Kreissportbund „Uns stehen Verwerfungen bevor“

Der KSB-Vorsitzende Lutz Stermann blickt in die Zukunft des Kreis Klever Sports: Dort sieht er eine Konzentrierung der Sportstätten, den Druck zur Professionalisierung im Verein und den Wandel vom Jugend- zum Gesundheitssport.

Seit einem Jahr steht Lutz Stermann an der Spitze des Kreissportbundes (KSB) Kleve. Was er mit seiner Vorstandsmannschaft in dieser Zeit angepackt hat und welche Arbeit noch wartet, darüber sprach er mit RP-Mitarbeiter Markus Haegert. Der erfahrene Sportfunktionär sieht gravierende Veränderungen auf den Sport im Kreis Kleve zukommen.

Was haben Sie im ersten Jahr Ihrer Amtszeit geleistet?

Stermann Zunächst mal: Ich habe ein tolles Team um mich herum, ohne das es nicht gehen würde. Wir haben im vergangenen Jahr drei große Themen angepackt. Wir haben in einer schwierigen finanziellen Situation die Mitgliedsbeiträge erhöht, um Inhalte generieren zu können. Dann haben wir den Aufbau einer Infrastruktur begonnen, die den Kreissportbund zu einem Dienstleister für den Sport machen soll. Außerdem haben wir ein politisches Mandat übernommen, sind der verlängerte Arm der Vereine.

Sie haben 2008 die Beitragsordnung grundlegend verändert: Statt der früheren fixen Staffelung zahlt nun jeder Verein 45 Cent pro Mitglied an den KSB. So kommt es, dass ein Großverein wie der Kevelaerer SV mit rund 2000 Mitgliedern statt 66 Euro zirka 900 Euro Beitrag zahlt.

Stermann Dem gegenüber steht aber auch eine Förderung von rund 2500 Euro für den KSV. Ich denke, das ist ein gutes Verhältnis. Früher hatten wir ein Beitragsaufkommen von etwa 8000 Euro. Damit können Sie nichts reißen. 2008 waren es etwa 45 000 Euro, davon haben wir 35 000 Euro an die Vereine zurückgegeben.

Dennoch fühlten sich einige Vereine eiskalt erwischt von der Erhöhung.

Stermann Erstens hat jeder Verein im Vorfeld der Mitgliederversammlung Einladungen zum "Runden Tisch" und ein Infoblatt dazu bekommen. Zweitens wurde die Erhöhung durch die anwesenden Vereinsvertreter beschlossen. Davon abgesehen: Es ist seit der Erhöhung kein Verein aus dem KSB ausgetreten.

Sie haben auch eine Geschäftsstelle eingerichtet. Dort arbeiten vier hauptamtliche Mitarbeiter. Was machen die den lieben, langen Tag?

Stermann Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Steffi Dietrich ist als Mitarbeiterin für den Sport im Offenen Ganztag zuständig. In 20 Wochenstunden hält sie Kontakt zu den Schulen und zu Übungsleitern, arbeitet Kooperationen zwischen Schulen und Vereinen aus, gibt notwendige Veränderungen für die Ausbildung von Übungsleitern weiter. Diese Arbeit kriegen Sie nicht allein mit Ehrenamtlern gestemmt. Die Leute um mich herum machen einen Full-Time-Job. Unseren Geschäftsführer Bruno Probst sehe ich häufiger als meine Frau. Und bevor Sie fragen: Die hauptamtlichen Stellen sind zu 95 Prozent vom Landessportbund finanziert.

Zur politischen Mitsprache: Die 16 Kommunen im Kreis Kleve haben auf Ihre Initiative hin im Herbst ein "Bündnis für den Sport" auf den Weg gebracht. Was ist da dran außer Symbolik?

Stermann Nach der Umstrukturierung im Landessportbund sind wir erster Ansprechpartner für die Politik in Kreis und Kommune. Nun ist es so, dass es ein Kulturforum und Kreiskulturtage gibt. Es gibt aber keine Sporttage, ja noch nicht einmal einen Sportausschuss im Kreistag. Es fehlt bislang ein Leitbild für den Sport, eine echte Perspektive.

Ist dies allein die Schuld der Politik?

Stermann Da ist auch eine Menge Eigenverschulden dabei. Wir hatten in den vergangenen Jahren keinen engen Kontakt zu den politischen Gremien. Wir müssen mit der Politik in Diskussion treten, um Themen wie Raumplanung, Ausbildung im Sport, Förderung des Sportabzeichens und Gesundheit anzugehen. Wir befinden uns schon in regelmäßigen Gesprächen mit den Fraktionen im Kreis und in den Kommunen.

Sind das Gespräche auf Augenhöhe oder kommen Sie als Bittsteller?

Stermann Ich sage es mal so: Wir sind auf dem Weg der Anerkennung, haben sie aber noch nicht. Dabei muss die Politik erkennen: Der KSB ist die größte Bürgerverbindung im Kreis Kleve mit mehr als 100 000 Menschen — und ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. Wobei ich auch eine Lanze für die Kommunen brechen muss: Fast überall ist die Nutzung der Sportanlagen kostenfrei, große Investitionen sind getätigt worden. Aber es fehlt an Visionen. Darum brauchen wir einen Pakt für den Sport.

Welche Überzeugungsarbeit gilt es aus Ihrer Sicht zu leisten?

Stermann Wir werben für den Sport als traditionelle und zeitgerechte Beschäftigung für Menschen in allen Lebenslagen. Zugleich geht es darum, angesichts geringer finanzieller Ressourcen das Geld so einzusetzen, dass es möglichst vielen Menschen einen Nutzen bringt. Außerdem müssen wir alle begreifen: Sport ist kein 1:0 mehr, das ist Schnee von gestern. Sport hat eine soziale Kompetenz. Da scheinen noch Sachen zu klappen, die sonst nicht funktionieren. Beispiel Integration: Im Sport zählt immer noch Leistung, nicht die Herkunft.

Sie plädieren für die Gründung von Stadt- und Gemeindesportverbänden in allen Kommunen des Kreises. Aber braucht eine im Sport überschaubare Gemeinde wie Wachtendonk einen Gemeindesportverband?

Stermann In acht von 16 Kommunen gibt es einen Stadt- oder Gemeindesportverband. In Weeze wird laut Bürgermeister Ulrich Franken demnächst ein Stadtsportverband gegründet. Wir reden in den anderen Kommunen mit Engelszungen. Es gibt so viele inhaltliche Arbeit wie der Kontakt zu Schulen, die Koordinierung von Hallennutzung, gemeinsame Veranstaltungen. Ein solcher Sportverband ist kein zahnloser Tiger. Außerdem kann ich nicht in Anspruch nehmen, zu wissen, was im Tagesgeschäft zum Beispiel in Emmerich läuft.

Die Einstellung auf die Offene Ganztagsschule scheint der Sport im Kreis Kleve verschlafen zu haben. In Rees hat zum Beispiel der SV Fortuna Millingen die Gesamtträgerschaft über den Offenen Ganztag einer Grundschule übernommen. Der Verein übernimmt das komplette Nachmittags-Angebot vom Sport über soziale Aktivitäten hin zur Hausaufgabenbetreuung.

Stermann ... und betreibt so aktive Mitgliederwerbung. Da haben wir tatsächlich geschlafen, und in der Zwischenzeit haben freie Träger wie die Caritas und die Awo dieses Feld übernommen. Die haben aber keine Kernkompetenz in Sachen Bewegung, Spiel und Sport. Da müssen wir die Kooperation mit den verschiedenen Trägern suchen.

Welche Auswirkungen wird der Offene Ganztag auf den Sport im Verein haben?

Stermann Uns stehen da gravierende gesellschaftliche Verwerfungen bevor. Durch den gebundenen Ganztag, der bis 2015 eingeführt wird, werden weniger junge Menschen in die Sportvereine kommen. Es ist schwer, einen Jugendlichen, der bis 17 Uhr in der Schule ist, zu motivieren, von 18 bis 20 Uhr zum Sport zu gehen. Außerdem will die Politik offensichtlich die Sportstätten, ähnlich wie in den Colleges der USA, am Schulträger konzentrieren.

Werden angesichts demografischen Wandels in den Vereinen künftig überhaupt noch so viele Sportstätten wie jetzt benötigt?

Stermann Denken Sie an die Tennisanlagen, die in den Siebzigern auf Teufel-komm-raus in allen Kommunen gebaut wurden. Jetzt herrscht in den Vereinen der Mitgliederschwund. Wie kann man die Anlagen also neu nutzen? Zum Beispiel als Boule- oder Boccia-Bahnen. Die Zukunft ist die multifunktionale Sportanlage.

Es ist mittlerweile unbestritten, dass die Zukunft auch "Sport der Alten" heißt.

