Standorterhaltung durch neue Ideen, Flexibilität und dem Willen zu harter Arbeit Wie man eine Fabrik rettet
Kleve · Peter Janosch ist 39 Jahre alt, trägt gelegentlich Krawatten mit Tigerentenmuster und liebt klare Aussagen. Er war 15 Jahre Manager beim britisch-niederländischen Lebensmittelkonzern Unilever (245000 Beschäftigte) und ist seit zwei Jahren Geschäftsführer der niederrheinischen Lebensmittelfabrik Clever Stolz (410 Beschäftigte). Gibt es Unterschiede? "Wenn ich im Konzern eine Million unter Plan lag, musste ich bei der Geschäftsführung eine Präsentation machen. Wenn ich heute so daneben liegen würde, ginge das an die Substanz." Und das, so weiß Janosch, "macht wach".
So wach, dass Janosch heute an der Spitze eines durch und durch erfolgreichen Unternehmens steht. Einige Produktionslinien sind so ausgelastet, dass rund um die Uhr produziert wird - an 365 Tagen im Jahr. Für ein neues Lebensmittel hat das nach der alten Margarinemarke Clever Stolz benannte Unternehmen vor Kurzem den Zuschlag erhalten - und zwar exklusiv für zehn Jahre. Außerdem, und dies ist in diesen Tagen wirklich eine Besonderheit, stieg die Zahl der Mitarbeiter in den vergangenen 24 Monaten von 340 auf jetzt 410. Ein Zuwachs von zwanzig Prozent. Weitere Einstellungen sind geplant.
"Ein schwerer Fall"
Eine schöne Geschichte. Nur ist sie ziemlich genau das Gegenteil von dem, was ursprünglich mit dem Werk in Kleve geplant war. Das gehörte nämlich zum Unilever-Konzern, und der Konzern-Manager Janosch hatte eigentlich den Auftrag, schnellstmöglich eine sozialverträgliche Lösung für die Schließung des Werkes umzusetzen.
Unilever war aufgebaut als ein Verbund eigenständiger nationaler Einzelunternehmen. Heute denkt der Konzern mit Hauptsitzen in Rotterdam und London in europäischen Dimensionen. Und aus dieser Perspektive kann man leicht Überkapazitäten ausmachen, die aus Konzernsicht die angekündigte Schließung von bis zu 25 Standorten in Europa notwendig machen. Da traf es dann auch den traditionsreichen Standort am Niederrhein, der plötzlich ein "schwieriger Restrukturierungsfall" geworden war. So schwierig, dass man zunächst keine Alternative zu einer Schließung sehen konnte.
"Man" nicht - Janosch schon. Nach schneller Prüfung seiner Möglichkeiten nahm Janosch Kontakt zu dem Klever Investor Bernd Zevens auf, der schon so manches Unternehmen vor dem Untergang gerettet hatte. Zunächst sollte nur über den Verkauf von ungenutzten Teilen des Geländes gesprochen werden. Schon zwei Tage später machte Zevens den Vorschlag, die ganzen Immobilien zu kaufen und wieder zurückzuvermieten, ein beliebtes Steuersparmodell, bei dem es nur Gewinner gibt. Als Zevens dann hörte, dass Unilever den Standort schließen wollte, weitete er sein Angebot aus: "Ich mache es nur, wenn ich das ganze Werk übernehmen kann!"
Ende August, keine vier Monate nach seinem Dienstantritt in Kleve, meldete Janosch an die Konzern-Zentrale nach Hamburg: "Ich kann das 'Problem Kleve' lösen." Keine Reaktion. Also 14 Tage später ein weiterer Anruf: "Ich meine das wirklich ernst." Dann wachte Unilever auf, prüfte und prüfte - und entschied sich für die "Option Zevens". Zum Jahresende war der Verkauf unter Dach und Fach - und ein wundersamer Aufstieg nahm seinen Lauf.
Das wirft natürlich eine Frage auf: Was kann Clever Stolz, was das Unilever-Werk Kleve nicht konnte?
Erste Antwort: Lohnkosten senken. Und zwar um mehr als ein Viertel. Dennoch gab es keine mahnwachenden Arbeiter, die Ölfässer am Werkstor anzündeten. Der Grund: Über einen Sozialplan gleichen Unilever und Zevens gemeinsam über mehrere Jahre einen Großteil des Einkommensverlusts aus. Lohnerhöhungen wiederum werden damit verrechnet. Folge: Die Arbeitnehmer hatten am Monatsende nur sechs Prozent weniger im Portemonnaie.
