Kleve Vor 50 Jahren - der Rhein ist zugefroren

Kleve · Seit Tagen ist's im Kleverland frostig. Doch so richtig kalt, wie's früher mal war, ist es nicht. Schlagzeilen aus dem Jahr 1963 sind Beleg dafür – ebenso wie Erinnerungen von drei Zeitzeugen an den Januar vor 50 Jahren.

Vor 50 Jahren: Der Rhein ist zugefroren
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Foto: Fritz Getlinger / technisch bearbeitet von RP-Fotograf Gottfried Evers

Seit Tagen ist's im Kleverland frostig. Doch so richtig kalt, wie's früher mal war, ist es nicht. Schlagzeilen aus dem Jahr 1963 sind Beleg dafür — ebenso wie Erinnerungen von drei Zeitzeugen an den Januar vor 50 Jahren.

"Kälterekord: minus 27 Grad" (Rheinische Post, 12. Januar 1963); "Lauft die Nothäfen an" (RP, 14. Januar 1963), "Eis im Altrhein 30 cm dick — acht Rheinschiffe warten im Klever Hafen auf besseres Wetter" (RP, 16. Januar 1963).

Wenn es um den Rhein und alles, was mit dem Strom zu tun hat, geht, ist Rudi Hell (75) stets ein kompetenter Informant. Schließlich ist der Griether seit Kindesbeinen an mit Leib und Seele Rheinfischer — Angehörige seiner Familie sind das bereits seit 300 Jahren. Und natürlich erinnert Rudi Hell an den strengen Winter 1962/63. Damals arbeitete der Griether in einer Kiesbaggerei in Wesel. "Im Januar 1963 ging da nix mehr. Alles war eingefroren. Wochenlang hatten wir Dauerfrost", erinnert sich Rudi Hell. An Arbeit in der Kiesgrube war nicht zu denken.

Dass der Schiffsverkehrs wegen des zunehmenden Eisganges zum Erliegen kam, daran erinnert sich auch Manfred Schweers (74), der im Januar 1963 bei den Ölwerken Spyck beschäftigt war. Etwa 14 Tage lang hätten keine Schiffe mehr vor Salmorth festmachen können. "Palmkerne, Soja und Kobra mussten mit Lkw nach Spyck gebracht werden. Der Betrieb lief aber trotz der Kälteperiode weiter in drei Schichten. Nur von der Schanz nach Spyck zu kommen, das war bei dem vielen Schnee und der Eiseskälte eine Quälerei", berichtet der Schänzer, der seit seiner Geburt auf der Rheinhalbinsel Zuhause ist.

"Minus 32 Grad - Kälterekord" (RP-Hauptteil) und "Keine Fährverbindung zwischen Kleve und Emmerich — der Strom friert zu" (RP-Lokalteil, 18 Januar 1963)

Auch Rudi Hells Vetter und Onkel, die in Grieth zwei Proviantboote und eine Fähre hatten, mussten Mitte Januar ihre Schiffe im Hafen von Emmerich vor dem drohenden Eisgang auf dem Strom in Sicherheit bringen. Rudi Hell erinnert sich: "Jeden Tag mussten wir bei Schnee und Eis über die Rheinbrücke in Wesel nach Emmerich fahren — und das dauerte. Im Hafen mussten wir dann die Boote mit Äxten und Sägen vom Eis befreien — sonst wären sie zerdrückt worden."

"Eisbarriere blockiert den Rhein von Lorelei bis Holland-Grenze" (RP-Hauptteil, 22. Januar 1963), "Der Rhein kommt zum Stehen" (RP-Lokalteil, 22. Januar 1963)

Horst Bos, auf der Schanz geboren, dort heute noch lebend und inzwischen 78 Jahre alt, war damals eigentlich als Anstreicher beim Wasser- und Schifffahrtsamt in Emmerich beschäftigt. Im Januar 1963 aber übernahm er für seinen Schwiegervater, der damals schon älter als 60 Jahre war, die anstrengende Aufgabe, jede Nacht alle zwei Stunden von Schenkenschanz durch hohe Schneewehen ans Rheinufer zu stapfen.

Dort musste er den Eisgang auf dem Strom kontrollieren. "Wenn sich die Eisschollen stauten, musste das sofort dem Amt in Emmerich gemeldet werden. Damals gab es aber noch kein Handy, das einzige Telefon auf der Schanz hatte Alois Janssen", berichtet Horst Bos. Ein Stau der Eisschollen hätte — bei nachfolgendem Hochwasser — die Gefahr von Überflutungen bedeutet. "Dann hätte man das Eis sprengen müssen", sagt Horst Bos. Rudi Hell aus Grieth erinnert sich: "Die Pioniere der Armee waren in der Zeit immer in Alarmbereitschaft."

"Es ist soweit: Der Rhein steht." (RP vom 23. Januar 1963)

Tagelang hatten sich dicke Eisschollen rheinabwärts geschoben und ineinander verkeilt. "Zuerst stauten sie sich an den Buhnen. Dort türmen sie sich meterhoch auf. Irgendwann war dann Schluss: der Rhein stand still", sagt Rudi Hell. Nicht nur in Grieth, sondern an vielen, über Straßen erreichbaren Uferabschnitten strömten Menschen aus dem weiten Umkreis an den vereisten Strom. "Das war für die Leute ein richtiges Schauspiel. Es waren mehr als heute beim Hochwasser, obwohl es damals weniger Autos gab", meint Rudi Hell. Tatsächlich setzte die NIAG fünf Busse im Stundentakt ein, um Eis-Touristen an den Rhein zu fahren.

"73 Jahre alter Warbeyener wagte trotz strengen Verbots Überquerung — Glück gehabt" (RP vom 25. Januar 1963)

Schlagzeilen machte Landwirt Gerhard Naß (73), der über den noch nicht völlig zugefrorenen Rhein von Warbeyen nach Emmerich lief — um Kautabak zu kaufen. Auch an anderen Stellen trauten sich Menschen auf's Eis. Von tödlichen Zwischenfällen ist in den Zeitungen nichts zu lesen. Manche Zeitzeugen berichten, dass man sogar mit Autos übers Eis gefahren sei.

"Freie Fahrt auf dem Rhein zwischen Krefeld und Wesel" (RP vom 29. Januar 1963)

Das Eis schmilzt, das Spektakel ist vorbei. Für Rudi Hell, Manfred Schweers und Horst Bos war der zugefrorene Rhein nichts Besonderes. "Das passierte damals doch alle paar Jahre", erklären sie übereinstimmend. Aber — in den 50 Jahren, die seither vergangen sind, stand der Strom nicht mehr still.

(RP/rl/top)
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