Nach der Verurteilung Was der Anwalt des Reker-Attentäters über Frank S. sagt

Immer wieder beleidigte und verhöhnte Frank S. vor Gericht seinen eigenen Verteidiger: Für das Attentat auf Henriette Reker muss er 14 Jahre ins Gefängnis. Zeit für seinen Anwalt, die Geschichte seines schwierigsten Jobs zu erzählen.

Frank S. hat das letzte Wort
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Foto: dpa, ve sab

Die Szene im Gerichtssaal ist diegleiche und doch ganz anders: Jasper Marten (43), Strafverteidiger von Beruf, sitzt links neben seinem Mandanten. Es geht um eine Wirtschaftssache, Kapitalbetrug und ein undurchsichtiges Konglomerat aus vielen Firmen. Im Zeugenstand schwitzt ein Mann mit Brille und schwäbischem Dialekt, Richter und Anwälte nehmen ihn ins Kreuzverhör.

Im Saal 1 des Hochsicherheitstraktes des Düsseldorfer Oberlandesgerichts saß Jasper Marten auch immer links von Frank S.. Nur saßen da auch noch vier kräftige Justizbeamte, die für Sicherheit sorgten. Der Krefelder Anwalt war letztlich der einzige Pflichtverteidiger, der dem Reker-Attentäter geblieben war und musste sich zum Schluss von seinem Mandanten als "Totalausfall" und "linksradikaler Speichellecker" bezeichnen lassen. Etwas, das ihm so noch nie passiert ist, sagte Marten im Juni 2016 in seinem Plädoyer. Und das wiederholt er heute, ein knappes halbes Jahr nach dem Urteil.

Frank S. wurde zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt wegen versuchten Mordes an der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Erst Anfang Januar hat der Bundesgerichtshof das Urteil des OLG Düsseldorf bestätigt. Und erst seit Januar ist Marten den Fall los. Solange die Berufung lief, war er immer noch Pflichtverteidiger. Nun sitzt er im Anwaltszimmer des Mönchengladbacher Landgerichts und spricht über das Verfahren, das ihn viele Nerven gekostet hat. Normalerweise hält der Anwalt sich fern von den Medien, während des Prozesses hat Marten Interview-Anfragen abgelehnt. Einem Gespräch mit unserer Redaktion hat er nun zugestimmt, weil der Fall abgeschlossen ist. Seine anwaltliche Schweigepflicht gilt indes noch immer.

 Jasper Marten im Anwaltszimmer des Mönchengladbacher Landgerichts.

Jasper Marten im Anwaltszimmer des Mönchengladbacher Landgerichts.

Foto: heif

Noch nie sei er von einem Mandanten abgelehnt worden, sagte Marten im Juni 2016 vor Gericht. Der Fall Frank S. ist einzigartig in seiner Karriere als Anwalt. Gegenüber unserer Redaktion sagte der Anwalt damals: "Die psychische Störung von Frank S. und sein Verhalten machen eine ordentliche Verteidigung fast unmöglich."

Während des Verfahrens kippte das Verhältnis von Anwalt und Mandant

Was er damit meint, konnte er damals nicht erklären. "Das Schwierigste war die Beratungsresistenz von Frank S. und dass er nur seine eigene Wahrheit akzeptiert hat", sagt Marten heute. "Der Job eines Anwalts ist es, Lösungen zu erarbeiten. Aber mit Frank S. konnte ich keine Strategie, keine Taktik diskutieren." Und selbst wenn das Verhältnis vor Prozessbeginn normal war, im Laufe des Verfahrens kippte es. "Bis zum ersten Prozesstag habe ich nicht damit gerechnet, dass mir die Kontrolle über das Verhalten meines damaligen Mandaten entgleitet", sagt Marten.

Und doch kam es dazu. Frank S. hatte schon vor dem Prozess seine Tat eingeräumt, im Gerichtssaal redete er sich allen Ratschlägen zum Trotz um Kopf und Kragen, ließ alle an seiner abstrusen Weltsicht teilhaben. Frank S. besitze keinerlei Affektkontrolle, er könne seine Impulsivität nicht steuern, sagte damals der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf im Gerichtssaal und so sieht das auch Marten. Allen Prozessbeteiligten wurde damals deutlich, dass Frank S. den Gerichtssaal auch als Forum für seine Ideen nutzte. Da merkte Marten, dass er den Redefluss seines Mandanten nicht stoppen konnte.

