Fußball „Geschlecht darf nicht entscheidend sein“

Kreis Kleve · In den Niederlanden läuft in dieser Saison ein Pilotprojekt, Frauen im Amateurfußball der Männer mitspielen zu lassen. Wird die Genderneutralität auch in Deutschland Thema? Wir haben Protagonisten aus dem Kreis Kleve gefragt.

 (Symbolbild)

(Symbolbild)

Foto: dpa/Jan Woitas

Der niederländische Frauenfußball gehört seit Jahren zur Weltspitze. Dennoch sind die Strukturen für die Spielerinnen längst nicht so professionell wie für die Männer. Um die Dimension des Geschlechts langfristig zu überwinden, hat der niederländische Fußball-Verband KNVB in der Saison 2021/2022 ein Pilotprojekt gestartet. Amateurfußballerinnen dürfen nun auch in der ersten Männermannschaft ihres Vereins spielen. Die Verantwortlichen sprachen im Vorfeld sogar von einem „historischen Moment für den Amateurfußball in den Niederlanden und weltweit“.

Bisher war Mixed-Fußball in den Niederlanden nur in den Jugend- und unteren Amateurmannschaften möglich. „Sobald die Frauen jedoch das Seniorenalter erreicht hatten, mussten sie sich entscheiden, ob sie in einem Frauenwettbewerb oder weiter gemischt in der Kategorie B spielen“, sagt Jan-Dirk van der Zee, Direktor des Amateurfußballs beim KNVB. „Nach dem aktuellen Zeitgeist und aktuellen Forschungsergebnissen sehen wir aber keinen Grund mehr, daran festzuhalten. Wir wollen stattdessen auf Gleichberechtigung und Vielfalt setzen. Wir möchten, dass Mädchen und Frauen entsprechend ihrer Qualitäten und eigenen Ambitionen einen geeigneten Platz in der Fußball-Landschaft finden.“ Zum Hintergrund: Seit 1996 können Jungen und Mädchen jenseits der Grenze bis einschließlich der A-Jugend mit- und gegeneinander spielen.

Um die Ergebnisse im Anschluss an die Spielzeit auswerten zu können, finden in diesen Monaten auch Datenrecherchen, Umfragen, Interviews mit Interessenvertretern und Beobachtungen von Wettbewerben statt. In der Vergangenheit gab es in den Niederlanden allerdings bereits ein erfolgreiches Pilotprojekt. Die Fußballerin Ellen Fokkema erhielt eine Sondergenehmigung und durfte in der ersten Mannschaft des friesischen Viertligisten VV Foarut spielen – mit Erfolg. Sie spielte bereits bis zur A-Jugend in gemischten Teams und wünschte sich daher, auch im Erwachsenenbereich weiterhin mit ihrer Mannschaft zusammenspielen zu können. Diesem Wunsch kam der Verband nach und machte die 20-Jährige zu einer Pionierin.

 Sven Rickes vom VfR Warbeyen findet die Idee gut.

Sven Rickes vom VfR Warbeyen findet die Idee gut.

Foto: Fupa

Doch könnte sich ein solch gender-neutrales Modell künftig auch in Deutschland durchsetzen? Wir haben im Kreis Kleve nachgehört.

Die Gocherin Monika Kneip war in den 1970er-Jahren nicht nur eine der besten Tischtennisspielerinnen der Bundesrepublik, sondern auch die Frauenfußball-Pionierin schlechthin am unteren Niederrhein. Concordia Goch war vor 50 Jahren nämlich der erste Klub mit einem eigenen Damenteam.

