Bettina Schmidt-Czaia "In Köln gibt es ein Einsturz-Trauma"

Die Kölner Stadtarchiv-Direktorin Bettina Schmidt-Czaia sieht noch viel Arbeit vor sich.

 Bettina Schmidt-Czaia steht seit 2005 an der Spitze des Archivs.

Bettina Schmidt-Czaia steht seit 2005 an der Spitze des Archivs.

Foto: Oliver Berg

Im März ist es fünf Jahre her, dass das Kölner Stadtarchiv einstürzte. Wie weit ist die Restaurierung der Archivalien inzwischen gediehen?

Schmidt-Czaia 95 Prozent des ursprünglichen Archivguts konnten geborgen werden, fünf Prozent gelten als verloren. Das gesamte geborgene Archivgut muss gereinigt werden, weil sich beim Einsturz Staub und Schmutz darauf abgelagert haben. Das ist bereits bei zwei Kilometern Archivgut geschehen. Insgesamt haben wir aber 30 Kilometer Regalbestände.

Dann stehen Sie also erst am Anfang.

Schmidt-Czaia Ja, und dazu kommt noch, dass zehn Prozent unserer Bestände bei dem Einsturz nicht nur schmutzig, sondern auch noch nass geworden sind. Das ist besonders schädlich. Dieses Archivgut haben wir nach dem Einsturz zunächst einmal tiefgefroren, weil man so eine weitere Schädigung aufhalten kann. Jetzt sind wir schon lange mit dem Auftauen beschäftigt.

Haben Sie mittlerweile den gesamten Bestand erfasst — wissen Sie wieder, wo was ist?

Schmidt-Czaia Das wissen wir bei etwa 60 Prozent, wir sind also noch nicht fertig damit.

Sind die Archivalien immer noch auf 20 Archivstandorte im ganzen Bundesgebiet verstreut?

Schmidt-Czaia Nein, das sind jetzt zwölf. Aber bis 2016 müssen wir diese Standorte geräumt haben. Da unser Archivneubau hier in Köln bis dahin noch nicht fertig sein wird, verhandeln wir zurzeit mit dem Land darüber, ob wir einen Teil der Bestände im alten Landesarchiv in Düsseldorf zwischenlagern können.

Wird die Kölner Geschichte jetzt kaum noch erforscht, weil den Historikern das Arbeitsmaterial fehlt?

Schmidt-Czaia Das ist sehr unterschiedlich. Bei den Dokumenten von vor 1815 haben wir sehr viel digitalisiert, da kann man sogar Forschung von Kanada aus betreiben. Für das 19. und 20. Jahrhundert sind aber die wenigsten Bestände mikroverfilmt gewesen, da ist die Situation katastrophal. Im übrigen habe ich den Eindruck, dass die Menschen von außen sehr viel unbefangener damit umgehen als die Forscher von der Kölner Universität. Offenbar gibt es da ein Einsturztrauma. Das finden wir natürlich bedauerlich.

Sie haben ja des Öfteren gesagt, es wird 30 bis 40 Jahre dauern, ehe alles restauriert ist. Muss man sich nicht auf die besten Stücke beschränken?

Schmidt-Czaia Was sind die besten Stücke? Das ist für den Mittelalter-Experten etwas anderes als für den Familienforscher. Das Archiv soll für die gesamte Bevölkerung da sein. Unsere Gegenwart ist morgen Geschichte, und dann sind Forscher auf das Material angewiesen, das wir ihnen hinterlassen haben.

CH. DRIESSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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