Handarbeit Nähen und Stricken — Selbstgemachtes liegt im Trend

Köln · Selbstgemachtes hat sich zu einem Statussymbol entwickelt. Auf der Handarbeitsmesse in Köln werden die Trends der Branche gezeigt.

Nähen boomt
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Foto: Hans-Juergen Bauer

Karina greift fast jeden Abend zu ihren Stricknadeln. Dann schaut sie fern und arbeitet "nebenbei" an einem neuen Pullover oder an einer neuen Mütze — "ich stricke eigentlich alles außer Socken, damit habe ich es nicht so", sagt die 35-jährige Düsseldorferin. "Es entspannt mich wahnsinnig." Ihr Job als Personalberaterin sei oft stressig und nicht gerade kreativ, "beim Stricken kann ich mich ausleben. Es ist ein wunderbares Gefühl, hinterher das in den Händen zu halten, was ich selbst gemacht habe, und es natürlich auch anzuziehen."

Die blonde Frau trägt einen frühlingshaften blau-weißen Pullover, "klar ist auch der selbst gestrickt", sagt sie. Inzwischen entwirft sie ihre Sachen selbst, von Strickmustern hat sie sich verabschiedet. Ihre Begeisterung fürs Handarbeiten ist so groß, dass sie ihre Erleb- und Ergebnisse bald in einem Blog teilen will. Damit andere wiederum davon inspiriert werden.

399 Unternehmen präsentieren ihre Innovationen

Auf der Fachmesse "h + h cologne", der weltweit größten Handarbeitsmesse, ist die junge Frau mit zwei Freundinnen auf der Suche nach neuer Wolle und ungewöhnlichen Stoffen. Die eine färbt ihre Wolle selbst, die andere näht viel. Damit decken die drei einen Großteil des Spektrums ab, das bei der Kölner Messe im Fokus steht. 399 Unternehmen — darunter 87 Neuaussteller — präsentieren ihre Innovationen: neue Garne, Nadeln, Bänder, Knöpfe und Nähmaschinen. 70 Prozent der Anbieter kommen aus dem Ausland, stark vertreten sind Italien und Großbritannien.

Mehr als 18,6 Millionen Menschen in Deutschland stricken, häkeln oder nähen in ihrer Freizeit regelmäßig. Das sind 1,6 Millionen mehr als noch 2013. Das hat eine Erhebung des Initiativkreises Handarbeit, dem viele Unternehmen der kreativen Branche angeschlossen sind, für 2015 ergeben. Nähen hat Stricken dabei erstmals überholt, sagt die Sprecherin der Initiative Handarbeit, Angela Probst-Bajak. Das zeige sich auch am steigenden Absatz der Nähmaschinen (plus acht Prozent zum Vorjahr), der Stoffe (plus sechs Prozent) und der Kurzwaren (plus ein Prozent).

"Selbermachen ist kein kurzzeitiger Trend, sondern zum Lifestyle geworden", erklärt Christoph Werner, Mitglied der Messe-Geschäftsleitung. Das Gesamtvolumen 2015 für Handarbeitsbedarf lag bei 1,28 Milliarden Euro. Die Branche boomt weiter, obwohl es im Vergleich zum Vorjahr 2014 (1,3 Milliarden) einen leichten Rückgang gibt. Das liegt am geringeren Absatz im Bereich Stricken und Häkeln. Der Markt der Handstrickgarne ist binnen eines Jahres von 460 auf 400 Millionen Euro gesunken (minus 13 Prozent). Diesen Tätigkeiten habe der milde Winter einen Dämpfer verpasst: "Keiner hat Lust, Mützen zu stricken, wenn es draußen warm ist", gibt Probst-Bajak zu bedenken.

Selbstgemachtes tragen gilt als cool

Das Thema Handarbeit ist befreit worden vom Großmutter-Image. Heute gilt es als cool, selbst gemachte und individuelle Teile zu tragen. Sendungen wie "Geschickt eingefädelt" mit Guido Maria Kretschmer und die unzähligen DIY-Bücher haben der Branche einen zusätzlichen Aufschwung verpasst, meint Probst-Bajak. Den Do-it-yourself-Boom hat jetzt das Zukunftsinstitut aus Frankfurt untersucht und dabei fünf verschiedene Gründe festgestellt, warum Selbstgemachtes zum Statussymbol geworden ist.

