Olympische Spiele Olympia ’36 zum Blättern

Goch · Der Gocher Walter Schreiber ist eine Legende der hiesigen Sportszene. Seit mehr als 30 Jahren pflegt der Rentner ein Relikt der Zeitgeschichte: ein Band der Olympia-Zeitungen von 1936. Nun gewährte er uns eine Leseprobe.

 Walter Schreiber in seinem Reich mit dem Band der Olympia-Zeitung.

Walter Schreiber in seinem Reich mit dem Band der Olympia-Zeitung.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Walter Schreiber öffnet die Tür, und es ist wohl obligatorisch, dass er ein Sportmagazin in seinen Händen hält. Seit dem Weltmeisterschafts-Finale sind zwei Wochen vergangen, doch Schreiber ist noch immer mit der Nachbereitung beschäftigt. „Ich habe fast jedes Spiel gesehen. Die WM-Zeitschrift hat mir sehr geholfen, über alle Mannschaften Bescheid zu wissen“, sagt der Gocher. Folgt man ihm dann in sein Hobbyzimmer, tritt man ein in eine Welt der Sportgeschichte. Schreiber ist leidenschaftlicher Sammler; hat Schränke voller Briefmarken, Fotos, Kunst und vor allem: Sportliteratur. Ob Zeitungsartikel, Magazine oder Bücher – Schreiber fasziniert alles. Jegliche Olympia-Bänder seit 1956, Lexika über Sportbewegungsabläufe, die Chronik von Viktoria Goch, RP-Artikel über die diesjährige WM. Die Regale und der Schreibtisch sind voll, die historischen Dokumente stapeln sich in die Höhe. Sein größter Schatz aber thront weit oben. In einem großen Buch hat er alle Zeitungen der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin gebunden. Es war eine Sportgroßveranstaltung, die zur zweiwöchigen Demonstration der Macht Hitlers und seiner rassistischen NS-Politik dienen sollte.

„Ich bin mit Leib und Seele Sportler und hatte zu DDR-Zeiten einen Brieffreund in Halle an der Saale. Er sagte mir: Auf dem Dachboden habe ich besondere Zeitungen meines Vaters gefunden, das wäre was für dich“ erklärt der 82-Jährige. Es handelte sich um insgesamt 29 Zeitungen und 624 Seiten Papier, die ihm 1985 zugeschickt wurden. Die Blätter sind noch heute bestens erhalten. „Jede einzelne Seite finde ich faszinierend. Ich könnte stundenlang darin blättern“, meint Schreiber. „Man muss nur einmal die Geschichte des dunkelhäutigen US-Amerikaners Jesse Owens betrachten, der gleich vier Leichtathletik-Goldmedaillen abräumte. An den Nuancen der Texte aber merkte man genau, dass das dem rassenwahnsinnigen Deutschland nicht ins Weltbild passte.“ Karikaturen der Sportler und Werbeseiten noch immer führender Marken wirken wie aus der Zeit gefallen. Die Zeitung ist aufwendig gestaltet; die Fotos von extrem guter Qualität. Alle Länder werden vorgestellt, die Wettkämpfe detailreich geschildert und Sportler in den Fokus gestellt. „Wer diese Zeitung damals in Händen hielt, war wirklich über absolut alles Informiert.“ Für zwanzig Pfennig wurden sie damals verkauft und immer mit einer Prise Reichspropaganda versehen.

Besonders spannend für den langjährigen Gocher Kicker: Der deutsche Fußball war damals noch völlig unbedeutend, der Titel ging an Italien vor Österreich und Norwegen. „Die waren noch schlechter als die Jungs, die uns nun in Russland vertreten haben“, erklärt Schreiber scherzhaft. Das deutsche Reich scheiterte in der Zwischenrunde gegen die norwegische Auswahl – unter den Augen eines erbosten Hitlers.

Doch nicht nur der Band an sich, sondern auch der Transport der tagesaktuell erschienenen Zeitungen erzählt Zeitgeschichte. Die von der deutsch-deutschen Grenze getrennten Freunde tauschten über Jahre hinweg Literatur aus. Während die Pakete im Westen immer den Adressaten fanden, blickte die Volkspolizei kritisch auf den Kontakt. So wurden auch die losen Zeitungen erst einbehalten. „Uns wurde von staatlicher Seite der BRD deutlich gemacht, dass die Einfuhr definitiv legal ist. Das musste man der Volkspolizei deutlich machen und ihnen kräftig entgegentreten. Dann waren die einverstanden“, sagt Schreiber. Als er alle Zeitungen hatte, band er sie zu einem Buch.

Der pensionierte Postbeamte aber macht sich heute Sorgen um seine Sammlung. „Ich habe zwar einen Enkel und zwei Urenkel, doch da fehlt das Interesse an Sportgeschichte. Somit befürchte ich, dass alles irgendwann im Müll landet“, so Schreiber. Den Weg in sein Arbeitszimmer tritt seine Frau nie an, es ist sein Rückzugsort. Ist er nicht hier, verschlägt es ihn in sein zweites Wohnzimmer, das Hubert-Houben-Stadion von Viktoria Goch. Jeden Sonntag feuert er dort den Bezirksligisten an. Viel beschäftigt er sich auch mit der Historie des Weberstädter Vereins. Schreiber lebt eben für den Fußball und seine Geschichte. „So viele Erinnerungen, so viel Wissen und so viel Geschichte darf nie verschwinden.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort