende den Laden vor lauter Klamotten nicht mehr. An einem durchschnittlichen Samstag in den Ferien, wenn Schülerinnen und ihre Eltern frei haben, gehen beim Kölner Primark nach Unternehmensangaben 45.000 Einzelteile über die Ladentheke. Das sind Absatzzahlen, die in der Bekleidungsindustrie in Deutschland ihresgleichen suchen.

Die Massen Ware und die Massen Kunden hinterlassen ihre Spuren im Laden. Jeden Morgen ist eine rund zwanzigköpfige Mannschaft damit beschäftigt, das Geschäft wieder aufzuräumen, Kleidung zu falten, auf Tischen zu drapieren, Runtergefallenes vom Boden aufzuheben und wieder auf Bügel zu bringen. "Recovery-Team" nennt Primark diese Abteilung. Ein Wiederherstellungs-Team also, das jeden Tag zwischen 6 und 9 Uhr morgens wieder Ordnung schafft. Bis vor einigen Monaten gab es dafür sogar noch eine eigene Nachtschicht, das ist jetzt nur noch bei Umbauten der Fall.

Wenn Christoph Uphaus vom Eröffnungstag der Filiale am Kölner Neumarkt im Mai 2014 erzählt, bekommt er "immer noch Gänsehaut". 5000 Teenies hätten damals vor der Eingangstür gewartet, sagt der Primark-Regionalmanager; sie mussten in Schichten eingelassen werden. Die erfolgreichste Store-Eröffnung in der Geschichte des Unternehmens sei das gewesen. "Köln hat regelrecht auf Primark gewartet." Und nicht nur Köln. Tatsächlich kommen viele Kunden auch aus dem Umland extra in die Stadt gefahren, um bei Primark einkaufen zu gehen. Städtetouristen aus Schleswig-Holstein und Bayern steuern auf die neonblau blinkende Filiale zu. Auf ihrem Streifzug durch den Laden ziehen sie Einkaufstrolleys wie im Supermarkt hinter sich her. Dass ein Kunde nur ein oder zwei Teile mit in die Kabine zur Anprobe nimmt? Passiert nicht. Soll nicht passieren. Hamstern ausdrücklich erwünscht.

Die Logistik, die die Hamsterkäufe ermöglicht, ist gewaltig. Aus Ländern wie Kambodscha, China, der Türkei, Vietnam, Tunesien, Pakistan und Bangladesch kommt die Kleidung im Hafen in Rotterdam an und wird von dort auf Logistikzentren in Europa verteilt. Denn natürlich bezieht Primark seine Ware von dort, wo mehr als 90 Prozent der Mitbewerber in der Textilindustrie ebenfalls produzieren lassen: in den Niedriglohnländern in Übersee. Billige Löhne für billige Kleidung.

Diese Marktlogik finden nicht nur Menschenrechts-Aktivisten problematisch. "Sie können davon ausgehen, dass niedrige Verkaufspreise — die nicht aus Sonderaktionen oder dem Abstoß überschüssiger Waren stammen — auf Kosten der Beschäftigten in den Produktionsländern gehen", sagt etwa Sabine Ferenschild vom Institut Südwind, das sich für mehr Gerechtigkeit in der globalen Wirtschaft einsetzt.

Vor allem Billiganbieter müssten Masse produzieren und absetzen, um überhaupt Gewinne zu erwirtschaften, sagt Ferenschild. "Existenzsichernde Löhne sind in diesen Wertschöpfungsketten die absolute Ausnahme, wenn es sie überhaupt gibt." Die Wissenschaftlerin gibt allerdings zu, dass Primark vermutlich "nicht 'schlimmer' ist als die Konkurrenz im gleichen Preissegment." Das ethische Problem, an welchem Ort unsere Kleider unter welchen Arbeitsbedingungen hergestellt werden - es besteht bei nahezu allen großen Anbietern. Wer mit 40 Euro loszieht, um sich drei neue Jeans zu kaufen, blendet es zwangsläufig aus.

Lastwagen kommen im Stundentakt

Was für Primark an den verschiedenen Produktionsstandorten geschneidert wird und für die deutschen Filialen bestimmt ist, passiert das Verteilzentrum in Mönchengladbach. Von dort kommen täglich Lkw-Ladungen neuer Ware in der Filiale am Kölner Neumarkt an. Der erste Wagen fährt um 5.45 Uhr in die Lagerhalle ein, vier weitere kommen im Stundentakt. Am Wochenende können es auch schon mal neun oder zehn sein, im Vorweihnachtsgeschäft noch mehr.

