Kölner Kiosk-Besitzer bei Maischberger "Die Polizei ist bei mir auf Kurzwahl"

Düsseldorf · Der Kölner Hayko Migirdicyan betreibt seit 20 Jahren einen Kiosk am Kölner Ebertplatz. Er war zu Gast bei Sandra Maischberger und sprach darüber, dass die Polizei immer noch keine Handhabe gegen westafrikanische Drogendealer gefunden hat.

Die Runde bei Sandra Maischberger am 11. April 2018
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Die Runde bei Sandra Maischberger am 11. April 2018

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Foto: WDR Presse und Information / Bildkommunikation

Darum ging's Moderatorin Sandra Maischberger wollte am Mittwochabend mit ihren Gästen über die Diskrepanz zwischen dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürger und der tatsächlich messbaren Kriminalität sprechen. Ihr Anlass: das Zitat des neuen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) gesagt hatte: "Die Aufgabe des Staates ist es, für Recht und Ordnung zu sorgen. Diese Handlungsfähigkeit war in den letzten Jahren oft nicht mehr ausreichend gegeben." Maischbergers Frage dazu: "Muss der Staat härter durchgreifen?"

Darum ging's wirklich Die Frage, ob der Staat zu schwach ist, um gegen Drogendealer und kriminelle Clans vorzugehen, wurde nur gestreift. Den größten Teil der Sendung ging es um den Unterschied zwischen der empfundenen und der tatsächlichen Sicherheit der Bürger. Dabei diskutierten vor allem der Kriminologe Thomas Feltes und der Kioskbesitzer Hayko Migirdicyan sehr differenziert.

  • Gerhart Baum, FDP, ehem. Bundesinnenminister
  • Philipp Amtohr, CDU, Bundestagsabgeordneter
  • Emitis Pohl, Unternehmerin
  • Hayko Migirdicyan, Kioskbesitzer
  • Bodo Pfalzgraf, Polizeigewerkschafter
  • Thomas Feltes, Kriminologe

Der Frontverlauf

Selten gelingt es, in politischen Talkshows Menschen einzuladen, die tatsächlich Alltagserfahrung in dem Bereich haben, über den sie sprechen sollen. In der Sendung von Sandra Maischberger war der Kölner Kioskbesitzer Hayko Migirdicyan ein Glücksfall.

Der 44-Jährige betreibt seit über 20 Jahren einen Kiosk an der U-Bahnhaltestelle am Kölner Ebertplatz. Dort wurde im Oktober 2017 ein 22-Jähriger Westafrikaner bei einer Messerstecherei getötet. Danach diskutierte man auch außerhalb von Köln über "Angsträume" und "No-go-Areas". Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen einen 25-Jährigen wegen Totschlags.

Migirdicyan hat in den vergangenen Jahren den Niedergang des Platzes beobachtet. Er könne verstehen, dass sich Passanten dort unwohl und unsicher fühlen. Bei Maischberger schildert er, dass seine Frau ihn seit etwa zwei Jahren abends nicht mehr mit den Kindern am Kiosk abhole. Auch sie fühle sich mittlerweile unsicher.

Ebertplatz in Köln
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Brennpunkt Ebertplatz in Köln

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Foto: dpa, obe pil

Angefangen habe das Problem damit, dass die Polizei die Drogenszene vom Kölner Heumarkt vertrieben habe. "Es hat nicht lange gedauert, da haben sich die Dealer bei mir angesiedelt", erzählt der Kioskbesitzer. Ein Drogen-Hotspot sei der Platz schon immer gewesen. Aber selbst in den schlimmsten Heroin-Zeiten, sei es nicht so gefährlich gewesen wie jetzt. Das liege daran, dass sich die Junkies damals nur untereinander "die Birne einschlugen", wie Migirdicyan es nennt.

