Prozess nach Attentat auf Henriette Reker "Ich bin kein Nazi, ich bin ein wertkonservativer Rebell"

Düsseldorf · Im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat am Freitag der Prozess um das Attentat auf Henriette Reker begonnen. Frank S. ist wegen versuchten Mordes angeklagt. Der 44-Jährige erzählte zunächst über Misshandlungen in seiner Kindheit und seinen Kontakt zur rechtsextremen Szene.

Attentat auf Henriette Reker: Frank S. vor Gericht in Düsseldorf
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Reker-Attentäter Frank S. vor Gericht in Düsseldorf

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Foto: dpa, obe fdt

Mit einem Aktenordner verdeckt Frank S. sein Gesicht, als er von zwei Justizbeamten in den Saal des Hochsicherheitstraktes im Oberlandesgericht Düsseldorf geführt wird. Der 44-Jährige ist wegen versuchten Mordes an der Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker angeklagt. Vor Gericht spricht er auch über seine Erlebnisse in einer Pflegefamilie.

Schon lange vor Prozessbeginn hatte sich eine lange Warteschlange vor dem Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichtes gebildet. Und so ist der Zuschauerraum voll mit Medienvertretern, als Frank S. in den Gerichtssaal geführt wird. Er trägt ein blau-weiß-kariertes Oberhemd, Jeans und Turnschuhe. Ein Aktenordner mit einem lustigen Kinderbild, das zigfach im Internet kursiert, verdeckt sein Gesicht.

Der 44-Jährige muss nicht hinter der Plexiglasscheibe sitzen, sondern darf zwischen seinen Verteidigern Platz nehmen. Als Bundesanwalt Dr. Lars Otte die Anklage gegen ihn verliest, sitzt Frank S. ruhig auf seinem Stuhl, leicht nach vorne gelehnt. Ihm wird versuchter Mord, heimtückisch und aus niederen Beweggründen vorgeworfen, zudem schwere Körperverletzung in fünf Fällen. "Der Angeklagte hatte sich entschlossen, die Geschädigte zu töten", sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft.

Verteidiger sieht keinen Mordversuch

Frank S. hatte am 17. Oktober 2015 bei einer Wahlkampfveranstaltung auf einem Wochenmarkt in Köln die damalige Oberbürgermeister-Kandidatin Reker angegriffen. Er fragte die Politikerin freundlich nach einer Rose, die sie dort verteilte. Dann rammte er ihr ein Jagdmesser in den Hals. Ein Grund für den Vorwurf der Heimtücke, wie Bundesanwalt Otte später erklärt.

Reker wurde lebensgefährlich verletzt und lag während ihrer Wahl an die Spitze der größten Stadt Nordrhein-Westfalens im künstlichen Koma. Auch vier andere Menschen erlitten schwere Verletzungen.

Am ersten Prozesstag wird zunächst die Anklageschrift verlesen. Frank S. schaut meistens die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza an. Nur einmal blickt der 44-Jährige in den Zuschauerraum. Sein Rechtsanwalt Dr. Christof Miseré sagt, dass sich Frank S. zu dem Attentat im Laufe des Prozesses äußern wolle. Doch zunächst liest nur der Verteidiger seine Eröffnungsrede vor. Frank S. könne man keinen versuchten Mord vorwerfen, lediglich eine gefährliche Körperverletzung. Wäre das Opfer nicht eine Politikerin gewesen, wäre der Fall vor einem Landgericht lediglich wegen Körperverletzung verhandelt worden, argumentiert der Anwalt. Außerdem sei sein Mandant von der Tat zurückgetreten, wie es juristisch heißt: Er habe sein Messer weggeworfen und nicht weiter auf Henriette Reker eingestochen. Er spricht außerdem davon, dass die Tat in einem allgemeinen politischen Klima stattgefunden habe, in dem es schwer gewesen sei, kritische Meinungen zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu äußern. "Wenn man sich offen artikulieren kann, geht ein gewisses Aggressionspotenzial verloren", sagte Miseré auf Rückfrage nach der Verhandlung.

Gewalt in Pflegefamilie

Frank S. spricht zunächst über seine Kindheit, die von Lieblosigkeit und Gewalt geprägt gewesen sein soll. So wuchs er in einer Pflegefamilie auf, seit er vier Jahre alt war. Sein Pflegevater habe ihn misshandelt und geschlagen. "Es wurden mittelalterliche Erziehungsmethoden verwendet", sagt der 44-Jährige. Richterin Havliza will wissen, ob der Vater ein Despot gewesen sei. "Ja,", antwortet Frank S.

Als er 16 Jahre alt war, sei die Lage weiter eskaliert. Seine Eltern hätten ihn in seinem Zimmer vom Rest der Wohnung isoliert, er habe nur Ausgang zum Garten gehabt. In seinem Zimmer habe er sich auch selbst verpflegen müssen, dazu habe ein kleiner Elektro-Backofen dort gestanden. Für seinen gesamten Lebenunterhalt habe er zehn Mark am Tag bekommen.

Frank S. sagt der Richterin, dass er mit dem forensischen Psychologen zum ersten Mal über seine Kindheitserlebnisse gesprochen habe — und nun eben im Gerichtssaal. Seine Pflegeltern und seine Pflegegeschwister würden die Geschehnisse immer verharmlosen. Mit 18 Jahren sei er gänzlich aus der Wohnung geschmissen worden, sagt der 44-Jährige. Seine persönlichen Habseligkeiten seien weggeworfen worden.

Der 44-Jährige gesteht, dass er zur rechten Szene in Bonn gehört habe. "Ich bin kein Nazi, ich bin ein wertkonservativer Rebell", sagte er der Richterin. Unter anderem wegen "Schlägereien mit der Antifa" und "politischer Sachen" sei er mehrfach verurteilt worden und habe zwischen 1997 und 2000 gut drei Jahre im Gefängnis gesessen. Aus der Zeit stamme auch seine Tätowierung "Berserker Bonn". Das sei eine Art "Bürgerwehr" gewesen.

Mitglied der inzwischen verbotenen rechtsextremen FAP sei er nie gewesen, habe aber Kontakt zu FAP-Mitgliedern gehabt. Die Partei sei ihm zu rückwärtsgewandt gewesen. Er habe aber an zwei Gedenkmärschen für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß teilgenommen. Dabei handelt es sich um Aufmärsche von Neonazis.

Als Motiv für seine Tat soll der arbeitslose Anstreicher in früheren Vernehmungen die Flüchtlingspolitik genannt haben. Reker war in Köln bis zur Wahl als Sozialdezernentin für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig.

Der Prozess findet im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichtes Düsseldorf statt. Henriette Reker soll dort in zwei Wochen als Zeugin aussagen. Dem Angeklagten droht als Höchststrafe lebenslange Haft. Reker tritt im Prozess als Nebenklägerin auf — vertreten durch einen Anwalt.

Das Gericht hat elf Verhandlungstage bis zum 23. Juni vorgesehen.

(top/dpa)
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