  1. Handarbeit ist der Gegenpol zum weltweiten Einheitsgeschmack. Sie spiegelt das Bedürfnis wider, mit den eigenen Händen etwas Einmaliges zu schaffen.
  2. Es fügt sich ein in den Wunsch nach Entschleunigung, denn für Handarbeiten muss man sich Zeit nehmen, das gibt ein gutes Gefühl.
  3. Der Trend zur Achtsamkeit: besser statt immer mehr.
  4. Selfmade-luxury oder der Wert des Wertvollen: Einerseits macht man Dinge selbst, um Geld zu sparen, andererseits entscheidet man selbst über die Qualität der Sachen und darüber, was man investiert.
  5. Kreativität statt Können: Wer handarbeitet, wird bewundert. Dazu kommt die Wertschätzung für die Kreativität, die mittlerweile als Prestigemerkmal gilt.

Wie sich ein in den vergangenen Jahren so rasch expandierender Markt noch weiterentwickeln kann? Indem man neue Zielgruppen anspricht. Da bereits quer durch die Gesellschaft gehandarbeitet wird, treten nun Kinder in den Fokus. "Wir müssen die ganz Jungen ansprechen", sagt Probst-Bajak — und meint damit die Fünf- bis Elfjährigen. Mit fünf oder sechs Jahren anzufangen, sei ideal. Dabei müssen nicht zwingend Mütter oder Großmütter die Vorbilder sein. Mit Hilfe des neuen kostenfreien Portals kinitti.de soll der DIY-Nachwuchs die Grundtechniken selbstständig erlernen können: Filzen, Häkeln, Stricken, Nähen, Sticken.

Ein Kilo der teuersten Wolle kostet 9000 Euro

Mit sechs Jahren hat auch die Düsseldorferin Karina mit dem Stricken begonnen. "Ich habe es von meiner Mutter gelernt und bis auf meine Jugend, in der es mir peinlich war, habe ich es beibehalten." Die meisten Besucher der Messe sind Fortgeschrittene. Vornehmlich Frauen tummeln sich zwischen den Ständen. Spätestens seit die Pioniere von "My Boschi" vor rund zwei Jahren gezeigt haben, dass Häkeln auch bei Männern gut aussieht, ist das Thema auch bei einigen Herren en vogue. Viele sitzen vor den Ständen und stricken.

Der Pulheimer Paul Pasquali etwa hat sich 2008 im Bereich der hochwertigen Naturfasern selbstständig gemacht. Seitdem importiert er aus Argentinien und Peru Vikunja — die teuerste Wolle der Welt — ein Kilo kostet den Endverbraucher 9000 Euro. Außerdem exquisit: Wolle vom Moschus-Ochsen, Kamel und Yak.

Einige, für die Handarbeiten ein Hobby war, haben es professionalisiert und sich damit selbstständig gemacht. Stefanie Kroth (46) näht seit sie 13 ist, hat Mode studiert und vor drei Jahren das Start-up "So!" (inspiriert vom englischen sew = nähen) gegründet. Unter diesem Label vertreibt sie Schnittmuster — mit der sich ihr zufolge jeder Teile schneidern kann, die passen. Schnittmuster sind nicht mehr nur auf Papier zu bekommen, sondern auch als PDFs — das geht schneller und ist günstiger, zudem können die Vorlagen wiederverwendet werden.

Kurstyp oder Autodidakt?

Unerschrocken sollte man loslegen: So hat es auch Ines Weizenegger (37, "Karlotta Pink") gehandhabt. Durch ihre vielen Reisen war sie von besonderen Stoffen inspiriert. Nachdem sie entschied, diese zu vertreiben, lernte sie auch selbst das Nähen. "Nun mache ich viel für meine Kinder, aber auch Kleider oder Röcke für mich."

Jeder müsse für sich entscheiden, ob er der Kurstyp oder der Autodidakt ist, mit Youtube-Videos und DIY-Magazinen lasse sich sehr gut lernen, findet Kroth. Oder man macht es wie Katharina aus Frankfurt: "Ich habe Stricken von einer Freundin gelernt. Ich wusste nicht, dass es so leicht ist."

(RP)
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