Kampf gegen illegale Autorennen Unterwegs mit den Raserjägern der Kölner Polizei

Im vergangenen Jahr starben bei Raserunfällen in Köln drei unbeteiligte Menschen. In zwei Fällen hatten junge Fahrer ein illegales Straßenrennen veranstaltet. Wie sieht es heute aus in der Raser-Szene? Unterwegs mit zwei Fahndern des Projekts "Rennen".

Unterwegs mit der Raser-Polizei in Köln
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Unterwegs mit der Raser-Polizei in Köln

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Foto: Claudia Hauser

Der weiße 1er-BMW schießt die linke Spur der A57 entlang. Der Fahrer zieht nach rechts auf die Mittelspur, schlängelt sich zwischen Autos durch, überholt von rechts, schert wieder ein und wiederholt das gefährliche Manöver noch zweimal. Nur dem Zufall ist zu verdanken, dass es nicht kracht. Die Autobahn ist ziemlich voll an diesem Freitagabend, die Fahrbahn regennass. Dass zwei Polizeibeamte ihn längst im Blick haben, seine Fahrt per Kamera aufzeichnen, bemerkt der BMW-Fahrer erst, als sie sich mit ihrem Zivilfahrzeug vor ihn setzen und im Heck "Polizei ­— folgen" aufblinkt.

205 Stundenkilometer zeigte das Messgerät der Beamten an, während sie den weißen BMW verfolgten — erlaubt sind auf diesem Abschnitt der Stadtautobahn 80. Jetzt fährt der junge Fahrer dem Zivilwagen langsam hinterher, an der Ausfahrt Chorweiler stoppen sie. "Was war das denn gerade?", fragt Polizeikommissar Sven Glawe. Der BMW-Fahrer gibt sich kleinlaut, versucht aber, die Angelegenheit herunterzuspielen. Zwei Freunde sitzen mit im Mietwagen. Es gebe ein Problem, man müsse schnell zu der Freundin des Kollegen.

Glawe wird laut: "Jetzt pass mal auf, das geht gar nicht!" Adressatengerechte Ansprache heißt das im Polizeijargon. Der 21 Jahre alte Fahrer begreift trotzdem erst sehr viel später, dass die Sache ernst ist. Glawe und sein Kollege Ricky Lüders beschlagnahmen seinen Führerschein - und schreiben eine Anzeige wegen Gefährdung des Straßenverkehrs.

"Ich komm' nicht mehr klar", sagt der Fahrer, der in grauer Jogginghose und weißer Wollmütze am BMW lehnt. Der Wagen muss von der Straße. Einer der drei Freunde ruft seinen Vater an, der sie abholt. "Kann man das nicht anders regeln?" hatte der Fahrer noch gefragt, als es um seinen Führerschein ging. "Weißt du was?", fragte Glawe zurück. "Ich komm' gern in die Gerichtsverhandlung. Dann zeig ich dem Richter mal das Video, das wir eben aufgenommen haben." Im Fahrzeugschein des 1er-BMW ist als Höchstgeschwindigkeit 212 eingetragen. "Der hatte das Gaspedal also bis zum Anschlag durchgedrückt", sagt Lüders. Für den 21-Jährigen wird es mindestens auf 600 Euro Strafe, drei Monate Fahrverbot und zwei Punkte in Flensburg hinauslaufen.

Lüders und Glawe gehören bei der Kölner Polizei zum Projekt "Rennen". Im vergangenen Jahr wurde es initiiert, nachdem drei unbeteiligte Menschen bei Raserunfällen oder illegalen Autorennen in Köln ums Leben kamen. Innerhalb weniger Monate hatte sich in der Rhein-Metropole eine Raserszene entwickelt, deren Mitglieder sich in Deutz am Tanzbrunnen trafen. Von dort ging es in aufgemotzten Karren über die Rheinbrücken zu spontanen Rennen in die Innenstadt. Das Gefährliche und Besondere an der Kölner Szene: Die Teilnehmer fuhren ihre kriminellen Rennen mitten in der Stadt. Im Ruhrgebiet treffen sie sich eher in Industriegebieten.

Fast jede Nacht sind seit den tödlichen Unfällen Zivilstreifen unterwegs. Die Polizei macht keine Angaben dazu, wieviele Beamte im Projekt mitarbeiten. Auch nicht dazu, wieviele Zivilfahrzeuge eingesetzt werden. "Die Szene tauscht sich aus, wenn einer unser Auto erkannt hat, gibt er das weiter", sagt Lüders. Die Einsatzfahrzeuge werden deshalb immer wieder mit denen anderer Behörden getauscht.

Die Stadt Köln hat zudem neue Blitzer aufgestellt, seit April 2015 wurden 500 getunte Autos aus dem Verkehr gezogen. 2016 wurden bislang 3000 Autos kontrolliert, es gab mehr als 200 Fahrverbote und 66 Anzeigen wegen illegaler Rennen. Bereits im Juli 2015 versprach Stadtdirektor Guido Kahlen: "Wir tun alles dafür, um die Raser von der Straße zu holen."

