Fotograf wegen Kindesmissbrauchs verurteilt „Eine Schneise der Verwüstung hinterlassen“

Köln · Die Verteidiger eines Kölner Fotografen haben alles versucht, um den 54-Jährigen als Opfer eines Komplotts darzustellen. Doch die Richter sind davon überzeugt, dass der Mann kleinen Jungs sexuelle Gewalt angetan hat. In Köln wurde er nun verurteilt. Trotzdem ist er vorerst ein freier Mann.

Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Professor Ulrich Sommer (r.) am Mittwoch im Landgericht Köln.

Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Professor Ulrich Sommer (r.) am Mittwoch im Landgericht Köln.

Foto: dpa/Thomas Banneyer

Tim war acht Jahre alt, als er zum ersten Mal von dem Kölner Fotografen Jürgen A. (alle Namen geändert) schwer sexuell missbraucht wurde. Der Junge hat viele Jahre geschwiegen und A. noch im Juni 2021 versprochen: „Ich sag‘ den Cops nichts.“ Kurz danach wurde A. verhaftet. Tim brach sein Schweigen wenig später, und nun verstand seine Mutter, warum ihr Kind über all die Jahre unter Angststörungen litt, verschlossen war, oft gar nicht aus dem Bett kam.

Am Mittwochmorgen sitzt Tim Jürgen A. in Saal 7 des Kölner Landgerichts gegenüber. Eine Begleiterin hat ihre Hand auf Tims Arm gelegt. Er ist inzwischen 26. Der junge Mann zittert, später fließen Tränen über seine Wangen. Es ist der Tag der Urteilsverkündung im Prozess gegen Jürgen A., der angeklagt war, nicht nur Tim, sondern auch fünf weitere Jungs unter 14 Jahren sexuell missbraucht zu haben. Sie alle hatten als Kindermodels für ihn gearbeitet. Angeklagt waren 17 Fälle, verurteilt wird er schließlich wegen vierfachen schweren sexuellen Missbrauchs von drei Kindern zu vier Jahren und zehn Monaten Haft.

In den zwölf anderen Fällen zu Lasten von drei weiteren Jungs spricht die Kammer den Fotografen frei. Der Vorsitzende Richter betont: „Die Kammer geht nicht davon aus, dass sie gelogen haben.“ Die Taten hätten aber nicht konkret zugeordnet werden können. Im Bezug auf Tim wird Jürgen A. wegen zwei Taten verurteilt. In einem Fall war er mit Jürgen A. im Urlaub auf den Malediven. Der Junge war damals zehn Jahre alt und biss sich selbst in die Hand, um den Missbrauch auszuhalten. „Schmerz hilft gegen Schmerz“, hatte er im Prozess gesagt. Während seiner Zeugenaussage war er einmal zusammengebrochen, so dass seine Vernehmung abgebrochen werden musste.

„Die Taten belasten ihn massiv bis heute“, sagt der Vorsitzende. Er betont, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten gründlich ermittelt, die Ermittlungsakte umfasst mehr als 3500 Seiten. Letztlich stehe bei Sexualstraftaten aber meistens Aussage gegen Aussage. Bei Zweifeln muss das Gericht zugunsten des Angeklagten entscheiden. Da einige der Taten viele Jahre zurücklagen, hätten die für eine Verurteilung notwendigen konkreten Feststellungen nicht mehr getroffen werden können, wie der Vorsitzende sagte.

Ein weiteres Opfer, ein Junge aus der Schweiz, hatte im Prozess berichtet, dass Jürgen A. ein wahres Kinderparadies geschaffen hatte: „Penthouse, Porsche, Playstation.“ Für ihn und seinen Bruder sei es zunächst immer toll gewesen, aus dem Dorf in der Schweiz für Fotoaufnahmen nach Köln zu reisen.

Jürgen A. gab mal den väterlichen Freund, mal den Patenonkel. Und er näherte sich den Jungs über deren Mütter. Mit drei Frauen ging er sogar feste Beziehungen ein. Die Kammer ist davon überzeugt, dass er sich bewusst Frauen ausgesucht hat, die kleine Söhne hatten. „Es ging ihm darum, über die Mütter an deren minderjährige Kinder zu gelangen“, sagt der Vorsitzende. Mit den Frauen selbst hatte Jürgen A. keine sexuellen Beziehungen. Der Vorsitzende macht bei der Urteilsverkündung auch die Verwunderung der Kammer darüber deutlich, dass die Mütter der Opfer ihre Kinder zeitweise wochenlang allein mit dem Fotografen auf Reisen geschickt haben, ihm offenbar vollkommen blind vertrauten. „Warum übernachtet ein erwachsener Mann mit Kindern in einem Doppelbett?“, fragte er. Einer der jungen Männer hatte in seiner Zeugenaussage auch Vorwürfe an seine Eltern formuliert, weil sie ihn nicht vor Jürgen A. geschützt hätten.

In Richtung des Angeklagten sagt der Vorsitzende: „Sie haben eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.“ Die jungen Männer seien auch heute noch „fürchterlich mitgenommen“, A. habe ihr Vertrauen schwerwiegend missbraucht. Er bezeichnet A. als „hochgradig manipulativ“. Der Kinderfotograf darf das Gericht an diesem Tag dennoch als freier Mann verlassen – was unter den Zuschauern im Saal auf großes Unverständnis stößt. „Dann kannst du ja jetzt weitermachen!“, ruft ein Mann dem Angeklagten zu. Doch die Kammer hob den Untersuchungshaftbefehl auf, unter anderem wegen der langen Haftdauer. Jürgen A. war fast 15 Monate inhaftiert. Nun ist er frei, bis das Urteil rechtskräftig ist. Die Verteidiger kündigten bereits am Mittwoch an, gegen das Urteil in Revision zu gehen. Es wird also dauern, bis es ein rechtskräftiges Urteil gibt. Gegen die Aufhebung des Haftbefehls hat die Staatsanwaltschaft noch im Saal Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht muss darüber nun entscheiden, was bis zu vier Wochen dauern kann. Jürgen A. verließ das Justizgebäude am Mittwoch durch einen Hinterausgang, stieg im Parkhaus in einen Audi und fuhr davon. Von Fluchtgefahr geht die Kammer nicht aus.

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