Das bedeutet: Tausende Kisten jeden Tag mit mehreren tausend Kilo Blusen, Kleidern, Röcken, T-Shirts, Cardigans, Schuhen, Hosen, Westen, Taschen, die ausgepackt, aufgebügelt und im Laden verteilt werden müssen. 370 Mitarbeiter sind in Köln bei Primark beschäftigt, viele davon in Teilzeit. In den Ferien beschäftigt die Firma zusätzlich Schüler und Studenten als Aushilfen.

Anna (25) arbeitet seit anderthalb Jahren bei Primark in der Damenabteilung. Sie schwärmt von den netten Kollegen und dem guten Arbeitsklima. Als gelernte Verkäuferin hat sie auch schon vorher in der Bekleidungsbranche gearbeitet. "Aber nirgendwo waren die Bedingungen so gut wie hier", sagt sie.

Tatsächlich versucht Primark Deutschland nach eigenen Angaben, für seine Mitarbeiter ein Wohlfühl-Ambiente zu schaffen: Es gibt Pausenräume mit W-Lan und Fernseher, die Geschäftsführung lädt zu Kanufahrten und Halloweenpartys ein und der Betriebsrat macht Aushänge auf großen, bunten Tafeln im Flur. Großes Thema dort: Seit vergangenem Jahr zahlt Primark in Deutschland den Tariflohn des Einzel- und Versandhandels. Konkret bedeutet das, dass Verkäufer mindestens 9,77 Euro Stundenlohn bekommen. Je nach Ausbildung, Berufsjahren im Unternehmen und Position geht es in der Gehaltstabelle aufwärts, bis auf rund 17 Euro pro Stunde.

Auch die Gewerkschaft sieht diese Löhne als Errungenschaft. Der Tarifvertrag mit Primark hat Signalwirkung für eine ganze Branche. Reiner Kajewski von Verdi NRW sagt: "Primark zeigt, dass auch ein Unternehmen, das sich im Niedrigpreissegment bewegt und somit kleine Margen hat, in der Lage ist, faire Löhne nach Tarif zu zahlen."

Verkäuferin Anna arbeitet diese Woche im sogenannten "Showroom" von Primark. Das ist eine rundum verspiegelte Gruppen-Umkleidekabine. Hier können Mädchen und ihre Freundinnen mit ihren randvollen Einkaufstrolleys reinrollen, unter Annas Aufsicht gemeinsam anprobieren und sich fühlen wie backstage bei einer Modenschau. Nur dass ihre neue Jeans eben nicht 800, sondern 8 Euro kostet.

Wenn man sich unter den Kundinnen von Primark umhört, geht es selten um Qualität, sondern immer um den Preis. Studentin Natalie (25) sagt: "Zehn Euro für ein T-Shirt sind mir bei Primark zu viel, in anderen Läden würde ich aber durchaus mehr zahlen." Das Billig-Image bleibt im Kopf der Kunden hängen. Eine 29-jährige Mutter, die mit einem Kinderwagen durch die Kinderabteilung schiebt, sagt, für sich selbst würde sie hier eher nichts kaufen. Viele Kleidungsstücke seien aus Polyester gefertigt, das Gefühl auf der Haut möge sie persönlich nicht. "Aber die Kleinen wachsen ja eh so schnell aus den Sachen wieder raus, da lohnt es sich nicht, viel Geld auszugeben."

Auf dem Weg zur Kasse werden die Kundinnen noch vorbeigeführt an allerlei Ständern mit Zahnseide, Dekoartikeln, Verbindungskabeln für Smartphones, Matratzenschonern und kalorienarmem Popcorn in der Geschmacksrichtung Sweet Coconut & Vanilla. Längst geht das Sortiment von Primark über reine Kleidung hinaus. Und Prinzessin Kundin greift zu.

Auch die 13-jährige Emily aus Kiel bekommt angesichts der günstigen Mitnehmer große Augen und einen vollen Einkaufskorb. Sie verbringt ihre Herbstferien in Köln, ein Besuch bei Primark steht dabei fest auf dem Programm. Ihre Mutter blickt kritisch auf die einfach vernähten Nähte und die billigen Materialien. Doch auch für sie ist der Preis am Ende das schlagende Argument: "Wenn wir mehr Geld hätten, würden wir gerne qualitativ hochwertiger einkaufen. Aber wir können uns schlicht und ergreifend nichts Teureres leisten."

(siev)
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