Stermann Auch hier ist einiges verpennt worden. Es gibt zu wenig Angebote im Bereich Gesundheitssport. Diese Nischen haben inzwischen Rehasportvereine besetzt — allein in Geldern gibt es zwei. Diese Zwitterorganisationen sind im Grunde kommerzielle Anbieter, die aber die steuerlichen Vorteile eines eingetragenen Vereins nutzen. Wir dürfen darüber aber nicht wehklagen, sondern in den Vereinen eigene Angebote aufbauen und klar machen, dass die Versicherungsträger das unterstützen. Wir machen uns darüber hinaus Gedanken, ob wir als KSB ein eigenes Gesundheitszentrum aufbauen sollen.

Sie verlangen von den Vereinen, in denen ausnahmslos ehrenamtliche Kräfte arbeiten, nicht weniger als einen Quantensprung.

Stermann Es führt in Zukunft, zumindest in Vereinen ab 1000 Mitgliedern, kein Weg an hauptamtlichen Kräften vorbei. Ich habe über Jahre Leute zu Vereinsmanagern ausgebildet, die dachten, das sei nicht zu finanzieren, und es sich jetzt nicht mehr anders vorstellen können. In kleineren Vereinen ginge es über ein Job-Sharing mehrerer Klubs.

Sie wollen den professionellen Sportverein. Was macht der KSB dabei?

Stermann Die Vereine sind heute besser informiert als je zuvor. Mit dem VIBSS (Vereins-Informations-, Beratungs- und Schulungssystem, die Red.), an den Runden Tischen und in vielen persönlichen Gesprächen sind wir Dienstleister vor Ort. Darüber hinaus haben wir eine Übungsleiter-Datenbank eingerichtet, in der kreisweit schon mehr als 700 ausgebildete Fachleute registriert sind. Da können Vereine, denen ein Übungsleiter ausfällt, ganz kurzfristig einen anfordern. Ich könnte mir so auch ein Modell "Rent-a-teacher" vorstellen, nach dem Übungsleiter in Schulen oder Unternehmen gehen.

Wo sollen die Mitarbeiter überhaupt herkommen?

Stermann Wir planen ein Pilotprojekt mit der Arbeitsagentur des Landes. Es gibt zahlreiche 40-bis 60-Jährige, die bei der Agentur gemeldet sind und früher als Buchhalter oder Verwaltungsangestellte gearbeitet haben. Wenn sie eine Affinität zum Sport haben, könnten das ideale Partner sein. Außerdem ist es ein Riesenfeld für Arbeitsplätze. Wir haben in unserer Geschäftsstelle übrigens eine Verwaltungsfachkraft über die Agentur gefunden.

Bedeutet die angestrebte Professionalisierung das Aus fürs Ehrenamt?

Stermann Im Gegenteil: Sport ist ohne das Ehrenamt undenkbar. Es muss ganz wörtlich als ehrenvolles Amt angesehen werden. Ein Beispiel: Der Clever Ruder-Club hat ausgerechnet, dass beim Club-Neubau fünf Mitglieder jeweils mehr als 1250 Arbeitssstunden geleistet haben. Da haben wir dem Verein zu seinem Jubiläum im vergangenen Jahr 500 Euro für die Jugendarbeit überreicht. Vom Bürgermeister gab's übrigens einen Zollstock.

Was steht für 2009 auf der Agenda des KSB-Vorsitzenden?

Stermann Wir haben eine Infrastruktur aufgebaut. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns mehr und mehr inhaltlichen Fragen öffnen. Wir wollen zudem dahin gelangen, dass wir uns zu je einem Drittel aus Beiträgen, Zuschüssen und aus der Wirtschaft finanzieren. Was das letzte Drittel betrifft, haben wir die Zielvorgabe noch nicht erreicht.

Wie sind die Aussichten für den Kreis Klever Sport?

Stermann Hoffnungsvoll, aber einer Renovierung bedürftig.

Das dürfte vielen Vereinsvorständen nicht schmecken.

Stermann Ich bin mir bewusst, dass es kein leichter Weg mit den Vereinen wird. Wir im KSB müssen eine Perspektive von zehn bis 20 Jahren haben und als Scharnier die politischen Wünsche berücksichtigen. Einige Vereinsvorsitzende sagen aber: Ich bin nur für drei Jahre gewählt, das geht mich nichts mehr an. Aber es gibt unangenehme Wahrheiten, und man muss sie ehrlich aussprechen. Wir dürfen die Vereine nicht blind ins offene Messer laufen lassen.

(RP)
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