Gegenwärtig würden immer wieder Passanten in die Streits der Drogenabhängigen und Dealer mit hineingezogen. Er erzählt davon, dass zwei türkischstämmige Mädchen von Männern in der U-Bahn unsittlich berührt worden seien, dass ein Drogendealer einem Polizisten eine Kopfnuss verpasst habe und dass Passanten mit Flaschen beworfen würden. Alles Beispiele aus der jüngsten Zeit.

Auch er selbst sei schon angegriffen worden, als er das Drogendepot eines Marokkaners ausgehoben habe. Der Mann hatte seinen Drogennachschub offenbar in der Eistruhe vor dem Kiosk versteckt. Als Migirdicyan es fand und die Drogen vernichtete, rastete der Marokkaner aus. Wenn er den Kiosk morgens um vier Uhr öffne, habe er immer einen Nothammer dabei. "Und ich habe die 110 auf Kurzwahl, muss nur zwei Tasten drücken, dann bin ich mit der Polizei verbunden." Doch wenn die morgens einen Drogendealer verhafte, stehe der spätestens nachmittags wieder am Ebertplatz.

Aber das sei nur die halbe Wahrheit: Der Ebertplatz liegt mitten in einem gutbürgerlichen Akademikerviertel in Köln, dem Agnesviertel. Die Polizei rücke sehr wohl aus, könne nur eben nicht viel gegen die westafrikanischen Dealer ausrichten. Und die Bürger, die bei ihm an der Theke über die Zustände am Ebertplatz jammerten, sehe er später, wie sie bei den Dealern selbst Drogen kauften.

Der Kriminologe Thomas Feltes sieht im Beispiel Ebertplatz ein Sinnbild dafür, dass der Rechtsstaat hier mit dem Strafrecht nicht weiterkomme. Auch der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum kennt den Ebertplatz. Der 85-Jährige ist dort aufgewachsen und sagt, der Platz sei verwahrlost und nicht gepflegt worden. Zuvor hatte er in der Sendung gesagt, dass die Rede vom "starken Staat" keine Lösung darstelle. "Der Staat ist stark durch die Demokraten, die ihn verteidigen", sagt Baum.

Der Kriminologe Feltes setzt dem subjektiven Sicherheitsempfinden die Kriminalstatistik gegenüber. "Wir erleben einen Rückgang der Kriminalität, aber nicht den Rückgang der Ängste", sagt Feltes. Das höchste Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, bestehe in den eigenen vier Wänden, durch Gewalttaten im familiären Umfeld.

Polizisten haben mittlerweile sogar einen Begriff dafür entwickelt, wenn sie zu Einsätzen fahren, die nicht zur Bekämpfung einer tatsächlichen Gefahr, sondern nur der Beruhigung dienen - "Susi". "Subjektives Sicherheitsgefühl" bedeutet das, erklärt der Berliner Polizeihauptkommissar und Gewerkschafter Bodo Pfalzgraf. Gewissermaßen also ein Placebo-Einsatz.

Der 25-jährige Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor will von Statistiken nichts wissen. Gute Politik beginne nicht beim Betrachten der Statistik, sondern bei der Betrachtung der Wirklichkeit, sagt der Spahn-Fan, der seine Sätze in der Sendung gerne mit "Ich sage Ihnen eins ganz klar" beginnt. Amthor ist schnell bei Maßnahmen: 15.000 weitere Polizeistellen und eine bessere Ausstattung müssten her.

All das hilft der Kölnerin Emitis Pohl nichts. Die deutsch-iranische Geschäftsführerin einer Werbeagentur hat zwei Töchter im Alter von 14 und 17 Jahren. Zusammen mit ihnen geriet sie mitten in die Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht. Sie sagt, seither habe sie Angst, habe ihren Töchtern und sich selbst Pfefferspray gekauft, lasse ihre Töchter nicht alleine mit der Bahn fahren. Beruhigen lässt sie sich von den Männern in der Runde nicht. "Wenn wir endlich mehr Polizisten und Kameras haben, können wir nochmal reden."

(heif)
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