Zweite Antwort: Nur das machen, was man kann. Die Einführung einer Marke, die für ganz Europa mittlerweile locker fünfzig Millionen Euro kosten kann, gehört nicht dazu. In Kleve wird produziert. Für die ehemalige Konzernmutter Unilever, aber auch so genannte "Private Labels" (No-Name-Produkte) für die ständig wachsenden Discountketten. Ohne bekannte eigene Marken hat man natürlich ganz andere Margen.
Dritte Antwort: Kostenbewusstsein schärfen. Die geringeren Margen führten dazu, dass im Unternehmen ein ganz neues Kostenbewusstsein entstehen musste. Janosch: "Markenartikelkonzerne verkaufen nicht einfach Produkte. Sie verkaufen ein Image, Emotionen. Wenn die Mutter Rama kauft, kauft sie sich selber auch das Gefühl, für ihre Familie das Beste zu tun. Bei solchen Marken stehen die Kosten der eigentlichen Produktion nicht immer in dem Maße im Fokus wie bei uns."
Vierte Antwort: Den Kopf frei bekommen. Janosch hat seine sichere und gut dotierte Managerlaufbahn in einem Konzern aufgegeben, um sich der Herausforderung Clever Stolz zu stellen. Seine Erkenntnis: "Man arbeitet konzentrierter, wenn es keinen Weg zurück gibt, kein Netz und keinen doppelten Boden."
Jetzt blüht die Firma auf
Fünfte Antwort: Und immer an den Kunden denken. In einem reinen Produktionswerk eines Konzerns erleben die Mitarbeiter den Kunden als unbekanntes Wesen. Jetzt haben plötzlich viele Mitarbeiter unmittelbaren Kundenkontakt. Es geht nicht mehr darum, irgendwelche Forderungen aus der Zentrale zu bearbeiten, sondern um einen sehr konkreten Kunden, dessen Auftrag Umsatz und damit Arbeitsplatzsicherung bedeutet. Janosch: "Es war nicht einfach, hierfür bei allen Mitarbeitern das Bewusstsein zu schärfen. Aber wir sind weit gekommen."
Sechste Antwort: Schnell entscheiden. Konzerne entscheiden von Natur aus eher langsam. Es gibt zu viele Entscheidungsebenen und zu viele unterschiedliche Prioritäten. Bei Clever Stolz werden Entschlüsse rasch gefasst. Janosch: "Wenn alle relevanten Fakten vorliegen, muss entschieden werden. Durch Verzögerungen gewinnt man ja keine neuen Erkenntnisse. Und was wir in der Geschäftsleitung nicht gleich entscheiden können, wird direkt in einem Telefonat mit Zevens geklärt."
Siebte Antwort: Vorausschauend handeln. Für ein neues Unilever-Produkt sollte ein Werk gebaut werden, aus dem ganz Europa beliefert werden wird. Außer Kleve waren noch zwei andere Standorte im Rennen. Was letztendlich für Clever Stolz den Ausschlag gab: Janosch und Zevens fingen schon an zu bauen, bevor sie den Zuschlag hatten - weil Janosch als erfahrener Produktionsmann wusste, dass sonst die ehrgeizigen Terminziele des Kunden nicht einzuhalten gewesen wären. Als die Standort-Entscheidung endlich fiel, konnte nur noch Kleve den Termin garantieren. Hoch oben über der Baustelle ließ der Klever Geschäftsführer übrigens eine Kamera installieren und die Bilder auf eine geschützte Internet-Seite übertragen. So konnten die Unilever-Manager sich jederzeit über den Baufortschritt informieren. Janosch: "Das hat Vertrauen geschaffen."
Seit knapp zwei Jahren führt Janosch nun mit zwei weiteren Geschäftsführern das Werk in Eigenregie. "Am Anfang", so sagt er, "hatten wir noch nicht für alle Fragen eine Antwort." Als die Mitarbeiter bei der Verkündung der Übernahme durch Zevens nach den neuen Führungsstrukturen fragten, antwortete er spontan: "Ich werde König!" Heute ist er respektiert, freut sich über "unwahrscheinliche unternehmerische Freiheiten" und ist stolz auf das Erreichte: "Bei Margarine und im Pflanzenöl-Raffinerie-Geschäft kommt man an Clever Stolz nicht mehr vorbei." Neue Arbeitsplätze entstanden, und ein traditionsreicher Industriestandort blüht wieder auf.
Von Ralf Daute