Das Paradoxe ist, dass Martens Verteidigungsstrategie am Ende aufgegangen ist, obwohl ihn Frank S. bekämpft und abgelehnt hat. Das Gericht folgte in seinem Urteil den Argumenten des Verteidigers und verurteilte den Reker-Attentäter, wie von Marten gefordert, wegen seiner paranoid-narzisstischen Persönlichkeitsstörung nicht zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe. Frank S. bekam stattdessen 14 Jahre, davon zwölf für den versuchten Mord an Henriette Reker. Allein dafür hätte das Gericht ihn schon zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilen können.

Doch Frank S. hat nie gesehen, dass sein Verteidiger sich bis zuletzt für ihn eingesetzt hat. Im Gegenteil, er beharrte darauf, dass er Reker nicht habe töten wollen und dass er deswegen auch nicht wegen versuchten Mordes, sondern wegen gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen sei.

Frank S. beschimpfte seinen Anwalt vor Gericht

Eine Sicht, die er von seinem früheren Verteidiger übernahm, die aber Marten nicht teilte. "Wer jemandem ein riesiges Messer so tief in den Hals rammt, dass ein Wirbel anknackst, der kann nicht auf gefährliche Körperverletzung plädieren", sagt Marten. Frank S. ließ seinen früheren Anwalt feuern, behielt aber dessen Rechtsauffassung bei. Darüber kam es zum Bruch mit Marten. Seine Ablehnung gipfelte schließlich in der öffentlichen Demütigung seines Anwalts. Er beschimpfte ihn als "linksradikalen Speichellecker" und versuchte ihn loszuwerden. Schon zu Beginn des Verfahrens hatte Fank S. einen merkwürdigen Auftritt vor Gericht, als er ein Papp-Schild mit der Aufschrift hochhielt: "Suche mutigen, rechten Pflichtverteidiger."

Weil Marten die Ansicht des psychiatrischen Gutachters teilte, dass Frank S. eine Persönlichkeitsstörung entwickelt habe, wurde er für Frank S. zur Persona non grata. "Für ihn war es wahrscheinlich schlimmer, als paranoid-narzisstisch dargestellt zu werden, als eine lebenslange Freiheitsstrafe in Kauf zu nehmen", sagt Marten. "Er hat sich dagegen gewehrt, dass seine Tat als die eines geistig Kranken wahrgenommen wird."

Sein Interesse hatte der Fall schon geweckt, lange bevor Marten der Anwalt von Frank S. wurde. Er hatte am Abend des 17. Oktober 2015 die Tagesschau gesehen, in der von der Tat auf dem Wochenmarkt in Kölner Stadtteil Braunsfeld berichtet wurde. Ein 44-Jähriger hatte die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker an einem Wahlkampf-Stand mit einem Messer in den Hals gestochen, sie lebensgefährlich verletzt und dann noch mehrere Wahlkampfhelfer angegriffen. Henriette Reker lag mehrere Tage nach der Tat im künstlichen Koma, ihre Wahl zur Oberbürgermeisterin bekam sie nicht mit.

Martens erste Gedanken kreisten um die Frage, ob der Attentäter tatsächlich schuldfähig ist. "Ich habe gedacht: Hoffentlich bekommt er einen Verteidiger, der einen Blick auf die Schuldfähigkeit hat." Aber bei der ersten Begegnung mit Frank S. sei ihm klargeworden, dass der Attentäter bei klarem Verstand und voll verantwortlich war. "Er wusste, was er tut." Als sein Kollege ihn fragte, ob er mit ihm gemeinsam Frank S. verteidigen wollte, sagte er Ja. "Ich wollte auch aus Täterperspektive wissen, was da wirklich passiert ist", sagt Marten. "Hätte ich damals gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich das Mandat wahrscheinlich nicht übernommen."

Frank S. ist "selektiv belesen"

Doch mehr als im Prozess herauskam, weiß Marten auch nicht. Frank S. machte dicht, "ich hatte gehofft, dass ich eine Erklärung bekomme, die ich für die Verteidigung nutzen kann", sagt der Jurist. Der psychiatrische Gutachter beschreibt Frank S. als durchschnittlich intelligent. Marten bestätigt das, Frank S. sei "selektiv belesen". Im Prozess wurde deutlich, dass der Reker-Attentäter nur das liest, was in sein von Verschwörungstheorien geprägtes Weltbild passt.

In seinem Plädoyer berief sich Marten schließlich darauf, dass Frank S. von frühester Kindheit an vernachlässigt und misshandelt worden ist. "Natürlich tut mir leid, was er als Mensch erlebt hat, aber die Verantwortung für seine Tat muss er übernehmen."

(heif)
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