Doch das ist nicht leicht. "Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Einstellung der jungen Fahrer ändert", sagt Lüders. Immerhin habe sich am Tanzbrunnen und auf den Kölner Ringen die Situation verbessert. "Da hat man in den schlimmsten Phasen sein eigenes Wort nicht mehr verstanden, weil die Karren so laut waren", sagt der 47-Jährige. Wirklich treffen könne man die Raser nur, indem man ihnen Auto und Führerschein wegnehme. "Zu schnell gefahren wurde schon immer. Aber wir haben es hier mit einer ganzen Szene zu tun."

Die Klientel kann der Polizeioberkommissar genau beschreiben: Junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren, die schnelle Autos lieben, die meisten von ihnen stammen aus der Türkei. Sie leben oft noch zu Hause, die teuren Autos werden häufig von der Familie finanziert, gelten als Statussymbol. Die Fahnder haben derart viel zu tun, dass im kommenden Jahr, wenn das Projekt eigentlich ausläuft, eine eigene Dienststelle daraus werden könnte.

Die immer gleichen Marken: Mercedes, BMW, Audi

In dieser Nacht halten die Beamten mehrere PS-starke und tiefergelegte Autos an, es sind immer die gleichen Marken: Mercedes, BMW, Audi. Meist alte Modelle, die die Halter aufmotzen, etwa mit Metallicfolie. Die Fahrer müssen nachweisen, dass diese Extras vom TÜV abgenommen sind - zum Beispiel Veränderungen am Auspuff, die den Wagen lauter klingen lassen. Manchmal passen die Felgen nicht zu den Reifen oder die Reifen sind so breit, dass sie die Radkästen berühren. "Ihr habt mich dieses Jahr schon dreimal angehalten", motzt ein 41-Jähriger im schwarzen Mercedes-AMG. Da hatte Lüders gerade mal "Schönen guten Abend" gesagt.

Der Fahrer ruft sofort seinen Anwalt an, redet von Dienstaufsichtsbeschwerde und will die Namen der Beamten wissen. Lüders und Glawe bleiben ruhig. Lüders geht mit einer Taschenlampe um die Limousine, schaut sich die Reifen und die Auspuffanlage an und testet mit einem Schallpegelmessgerät die Lautstärke. Der Fahrer, der wie Rumpelstilzchen von hier nach da springt und sich fürchterlich aufregt, ist nicht der Halter des Autos, aber alle Veränderungen sind im Fahrzeugschein eingetragen. Er darf weiterfahren. "Kann sein, dass wir den schon mal angehalten haben", sagt Lüders. Erinnern könne er sich nicht an ihn. "Ich würde mich erinnern, wenn jemand mal normal und höflich sagen würde: Guten Abend, worum geht es, habe ich irgendetwas falsch gemacht?"

Es ist kurz nach zehn. Über Funk melden sich die Kollegen. Auf der Zoobrücke haben sich gerade zwei Fahrer ein illegales Rennen geliefert. Einen konnte der Streifenwagen stoppen, ein weißer Audi entkam. Die Beamten geben das Kennzeichen zur Fahndung durch. Für die jungen Raser ist es ein Spiel. "Wie Achterbahnfahren", so drückte sich einer der Männer aus dem BMW-Mietwagen aus, den Lüders und Glawe auf der A57 gestoppt hatten.

Kurz nach Mitternacht winken die beiden Polizisten am Liverpooler Platz in Chorweiler einen Ford Focus ST und einen Mercedes E-Klasse raus. "Wer ist der Halter?", fragt Lüders. "Meine Mutter", sagt der Mercedes-Fahrer. Die Auspuffanlage ist selbst zusammengeschraubt, die Unterlagen dazu sind gefälscht, die Reifen schleifen am Radkasten. "So können wir den Wagen nicht mehr auf die Straße lassen", sagt Lüders. "Das muss alles zurückgebaut werden." Als er den Abschleppdienst ruft, kommen immer mehr Freunde und Familienmitglieder des Fahrers zusammen. Die Beamten fordern Verstärkung an. "So eine Situation kann ganz schnell eskalieren", sagt Lüders.

Glawe liegt halb unter dem Ford, um sich den Auspuff anzusehen. Der 29-Jährige sagt ruhig zum Fahrer: "Das ist nichts gegen Sie, es geht nur um das Auto." Mit einem Chip kann man die Leistung des Ford-Motors steigern. Das Chip-Tuning ist aber nicht eingetragen, die neue Höchstgeschwindigkeit vom TÜV also noch nicht überprüft. Der Abschlepper kommt noch mal, nachdem er den Mercedes weg gebracht hat. Die Jungs aus dem Ford überlegen, wie sie jetzt nach Hause kommen.

Die Crew aus dem Mercedes hat ein ganz anderes Problem. "Ich will mir morgen einen neuen 7er-BMW kaufen, den Mercedes wollte ich in Zahlung geben", sagt der Fahrer, 22 Jahre alt. "Das wird morgen nichts", sagt Lüders. Inzwischen ist es halb drei in der Nacht, die nasse Kälte kriecht in die Knochen. Die Beamten wollten eigentlich noch eine Runde auf den Ringen drehen, aber sie müssen jetzt ins Präsidium, den Schreibkram erledigen — es war viel los in dieser Nacht. Die Schicht dauert bis 4 Uhr. Am nächsten Abend werden sie wieder mit ihrem BMW auf Kontrolltour gehen.

(hsr)
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