Die 69-Jährige hält aber von dem niederländischen Projekt nicht allzu viel. „Frauen haben körperlich ganz andere Voraussetzungen als Männer. Im Zweikampf wird das ganz deutlich, der Faktor Kraft ist eben doch sehr entscheidend auf dem Rasen“, sagt Kneip. Beim Tischtennis oder Tennis seien die Unterschiede nicht so deutlich, so die Gocherin. „Beim gemischten Doppel an der Platte oder auf dem Tennisplatz kommt es stärker auf die Technik an, beim Fußball zählt aber Schnelligkeit und Kraft. Das kann man kaum vergleichen. Zum Spaß kann man solche Spiele natürlich machen. Allerdings glaube ich nicht, dass sich ein solches Modell langfristig bei uns durchsetzen könnte“, sagt Kneip.

 Monika Kneip hält nich viel von dem Vorstoß.

Monika Kneip hält nich viel von dem Vorstoß.

Foto: LTK Moyland

Der Einschätzung schließt sich auch Sandro Scuderi an. Er coacht die Regionalliga-Frauen des VfR Warbeyen. Grundsätzlich könne er dem Vorstoß aus den Niederlanden zwar etwas abgewinnen, zumal es in den Jugendabteilungen bereits gemischte Teams gibt. „Irgendwann gibt es dann aber nur noch reine Mädchenmannschaften. Schließlich sieht man gewisse körperliche Unterschiede“, sagt Sandro Scuderi. Ihm zu Folge dürften die meisten Frauen aber auch kaum Interesse daran haben, in unteren Amateurklassen mitzuspielen.

„In der Kreisliga gibt es nun auch nicht immer sportliche Feinkost. Man darf aber nicht vergessen, dass unsere Mädchen technisch und taktisch sehr weit sind. Da stehen sie den Männern in der Oberliga und Regionalliga in nichts nach. Wenn die Frauen aufgrund der körperlichen Voraussetzungen in der Kreis- oder Bezirksliga mitspielen müssten, wo sie ihre technisch-taktischen Qualitäten kaum einsetzen können, würden sie wohl nicht allzu viel Spaß haben“, sagt Sandro Scuderi, dessen Team langfristig den Aufstieg in die Zweite Bundesliga anpeilt.

Sven Rickes, Sportlicher Leiter des VfR Warbeyen, hält die Idee der Niederländer für eine „super Sache“. „Das Geschlecht darf kein entscheidendes Merkmal sein, es sollte einzig und allein um Fähigkeiten gehen“, sagt Sven Rickes, der das Mädchenfußballprojekt „Kämpferherzen“ in den vergangenen Jahren maßgeblich vorangetrieben hat. Als der Nachwuchs noch zur SV Bedburg-Hau gehörte, habe man immer wieder auch auf gemischte Mannschaften gesetzt, so Rickes.

Diese Idee müsse aber noch stärker in den Köpfen ankommen. „Wenn Männer gegen Frauen elf gegen elf spielen, treten die körperlichen Unterschiede natürlich zu Tage. Da sind Männer immer überlegen. Explosivität, Antrittsdynamik, die Physis im Zweikampf – natürlich sind das durchaus wichtige Aspekte. Aber die Unterschiede wären nicht so deutlich, wenn man gleich von gemischten Teams ausgehen würde“, sagt Sven Rickes.

Er ist der Überzeugung, dass die Fußball-Männer eine Menge von den Frauen lernen könnten, vor allem mit Blick auf Technik, Taktik und Teamfähigkeit. Dass bislang in Deutschland jedoch kaum über Geschlechterneutralität gesprochen wird, habe mit überholten Traditionen zu tun, so der Sportchef. „Als Steffi Graf und Boris Becker noch Tennis gespielt haben, hat das ganze Land mit beiden mitgefiebert. Sie waren gleichwertige Stars. Die Öffentlichkeit hat da keine Unterschiede gemacht. Es hat auch niemand ernsthaft die Frage gestellt, ob Steffi Graf eine Chance gegen Boris Becker hätte. Dass wir diese Frage aber immer wieder im Fußball stellen, ist eigentlich absurd. Aber diese Absurdität beschäftigt mich schon seitdem ich mich mit dem Fußball auseinandersetze“, sagt Sven Rickes.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort