Übergriffe von Köln Eine Nacht, zwei Versionen

Düsseldorf/Köln · Für das Innenministerium liegt die Hauptschuld für die Ausschreitungen an Silvester in Köln bei der Polizei. Während des Einsatzes habe man die Lage falsch beurteilt und sogar auf angebotene Unterstützung durch das Land verzichtet, lautet ein Vorwurf.

Köln und die Übergriffe: Eine Nacht, zwei Versionen
Foto: dpa, hjb

Sowohl für die Polizei Köln als auch für die "Untersuchungskommission" des Innenministeriums steht fest: Die Eskalation am Kölner Hauptbahnhof mit der Vielzahl an massiven sexuellen Übergriffen war im Vorfeld so nicht absehbar.

Das ist aber schon fast der einzige Punkt, in dem sich beide Seiten in diesem Fall einig sind. Beide haben einen Bericht zu den Vorfällen abgegeben. Der des Innenministeriums umfasst 16 Seiten, der des Polizeipräsidiums 42.

Die Ausgangslage Die Führung des Einsatzes am Silvesterabend wurde im Vorfeld einem erfahrenen Beamten des gehobenen Dienstes der Kölner Polizeiinspektion 1 übertragen. Man rechnete aus den Erfahrungen des Vorjahres bereits mit einer erhöhten Anzahl von Taschenraub und Trickdiebstahl. Deshalb wurde die Zahl der Kräfte im Vergleich zum Vorjahr von 88 auf 142 Beamte erhöht.

20.30 bis 21 Uhr Einsatzverlauf aus Sicht der Kölner Polizei Auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofes und den Treppen zum Kölner Dom machte die Polizei eine Gruppe von 400 bis 500 Personen aus, bei denen es sich überwiegend um Männer mit Migrationshintergrund handelt. Sie waren stark alkoholisiert, enthemmt, und sie warfen unkontrolliert Feuerwerkskörper in die Menge. Verstärkung wurde vom Polizeiführer nicht angefordert.

Das sagt das Innenministerium Dass der zuständige Polizeiführer keine Verstärkung anforderte, wird als Fehler und falsche Lageeinschätzung bewertet. Er hätte zu diesem frühen Zeitpunkt des Abends in seine Entscheidung einfließen lassen müssen, dass sich die Zahl der gewaltbereiten Personengruppe von etwa 500 noch erhöhen könne - und seine Kräfte dann nicht mehr ausreichen würden, um die Lage kontrollieren zu können.

21.30 Polizeisicht Durch den Polizeiführer wurde eine erste Einsatzbesprechung unter Beteiligung der Stadt Köln und der Bundespolizei durchgeführt, auf der auf die Situation am Bahnhofsvorplatz hingewiesen wurde. Man kommt erneut zu der Einschätzung, mit den vorhandenen Kräften polizeiliche Maßnahmen umfassend durchführen zu können.

Innenministerium Das war ein gravierender Fehler. Durch die fehlende Anpassung der Kräftelage hatte die Polizei keine Kontrolle über die Lage und konnte deshalb nicht vermieden, das Frauen sexuell genötigt, geschädigt, bestohlen und beraubt worden sind.

22 Uhr Polizeisicht Zweite Einsatzbesprechung des Polizeiführers mit eingetroffenen Führungskräften der unterstellten Bereitschaftspolizei. Nach Einsatzplan sollte zunächst ein Zug der Hundertschaft (38 Beamte) den Bereich Altstadt schützen, einschließlich Kölner Ringe und Rheinbrücke. Weil sich die Lage dann ab 22.25 Uhr rund um den Bahnhof immer weiter zuspitze, wurde eine Gruppe von zehn Bereitschaftspolizisten von anderen Stellen der Innenstadt zum Bahnhof verlegt.

22.50 Uhr Polizeisicht Alle zur Verfügung stehenden Bereitschaftspolizisten in der Stadt wurden im Bereich des Bahnhofsvorplatzes zusammengezogen, um gefahrenabwehrende Maßnahmen zu treffen.

23 Uhr Polizeisicht Die alkoholisierte und aggressive Gruppe auf dem Bahnhofsvorplatz und der Treppe zum Dom hatte sich von 500 auf bis zu 1500 vergrößert. Immer mehr Feuerwerkskörper wurden auf Passanten abgefeuert. Die Stimmung wurde zunehmend aggressiver. Die Personen reagierten nicht auf die Anweisungen der Polizei. Es kam zu sexuellen Übergriffen gegen Frauen. Die Bereitschaftspolizei erkannte dieser Attacken aber in der Menge nicht. Der Polizeiführer entschied sich, die Treppen Dom/Nordseite und den Bahnhofsvorplatz zu räumen, um lebensgefährliche Situationen wie eine Massenpanik zu verhindern. Immer noch keine Anforderung von Verstärkung durch den Polizeiführer.

Innenministerium Die Landesleitstelle der Polizei in Duisburg wurde gegen 23.30 Uhr durch das Polizeipräsidium Köln über die Einsatzlage am Bahnhof informiert. Während des Telefonats wurden der Kölner Polizei Unterstützungskräfte angeboten, deren Einsatz aber durch den Dienstgruppenleiter der Leitstelle des Kölner Polizeipräsidiums nicht für erforderlich gehalten wurde. Eine zeitnahe Unterstützung durch die Rufbereitschaftskräfte wäre jedoch möglich gewesen. Hätte man Unterstützung angefordert, hätten Straftaten verhindert werden können.

Gegen 1 Uhr Polizeisicht Der Polizeiführer suchte eine Polizeiwache auf und erfuhr dort, dass viele Personen Anzeige wegen Diebstahls- und Sexualdelikten erstatteten. Die Einsatzkräfte erhielten deshalb die Anweisung, einzugreifen und Frauen zu schützen.

Innenministerium Weil zu wenige Beamte (zwölf) auf der Wache waren, entstanden lange Wartezeiten und Geschädigte verließen die Wache wieder, ohne Anzeige erstattet zu haben. So entstand insbesondere bei Opfern sexueller Straftaten der Eindruck, von der Polizei im Stich gelassen worden zu sein. Soweit hätte es nicht kommen dürfen.

(csh)
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