Missbrauch, Gewalt und soziale Nöte Wie Frauen im Kreis Kleve in ausweglosen Situationen Hilfe bekommen

Kreis Kleve · Die Frauenfachberatungsstelle bietet ihre Hilfe seit Januar im ganzen Kreis an. Wie die Frauen aufgefangen werden bei Wohnungsnot und Gewalterfahrung und was die Beratung sonst noch bietet.

Vor der Fachberatungsstelle: Janneke Zoller, Nicole Zigan und Petra Hermsen-Beyer (von links).

Vor der Fachberatungsstelle: Janneke Zoller, Nicole Zigan und Petra Hermsen-Beyer (von links).

Foto: Markus van Offern (mvo)

Der Höhepunkt war die Fahrt zum Meer: Erstmals das Wasser bis zum Horizont sehen, den Sand zwischen den Fingern rieseln lassen und dann in das frische, kalte Nordseewasser steigen. Schritt für Schritt. Ausgelassen wurde der Tag genossen. „Das war für unsere Frauen ein Riesenerlebnis: Einige waren das erste Mal in ihrem Leben an der Küste“, sagt Petra Hermsen-Beyer. Die Diplom-Pädagogin ist Beraterin bei der Frauenfachberatungsstelle (FFbs) des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Kleve und hatte die Fahrt ans Meer für „ihre“ Frauen organisiert. Dabei war der „Rucksack“, den die Frauen tragen müssen, wenn sie zur Frauenfachberatungsstelle kommen, groß. Groß und schwer: Es fehlt eine Wohnung, die materielle Mittellosigkeit und Schulden drücken. Sehr viele dieser Frauen (80 Prozent!) haben Gewalt- und Missbrauchserfahrungen. Dann ist der Gang zur FFbs Hoffnung auf Hilfe. Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung, beim Umgang mit den Behörden, bei der Bewältigung des Alltags. „Wir unterstützen die Frauen, helfen, die soziale Isolation zu überwinden, den Alltag in den Griff zu bekommen“, sagt Beyer-Hermsen. Mit regelmäßigen Treffen bei niederschwelligen Angeboten wie Frauenfrühstück oder soziale Gruppenangebote, aber vor allem bei intensiven Einzelgesprächen.

Bis jetzt hatten nur die Frauen aus Kleve die Möglichkeit, zur Frauenfachberatungsstelle in der Stadt zu kommen. Wie groß der Bedarf war und ist, zeigen die Klever Zahlen aus dem Jahr 2021: 140 Frauen wurden allein in der Kreisstadt beraten. 2021 waren in Kleve 178 Kinder von den Notlagen ihrer alleinerziehenden Mütter betroffen. Die größte Gruppe stellen mit 34 Prozent alleinerziehende Frauen. „Sie sind häufig im besonderen Maße von Isolation und geringen Selbsthilfekräften betroffen“, sagt Hermsen-Beyer. Ein Drittel der Frauen hat einen Migrationshintergrund. Und es sind Frauen aller Altersgruppen, die bei der FFbs Unterstützung finden: Ein Viertel der Frauen war unter 27 Jahre alt. Der Anteil der unter 21-jährigen ist mit zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr gleich geblieben. 27 Prozent sind über 50 Jahre alt.

„Die Auslastung der FFbs ist nach wie vor hoch“, sagt SkF-Geschäftsführerin Janneke Zoller. Multiple Problemlagen, gepaart mit einem für Sozialleistungsbezieher und Geringverdiener kaum zugänglichen Wohnungsmarkt seien die großen Herausforderungen in der Problembearbeitung, mit denen die SkF-Mitarbeiterinnen Hermsen-Beyer und Nicole Zigan konfrontiert werden. Zigan, Diplom-Sozialarbeiterin, wird künftig in Kevelaer arbeiten. Denn seit Januar ist das SkF-Angebot auf den ganzen Kreis Kleve erweitert. Und in Kevelear, wo die Anlaufstelle seit Januar im Aufbau begriffen ist, gibt’s bereits erste Anmeldungen aus dem Süden des Kreises von Frauen, die Hilfe brauchen, sagt Zigan. Sie wird jetzt dort nicht nur die Frauen beraten, sie wird vor allem ein Netzwerk für den Süden des Kreises aufbauen.

Der Kreis Kleve übernimmt seit Januar die Hälfte der Finanzierung der Frauen-Fachberatungsstelle zusammen mit dem Landschaftsverband Rheinland, der die zweite Hälfte trägt. Kreis und LVR finanzieren jetzt zwei Stellen, 1,5 für die Sozialarbeit und eine halbe Stelle für die Verwaltung, rechnet Zoller die Besetzung vor. Der Anlaufpunkt für Frauen aus dem Norden des Kreises ist Kleve, für den Süden künftig Kevelaer. Die Stadt Kleve kann sich jetzt aus der Finanzierung zurückziehen, die sie seit 2006 für ihr Stadtgebiet neben dem LVR übernommen hatte.

„Die FFbs hat sich zur ersten Anlaufstelle für Frauen in existentiellen Schwierigkeiten entwickelt“, sagt Zoller. Die Beratung für alleinstehende und alleinerziehende Frauen und ihre Kinder mit besonderen sozialen Schwierigkeiten ist jetzt ein Angebot für alle Kommunen im Kreis, mit dem Ziel, diese Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder eine Verschlimmerung zu verhüten, so die SkF-Geschäftsführerin.

Neben der Einzelberatung sei das Vorhalten sozialer Gruppenangebote eine weitere wichtige Arbeitsform, ergänzen Zigan und Hermsen-Beyer. Denn soziale Gruppenangebote tragen in hohem Maße zur Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen und zur Stabilisierung bei: Erfahrungen der FFbs haben gezeigt, dass die regelmäßige Teilnahme an Gruppenangeboten bisher vielen Frauen geholfen hat, neue Sozialkontakte zu knüpfen, sagen sie.

Es gibt Angebote wie Nordic-Walking, gemeinsames Kochen und Backen, Tagesausflüge. Ganz wichtiger Bestandteil ist das Frauenfrühstück - hier gibt’s nicht nur das üppige, in Teilen gespendete, Frühstück, für das die FFbs einen Obolus von 1,50 Euro nimmt (so Beyer-Hermsen), sondern darin eingebettet Infos zu diversen Themen wie Gesundheit, Schulden, Hygiene und Versicherungen.

Doch das größte Problem ist der fehlende Wohnraum: Vor allem günstige kleine Wohnungen fehlen. Deshalb appellieren Nicole Zigan und Petra Hermsen-Beyer an Makler, Wohnungsbaugesellschaften und Vermieter, auch Sozialleistungsbezieher und Geringverdiener zu berücksichtigen.

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