Demo in Köln Um die Silvesternacht geht es längst nicht mehr

Köln · Köln wollte aufstehen. Gegen Rassismus, gegen Sexismus, gegen Rechts. Doch die rund 1700 rechten Demonstranten waren an diesem Samstag nicht nur quantitativ die stärkere Kraft. Gewichtiger ist die Symbolkraft, die seit der Silvesternacht von Köln in die ganze Welt ausgestrahlt wird.

Köln ist eine Stadt, die für Liberalität steht, für "levve und levve losse", für eine weltoffene Gesellschaft. Und dafür lieben die Kölner ihre Stadt. Aber wenn es in Köln nicht mehr funktioniere, dann zeige das Wirkung für die gesamte Gesellschaft, sagt Thomas Isecke. Er engagiert sich in einer Flüchtlingsunterkunft in Düren und ist heute nach Köln auf den Breslauer Platz gekommen, um zu sagen: Flüchtlinge sind in Köln natürlich auch weiterhin willkommen. Das zu zeigen sei wichtig, denn Köln ist Hoffnungsträger für ein friedliches Miteinander der Kulturen. "Die Nazis dürfen die Silvesternacht nicht für ihre Zwecke missbrauchen."

Aber die Kölner Silvesternacht wurde längst missbraucht. Und das zeigt sich nicht nur in den 1700 gewaltbereiten Demonstranten der "Pegida" und "Hogesa" und anderer rechter Gruppen, die an diesem Samstag durch Köln wüteten, sondern auch in der medialen Dunstwolke, die die Kölner Silvesternacht weltweit nach sich zog.

Zur Demonstration am Samstag sind Journalisten aus Russland, Bulgarien und aus Großbritannien gekommen. Alle wollten zuschauen, alle wollten Bescheid wissen, wie sich die Stimmung in Köln nun entwickelt. Die Welt will analysieren und schwadronieren, ob rechte Stimmen in Deutschland nun dominanter werden, ob in Deutschland nun doch keiner mehr Willkommen ruft, ob Angela Merkels Flüchtlingspolitik also schon gescheitert ist.

Es geht längst nicht mehr um die Frauen, die in der Silvesternacht von Männern belästigt, betatscht, überfallen und missbraucht wurden. Es geht um die Gelegenheit, mit dem Finger zeigen zu können. Köln soll nun zum Symbolbild für eine gescheiterte Integration werden. Und auch das ist widerlich und gefährlich.

Polizei sichert Demonstrationen in Köln
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Foto: dpa, rwe wst

Doch klar ist, Köln hat sich heute schwer getan, ein anderes Bild in die Welt zu senden. Noch im Herbst 2015 sind rund 10.000 Gegendemonstranten friedlich durch die Stadt gezogen, haben jeck getanzt, gesungen und die Hogesa-Demonstranten zum Narren gehalten. An diesem Samstagmittag waren es gerade mal 1300, die sich gegen Fremdenfeinde stellten. Darunter nur wenige Gesichter, die man sonst auf solchen Gegendemonstrationen nicht sieht.

Es scheint, als sei die Angst vor einem erstarkenden Rassismus und vermehrter Gewalt gegen Ausländer in Deutschland nicht groß genug, um eine Mehrheit zu mobilisieren. Zu diffus ist die Kölner Silvesternacht. Was hier genau passiert ist, wirft Fragen auf und die liberalen Stimmen müssen sich erst neu sortieren und Antworten finden. Geht es um Religion? Geht es um den Islam? Geht es um Ethnien? Geht es um kulturelle Prägung? Geht es um Nationalität? Geht es um Sicherheit? Geht es um den Rechtsstaat? Geht es um die Würde des Menschen? Geht es um sexuelle Gewalt? Geht es darum, gegen rechts zu sein?

Für die rechten Gruppen ist das leichter zu beantworten. Es geht um die Angst vor dem Fremden, um die Unsicherheit, vor dem, was kommt, um das Unbehagen, mit neuen Kulturen, werde die innere Sicherheit gefährdet und um die Befürchtung, Deutschsein könnte schon bald nicht mehr identitätsstiftend für sie sein. Und es geht um die Ohnmacht, kein Mitspracherecht in der Asylpolitik der Bundesregierung zu haben. Das eint, das macht wütend, das kräftigt.

"Wir dürfen uns das friedliche Zusammenleben in Köln nicht kaputt machen lassen", sagt Rabeya Müller. Die Konvertitin hat vor fast 40 Jahren im Islam eine neue Spiritualität gefunden. Doch friedlich war es an diesem Samstag in Köln nicht. Heute nicht und auch nicht in der Silvesternacht. Rabeya Müller ist heute als Gegendemonstrantin hier, um über Frauen im Islam zu sprechen. Die Islamwissenschaftlerin möchte keine Stigmatisierung der Muslime. Leider habe die Lebenswirklichkeit radikaler Muslime mit der Lehre des Islams nämlich nichts mehr zu tun, sagt sie. Der Islam müsse daher von Nationalität los gelöst werden, fordert die Konvertitin. Doch genauso so deutlich müsse die Rolle der Frau offen thematisiert werden.

Mina Ahadi ist keine Muslimin mehr. Die gebürtige Iranerin hat sich heute nur mit Bodyguards zur Gegendemo am Kölner Hauptbahnhof gewagt. Die Islamkritikerin hat sich schon mit 14 Jahren von ihrer Religion abgewandt und ist deshalb schon oft bedroht worden. Weil sie ausspricht, was deutsche Parteien aus einer falschen Scheu heraus versäumen würden, sagt Ahadi. "Imane hetzten gegen Frauen", so die Islamkritikerin. "Ich musste mein Medizinstudium in Iran abbrechen, weil ich kein Kopftuch tragen wollte", erzählt die Aktivistin.

Man dürfe die Unterdrückung der Frau in islamischen Regimen nicht verharmlosen, kritisiert sie als Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime. Doch genauso falsch sei es, Muslime auszugrenzen, anzufeinden und unter Generalverdacht zu stellen. "Wir sind gegen Rassimus, aber man muss den Islam kritisieren dürfen", sagt Mina Ahadi. "Es ist ein Dilemma."

Doch genau dieses Dilemma vernebelt die Kölner Luft auch eine Woche nach einer Silvesternacht, die Frauenrechtler, aber auch Fremdenfeinde und Antifaschisten auf den Plan rief. Den Gegendemonstranten fehlte es heute an der nötigen Klarsicht, um das Zeichen zu setzten, das Köln jetzt dringend braucht: Köln is e Jeföhl, das eine Banalität wie nationale oder kulturelle Grenzen nicht kennt.

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