Konzert in Köln Kendrick Lamar - der beste Rapper der Welt

Kendrick Lamar hat am Donnerstag ein fabelhaftes Konzert in der Kölner Lanxess-Arena gegeben. Sein Auftritt glich einem spirituellen Seminar zur Vorbereitung auf die Gegenwart. "Setz dich hin, sei bescheiden!", lautete das Mantra.

 Kendrick Lamar bei einem Konzert in London.

Kendrick Lamar bei einem Konzert in London.

Foto: Joel C Ryan/Invision/AP/dpa

Das Konzert ist schon fast zu Ende, als Kendrick Lamar den Song "Humble" beginnt. Der 30-Jährige steht ganz vorne auf einem kleinen Steg, der von der Bühne ins Publikum führt. Er rappt die erste Strophe, die extrem komplex gebaut ist, wider die menschliche Anatomie sozusagen, zu viele Silben in zu kurzer Zeit. Eigentlich kann man das gar nicht singen, wenn einem nicht zwei Zungen gewachsen sind.

Plötzlich stoppt Lamar, es ist für einen Augenblick still in der Halle, und dann passiert Magisches: 13.500 Menschen führen das Lied fort, sie kennen den Text, jede Zeile, jedes Wort, und zusammen singen sie das Mantra, auf das das Stück zuläuft: "Sit down, be humble!" (Setz dich hin, sei demütig). Lamar steht einfach nur da, man sieht sein Gesicht auf zwei mächtigen Leinwänden in Großaufnahme.

Es ist sanft, Flaum wächst darauf, kurz denkt man an Che Guevara. Plötzlich schüttelt Lamar den Kopf, er ist nicht zufrieden. Er unterbricht den Gesang. "Ich glaube euch noch nicht", ruft er. Er fängt neu an, wiederholt die Aktion, noch mal und noch mal. Sieben Mal singen seine Schüler den Song, es dauert ewig. Erst dann ist der Meister zufrieden, erst dann singt auch er wieder mit, gemeinsam mit allen anderen: "Sit down, be humble!"

Kendrick Lamar tritt in der Lanxess-Arena in Köln auf. Fünf Jahre liegt sein letzter Deutschland-Besuch zurück, und in dieser Zeit ist er zum besten und wirkmächtigsten Rapper der Welt aufgestiegen. Obama hat ihn ins Weiße Haus eingeladen, gerade steht er wieder auf Platz eins der US-Charts, seine Texte werden im Internet literaturwissenschaftlich ausgewertet, und da gibt es viel zu tun.

Lamar zitiert das Alte Testament, James Baldwin und Harper Lee, er flicht Nachrichten in seine Songs, Gossenlyrik und Zaubersprüche. Er häuft unfassbare Textmassen auf, und wer die letzte Minute des Stück "DNA" gehört hat, wird wissen, dass es derzeit keinen technisch versierteren Solokünstler im HipHop gibt.

Dieser Kerl aus Compton, dem berühmten Ghetto in L.A., aus dem auch sein Förderer, der HipHop-Millardär Dr. Dre, stammt, hat das, was man Aura nennt. In Köln steht er alleine auf der großen Bühne. Angeblich agiert verdeckt eine Band, aber die ist nicht zu erkennen. Man hat ihm ein großes Rechteck in die Halle gebaut, es ist beleuchtet, manchmal schießen Flammen aus dem Boden, manchmal wandert Nebel durch diesen Raum, ansonsten ist da nur Lamar. Er trägt einen eigenartigen Anzug mit bunten Troddeln, er sieht aus wie eine Mischung aus Harlekin und Kung-Fu-Mönch.

Die Arena flirrt vor Energie

Seine Stücke hat er maximal reduziert. Auf seinen Platten kultivierte Lamar zuletzt einen jazzigen Sound, hier baut er ausschließlich auf brutalen Bass und rasiermesserscharfe Beats. Das dritte Lied ist sein Hit "King Kunta", und das Publikum ist völlig aus dem Häuschen. Lamar spielt King-Kong-Stimmen aus der Geisterbahn ein. Die Arena flirrt vor Energie, ständig rennen Leute aus den Reihen, weil sie auf den Treppen tanzen wollen. Sie hüpfen und schreien. Es riecht nach Kaugummi und süßem Rauch.

Lamar hat das allerbeste Publikum. Es sind Eingeweihte. Apostel. Sie tragen Jogginghose, Bomberjacke, High Heels, Pelzmantel, bauchfreies Top, Nike Air und "Miami Vice"-Muskelshirt. Ghetto-Couture. Trotz der enormen Anspannung strahlt Lamar Ruhe aus, Gelassenheit. Er steht da wie ein Gebieter. "Aint Nobody prayin' for me" lautet sein zweites Mantra, das er ständig wiederholt: Niemand betet für mich. Der Agent der Erneuerung im HipHop ist ein Gemeinschaftsstifter, ein Schamane, der den ständigen Dialog mit dem Publikum sucht.

Zu "Swimming Pools", dem schönsten HipHop-Song der vergangenen Jahre, senkt sich eine Leinwand von der Decke, darüber läuft eine Wasser-Animation. Hätte man zuvor Stromabnehmer unter den Hallenboden gelegt, könnte man mit der Energie New York versorgen. Lamar schreitet durch die Zuschauer auf eine zweite Bühne und singt auf einem leuchtenden Kubus. Er berichtet davon, was es heißt, heute als Schwarzer in den USA zu leben. Über die Leinwände ziehen Bilder von Faustkämpfern und Kampfhunden. Man sieht die US-Flagge, dann senkt sich die Bühnendecke, sodass Lamar nur noch gebeugt agieren kann. Der Rapper in der sozialen Druckkammer.

Lamar nutzt die Wucht des Gangsta-Raps, um seine Selbstbefragung zu orchestrieren. Er ist ein Grübler, und er ist kampfbereit. Er bietet Erzählungen statt Hymnen, Merksätze statt Refrains. Er ist ein Skeptiker, ein hinreißender Magier, ein Prediger, und dieses Konzert ist im Grunde ein Seminar, das einen auf das Leben in der Gegenwart vorbereitet. Er habe seine Familie vermisst, sagt Lamar, und wenn er Familie sage, meine er uns. Er mag das an jedem Abend sagen, überall. Aber ehrlich: Man glaubt es ihm in diesem Moment total.

Nach anderthalb Stunden verlässt Lamar die Bühne. Die Menschen möchten, dass er zurückkehrt. "Sit down, be humble!", singen sie. Sie haben verstanden, bedeutet das. Und natürlich begreift er. Lamar kehrt zurück, er steht da und nickt. Die höhere Stufe der Erleuchtung ist erreicht. Man merkt, dass man auf den Haaren Gänsehaut bekommen kann. Dann singt er einen letzten Song. Er heißt "God".

(hols)
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